Immer wieder gehe ich ins Badezimmer und vergewissere mich, dass der Brandfleck noch da ist. Er kommt von der Kerze, die die Hebamme für die heimelige Atmosphäre angezündet hat, während ich in der Badewanne in den Wehen lag. Ich weiß noch genau, wie mir zwischen zwei Wehen plötzlich ein starker holziger Geruch in die Nase kam. "Hat meine Frau den Kamin angemacht?", fragte ich ungläubig. Die Hebamme ging dem immer stärker werdenden Geruch auf den Grund und stellte kurz darauf fest, dass die liebevoll angezündete Kerze gerade dabei war, unser Waschbeckenregal anzukokeln.

Jetzt, Tage nach der Geburt, ist dieser Brandfleck der offensichtliche Beweis dafür, dass die Geburt wirklich stattgefunden hat. Wirklich glauben kann ich das sonst oft nicht. Immerzu sitze ich vor meinem Baby, das mich aus tiefschwarzen Augen anblickt – und heule. Der Babyblues hat mich voll im Griff. "Wie fühlt sich das an?", fragt Lena. "Wie Liebeskummer", antworte ich und fühle mich dabei total falsch. Müsste ich nicht vor lauter Dankbarkeit über mein Kind genau das Gegenteil empfinden?

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Meine Hebamme beruhigt mich und erklärt: "Die innere Leere und das Verlustgefühl sind völlig naheliegend. Dein Bauch ist plötzlich unbewohnt, du fühlst die Bewegungen deines Kindes nicht mehr. Deine Gebärmutter hat sich zurückgebildet, die Schwangerschaftshormone sind weg. Dein Körper tut so, als sei nie etwas gewesen. Natürlich überfordert dich das. Die Geburt ist die erste Trennung von deinem Kind." Ich muss schlucken und bin froh darüber, verstanden zu werden. "Das geht bald weg", sagt sie bei der Verabschiedung – fast so, als handle es sich um einen harmlosen Schnupfen. Dann dreht sie sich nochmal um: "Und wenn nicht – dann kriegen wir das auch hin."

Wie genießt man eigentlich jeden Moment?

Ein paar Tage bin ich im Ausnahmezustand. Ich kann nicht schlafen, obwohl ich so erschöpft bin. Ich habe Nachwehen und ein Dauerpiepen im Ohr. Immer wenn ich die Augen schließe, erlebe ich wieder die Geburt. Ich kann es nur schwer ertragen, dass mein Baby von Sekunde zu Sekunde älter wird. In jeder Glückwunschnachricht, die wir bekommen, heißt es: Genießt jeden Moment, die Zeit geht so schnell vorbei. Wie genießt man eigentlich jeden Moment? Ich habe Angst, dass ich das nicht schaffe und der Situation nicht gerecht werden kann. Mein Gedankenkarussell überschlägt sich. Unser Baby macht sich auf jeden Fall nicht allzu viel aus meinen Problemen. Es verhält sich, als wäre es das Normalste auf der Welt, geboren worden zu sein. Es erscheint mir so weise in seinem Verhalten, da es einfach alles als gegeben hinnimmt. Ich nehme mir vor, dass dies das erste sein soll, was ich von ihm lernen möchte.

Special Edition of German Bureaucracy

Ein paar Tage vergehen und ich komme wieder einigermaßen klar. Wenn man mal großzügig darüber hinwegsieht, dass ich dem Aufräumwahn verfallen bin. Während Lena sich um das Kind kümmert, beseitige ich "das Chaos in der Wohnung", welches höchstwahrscheinlich als Metapher für das Chaos in mir drin steht. Aber immerhin weine ich nicht mehr und hadere auch nicht mehr so stark mit der Vergänglichkeit des Lebens. Ich beginne sogar schon wieder, Alltagsphänomene jenseits unserer kuscheligen Familienblase wahrzunehmen. Zum Beispiel die irrsinnige Bürokratie, die es zu bewältigen gilt, wenn man gerade Eltern geworden ist. Als Frauenpaar gibt es natürlich auch wieder die Special Edition of German Bureaucracy. Das mit der Ehe für Alle scheint mir nicht ganz durchdacht. Lena muss das Kind, welches in unsere Ehe hineingeboren wurde, erst einmal adoptieren. Da wir den Antrag dazu erst frühestens acht Wochen nach Geburt stellen können, gelte ich zunächst überall als alleinerziehend. Ich bekomme Briefe vom Jugendamt mit Informationen zu Hilfsangeboten und Vaterschaftsklagen.

Auf manchen Formularen gilt Lena zwar als mein "Ehemann", nicht aber als "Vater" unseres Kindes. Als ich im Standesamt anrufe, um zu fragen, ob unser Kind Lenas Nachnamen annehmen könne, heißt es: "Nein, Sie haben doch das Kind bekommen!" Ich daraufhin: "Ja, aber wir sind doch verheiratet. Bei unverheirateten Paaren dürfen Kinder doch auch wie der Vater heißen." – "Ja schon, ...", kommt es vom anderen Ende der Leitung zurück, "aber Ihre Frau ist ja nicht die Mutter des Kindes, sondern Sie." – "Aber sie adoptiert doch das Kind!" – "Ja, aber noch hat sie das ja nicht." – "Ok, aber dann geht das?" – "Nein. Entweder Sie einigen sich alle auf den selben Namen oder das Kind trägt den Namen der Mutter, also Ihren."

Grenzüberschreitungen beim Willkommensbesuch

Wir bekommen eine Karte vom Gesundheitsamt mit der freundlichen Ankündigung eines Willkommensbesuchs. Der Besuch diene der Beratung und Information für Erstlingseltern. Ich bin zwar der Meinung, wir wüssten schon über alles Bescheid, beschließe aber trotzdem, dem Besuch eine Chance zu geben. Die Gesundheitsamtfrau ist zum Glück sehr freundlich und lobt uns mehrfach dafür, wie sympathisch wir sind und was für eine niedliche kleine Familie. "Hier in meinen Unterlagen steht ja, dass Sie alleinerziehend sind, Frau Rechau. Da ist es natürlich viel schöner, wenn ich vor Ort sehe, dass da doch noch jemand ist, der sich mit kümmert." Und dann sagt sie, dass ja nicht alle Frauenpaare so nett seien wie wir. "Manche sind auch komisch. Die wollen dann gar nicht verraten, wer von beiden das Baby bekommen hat und über den Vater erfährt man auch nichts. Ich persönlich finde es ja wichtig für das Kind, eine Vaterfigur zu haben." Bei der Verabschiedung frage ich mich, was sie wohl gesagt hätte, wenn ich wirklich alleinerziehend wäre. Oder der Erzeuger unseres Kindes anonym wäre. Ob sie ihre persönliche Meinung dann auch erwähnt hätte?

Endlich lernen auch meinen Eltern ihr kleinstes Enkelkind kennen. Wir haben sie zum Abendessen eingeladen, zusammen mit Tim und seinem Mann. Als Lena und ich die Geburtsgeschichte in voller Länge erzählt haben, herrscht eine kurze betretende Stille. "Mein armes Kind", sagt meine Mutter und sieht mich mitfühlend an. Lena sagt, dass sie vor allen Frauen den Hut zieht, die ein Kind geboren haben, und zwar ganz egal auf welchem Weg. "Sei ehrlich, vergisst man diese Schmerzen irgendwann?", will ich von meiner Mutter wissen. Sie schüttelt mit dem Kopf. "Nein, die vergisst du nicht. Aber du bewertest sie später anders. Du weißt dann, was es wert war." Tim wendet sich an meinen Vater: "Wir Männer können uns das alles gar nicht vorstellen, oder?" Ich bin gerührt darüber, wie alle versuchen, sich einzufühlen. Auf dem Weg in die Küche höre ich den rheinischen Singsang meines Vaters: "Sag mal Tim, hattest du eigentlich schon mal Nierensteine?"In der nächsten Folge berichtet Eva vom Besuch in der Regenbogenfamilienkrabbelgruppe (ja, sowas gibt's).

In der ersten Folge der Familienkolumne beschreibt Eva, wie sie gemeinsam mit ihrer Frau einen passenden Vater für ihren gemeinsamen Kinderwunsch suchte und fand.

In der zweiten Folge erzählt Eva, wie ihre Mutter zur queeren Oma wurde.

In der dritten Folge führt eine Masseurin Gespräche mit Evas Gebärmutter.

In der vierten Folge wollte Eva allen Müttern High Five geben.