Unter dem Slogan Crime has no Gender präsentiert die Strafverfolgungsbehörde der EU die vermeintlich gefährlichsten Frauen Europas. Das ist irreführend.

In knalligem Blau und Pink, mit Nebelschwaden und kunstvollen Masken präsentiert die EU-Strafverfolgungsbehörde Europol auf ihrer Webseite seit ein paar Tagen flüchtige Straftäter*innen. Die Behörde nennt die Liste Europe's Most Wanted. Auf der Startseite der Kampagne unter dem Slogan Crime has no gender sind 21 Kacheln zu sehen. Wer darauf klickt, lässt die Maske verschwinden, und es werden nähere Infos zu der Person angezeigt: Name, Alter, Herkunftsland und die Tat. 18 der 21 Personen sind Frauen.

Der Slogan ist neu, die Kampagne hingegen nicht. In den vergangenen drei Jahren hat Europol nach eigenen Angaben so 69 Straftäter*innen festnehmen können – entweder weil die Behörde über die Aktion entscheidende Hinweise aus der Bevölkerung bekam oder weil die Täter*innen sich durch den steigenden Druck selbst stellten.

Unabhängig vom Erfolg der Kampagne ist es aus mehreren Gründen irreführend, sie mit der Aussage "Kriminalität hat kein Geschlecht" zu überschreiben. Die taz berichtet ebenfalls kritisch über die Aktion.

  • Dass auch Frauen schwere Verbrechen begehen können, ist nicht mehr als eine Binsenweisheit. Europol hebt in einer Pressemitteilung hervor, dass die Anzahl von Frauen, die an Verbrechen beteiligt sind, steige – nur um diese Aussage im nächsten Halbsatz wieder zu relativieren. Die Anzahl von Männern, die an Verbrechen beteiligt sind, steige nämlich stärker.
  • Auf der Startseite der Kampagne sind 21 Tatverdächtige aufgeführt. Davon sind 18 weiblich. Lässt man sich die gesamte Liste der Europe‘s Most Wanted anzeigen, ergibt sich ein anderes Bild. Von insgesamt 66 Tatverdächtigen sind 18 weiblich und 46 männlich. Zwei Personen sind bereits als festgenommen markiert. Es finden sich also mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen in der Liste.
  • Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes, die auf Grundlage von Daten der 16 Landeskriminalämter erstellt wird, geht seit Jahren hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Straftaten von Männern begangen wird. Das Verhältnis beträgt etwa 4:1. Hier die aktuellen Zahlen: Von insgesamt rund zwei Millionen Tatverdächtigen sind 1,5 Millionen männlich und eine halbe Million weiblich. Die Zahlen sind für beide Geschlechter im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig. Seit Jahrzehnten liegt der Anteil von Frauen unter den Gefängnisinsass*innen in Deutschland bei fünf Prozent.
  • Hinzu kommt: Der Frauenanteil ist abnehmend, je schwerwiegender die Straftat. So gehört einfacher Ladendiebstahl zu den Delikten mit dem höchsten Anteil weiblicher Tatverdächtiger: 36,8 Prozent. Bei Mord hingegen sind 87,5 Prozent der Tatverdächtigen männlich, bei Totschlag 89 Prozent. Auch diese Werte finden sich in der aktuellen Kriminalstatistik, Band 4.

Für die Kampagne haben 21 EU-Mitgliedsstaaten eine*n ihrer meistgesuchten Straftäter*innen ausgewählt. Ob und wenn ja, nach welchen Anforderungen das geschehen ist, wird von Europol nicht näher erläutert.