Es ist noch nicht so lange her, da hat Daniel sich wieder bei Marie gemeldet. Völlig unerwartet. Sie hat sich ein wenig gewundert, weil sie wirklich schon lange nichts mehr voneinander gehört hatten. Normalerweise schrieben sie sich so drei, vielleicht viermal im Jahr. Meist zu den Geburtstagen und an Silvester. Zugegeben, sie hatten mal eine heftige Affäre, danach waren sie viele Jahre irgendetwas zwischen Bekannte und Freunde. Ja, sie hielten immer noch Kontakt, um sich gegenseitig über ihr Leben auf dem Laufenden zu halten. Warum, wussten beide wohl nicht. Alle paar Jahre telefonierten sie auch, aber eben nicht oft.

Man braucht auch nicht immer einen Grund, um sich zu melden. Oder?"

Eines Tages meldete sich Daniel, einfach so. Ohne Grund. Und Marie hatte sofort ein komisches Gefühl. Aber warum? Sie vergewisserte sich, dass es nicht sein Geburtstag war. Es war auch nicht ihr Geburtstag, das wüsste sie ja. Und es waren noch ein paar Monate bis Weihnachten. Ob er Langeweile hatte? Ob er sie bitten wollte, es noch einmal miteinander zu versuchen? Nein, dafür war das mit ihnen beiden schon zu lange her. Oder ob er einfach nur wissen wollte, wie es ihr geht? Wie nett von ihm.

Ja, warum nicht. Man braucht auch nicht immer einen Grund, um sich zu melden. Oder? Sie schämte sich wegen ihrer Gedanken. Sie sollte ihm keine Absicht unterstellen, immerhin waren sie ja befreundet. Okay, mit echten Freunden telefoniert man ja hoffentlich öfter. Sie waren Bekannte. Wobei das eigentlich auch nicht stimmte. Was aber waren sie dann?

Sie schrieben eine Weile hin und her. Daniel erkundigte sich nach ihrer Arbeit, Marie erkundigte sich nach seinem letzten Urlaub. Erst erzählte sie ihm von ihrem neuen Job, später redeten sie über seine Ferien. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass er mit seiner Freundin diesen Urlaub lange geplant hatte – da korrigierte er sie. Nein, seine Freundin war das nicht mehr. Er sei wieder single. Überraschung!

Marie ließ sich nichts anmerken und sie schrieben noch ein bisschen weiter. Nichts Besonderes. Irgendwann fragte sie sich, warum sie beide immer noch Kontakt hielten. Daniel und sie. Sie hatten sich doch eigentlich nichts mehr zu sagen.

Sie erinnerte sich in diesem Moment daran, dass sie, wenn bei ihr eine Beziehung zu Ende ging, ebenfalls den Kontakt zu ihm suchte. Aus Langeweile oder einfach nur so. Marie war also auch nicht besser als er und vielleicht war die Zeit gekommen, um dieses blöde Ritual zu durchbrechen. Sie machte sich klar, dass sie schon ewig lange keine Beziehung mehr hatten, auch wenn noch ein paar schwache Gefühle übrig geblieben waren.

Vielleicht war Daniels unerwartete Mail ganz heilsam, um ihren Kopf wieder in die richtige Richtung zu rücken.“

Sie waren weniger als Freunde. Und mehr als Bekannte. Eigentlich war es Marie auch zu blöd, um auf irgendwelche bescheuerten Halloweengrüße zu antworten. Vielleicht war sie aber auch einfach ein Mensch, dem es nicht reichte, ab und zu eine Nachricht wie "Hey, hab gerade an dich gedacht. Wie geht's dir eigentlich so?" zu bekommen. Um darauf zu antworten: "Hey, ja – mir geht es großartig. Hab mein Leben im Griff." Sie wollte entweder eine Beziehung oder eine Freundschaft. Aber kein Gemurkse.

Mittlerweile haben sie keinen Kontakt mehr und Marie findet das gar nicht so doof. Vielleicht war Daniels unerwartete Mail ganz heilsam, um ihren Kopf wieder in die richtige Richtung zu rücken. Wieder klar denken zu können. Um sich bewusst zu machen: Nein, sie beide waren keine Freunde. Eine Freundschaft sieht anders aus. Eigentlich ist dafür auch die Zeit zu schade. Und bevor sie so etwas noch einmal erlebt, verzichtet sie in Zukunft lieber auf den Kontakt.

Wir haben nur eine begrenzte Zeit in unserem Leben. Deshalb müssen wir gut überlegen, mit wem wir unsere Zeit verbringen wollen. Und hellhörig werden, wenn sich jemand bei uns meldet, obwohl es eigentlich nicht zu der Person oder der Situation passt. Vielleicht sind es einfach nur wieder diese Zeiträuber.