Straffes Programm heute. Am Morgen sitzen Tracy Osei-Tutu und Simon Marian Hoffmann eine Stunde lang zum Gespräch mit der Presse zusammen. Im Anschluss posieren sie schnell für Fotos mit Jamila Schäfer (Grüne) und Kevin Kühnert (Jusos), die ebenfalls an dem Gespräch teilgenommen haben. Jetzt stehen sie im Schatten des Paul-Löbe-Haus in Berlin, das nächste Kamerateam wartet bereits. Immer wieder sprechen die zwei ihre Forderungen in die Kameras: "Die Demokratie braucht ein Update" und "Fordert euer Wahlrecht ein".

Tracy und Simon sind zwei von fünfzig Mitgliedern des Vereins Demokratische Stimme der Jugend. "Das Netzwerk ist aber größer", sagt Simon. Im deutschsprachigen Raum habe die Demokratische Stimme rund 1.000 Anhänger*innen. Die Mitglieder einen zwei Dinge: Alle sind sie unter 28 Jahren, das ist Voraussetzung für eine Mitgliedschaft. Und sie wollen gemeinsam erreichen, dass junge Menschen mehr Gehör finden, wenn die Politik über ihre Zukunft entscheidet. Dafür setzen sie sich unter anderem für die Einführung des Kinderwahlrechts ein. "Es kann nicht sein, dass wir zu Tausenden bei Fridays for Future auf die Straße gehen müssen, um unsere Forderungen zu formulieren", sagt Simon. "Wir müssen Teil des demokratischen Prozesses werden."

Die Europawahl will die Demokratische Stimme nutzen, um die Diskussion über das Kinderwahlrecht in der Öffentlichkeit zu befeuern – also für jeden Mensch, der wählen will. Im Rahmen einer neuen Aktion fordern sie Unter-18-Jährige dazu auf, ihr Wahlrecht einzuklagen. Auf seiner Webseite stellt der Verein ein Formular für den Protest zur Verfügung. Ziel ist es, Einspruch gegen das unvollständige Wähler*innenverzeichnis einzulegen und damit bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

"Wir sollten alle Menschenrechte allen Menschen gewähren"

Die Grundlage für den Protest bildet ein Gutachten zweier Uni-Professoren. Prof. Dr. Hermann K. Heußner und Prof Dr. Arne Patusch argumentieren auf sechs Seiten, dass der Ausschluss von 17-Jährigen bei der Europawahl verfassungswidrig sei. Zwar dürften die EU-Mitgliedstaaten ein Mindestwahlalter einführen, europarechtlich bestehe allerdings keine Schranke. Die Professoren begründen die Zulassung zur Wahl mit 17 unter anderem damit, dass 17-Jährige in der Regel einen Schulabschluss erreicht haben. Da Schulen zum Ziel hätten, den Schüler*innen "umfassende Bildung, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen zu vermitteln, die für ein selbstverantwortliches Leben notwendig sind", solle man von einem nötigen Reifegrad für die politische Teilhabe ausgehen.

Zudem weisen die Juristen auf eine Ungleichbehandlung hin: Während Menschen in Vollbetreuung erstmalig auch an der Europawahl teilnehmen dürfen, schließt die Regelung Millionen Jugendlicher weiterhin aus. Und das, obwohl die Entscheidungen der Politik künftig vor allem sie betreffen werden. "Wir leben im 21. Jahrhundert und sollten alle Menschenrechte allen Menschen gewähren", sagt Simon. Für den Verein ist das Wahlrecht für 17-Jährige jedoch nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Kinderwahlrecht.

Die Idee des Kinderwahlrechts ist nicht neu. In den 1990er-Jahren setzte sich bereits das Projekt Krätzä für ein Wahlrecht von Geburt an ein. Kritiker*innen vertreten häufig den Standpunkt, Menschen unter 18 Jahren fehle die notwendige Reife, das politische Geschehen zu überblicken und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Befürworter*innen halten das Wahlrecht ganz grundsätzlich für ein Gut, das allen Bürger*innen zustehen sollte. Inzwischen haben die SPD, die Grünen, die Linke sowie die Piratenpartei die Senkung des Wahlrechts ab 16 in ihre Programme aufgenommen. Kevin Kühnert und Jamila Schäfer unterstützen die Forderung während des Pressegesprächs. Beide finden, dass es wichtig für die politische Teilhabe sei, sie frühstmöglich zu erlernen. "Man muss die Selbstwirksamkeit erleben, selbst zur Wahlurne zu gehen und Einfluss zu nehmen", sagt Kühnert. Das binde die Menschen an die Politik.

Skepsis gegenüber der Idee eines Jugendrates

Das Kinderwahlrecht ist für die Demokratische Stimme der Jugend jedoch nur ein erster Schritt hin zu mehr Teilhabe. Parallel zum Ältestenrat wollen die Mitglieder einen Jugendrat in Deutschland etablieren. Umstritten ist die Idee deshalb, weil der Jugendrat nicht nur bei Gesetzesentwürfen beraten, sondern ein Veto einlegen können soll. Im Pressegespräch unterstützen Kevin Kühnert und Jamila Schäfer die Idee eines beratenden Gremiums junger Menschen zwar. "Dadurch verstetigen wir das Engagement und der Perspektive junger Menschen", sagt Schäfer. Von dem Vetorecht seien sie hingegen noch nicht überzeugt.

Tracy und Simon sind trotzdem guter Dinge, dass ihre Forderungen nach und nach Menschen überzeugen. Mehrmals verweist Simon auf die Fridays-for-Future-Bewegung. Mit dem Klimaschutz habe es angefangen, inzwischen würden sich immer mehr Jugendliche auch für andere politische Themen interessieren. "Es trifft den Zeitgeist", sagt er, "dass wir mehr Gehör für Jugendliche fordern." Und dann müssen die beiden weiter, ihre Forderungen verbreiten.

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