In der Serie Youthhood porträtieren wir junge Menschen zwischen 17 und 20 Jahren. Sie erzählen bei ze.tt, wovor sie Angst haben, wie ihr erster Kuss war, wie sie arbeiten wollen und was für sie Familie bedeutet. Wir wollen wissen, wie es ihnen geht.

Steckbrief

Name: Felix Wöstemeyer

Alter: 20Ausbildungsstätte: Deutsche Post, BerlinGeburtsort: Rheda-WiedenbrückWohnort: Berlin
Gender: egal

ze.tt: Felix, wie bist du aufgewachsen?

Felix: 

Aufgewachsen bin ich mit meinen drei älteren Schwestern und meinen Eltern in einem Dorf in der Nähe von Bielefeld. Wir hatten einen großen Garten und sind oft im Wald spazieren gegangen, das vermisse ich hier in Berlin.

In meiner Jugend habe ich begonnen, viele Dinge zu hinterfragen, die mir vorgelebt wurden. Ich habe gemerkt, dass ich mich nicht als heterosexuell identifiziere. Damit umzugehen war besonders im Dorf nicht immer einfach. Ich bin schon früh durch meine Kleidung und meinen Style angeeckt. Ich bin mal im Kleid zu einer Familienfeier gegangen, war barfuß in der Schule und habe mir die Haare bunt gefärbt. Damals war ich eher pubertär, heute mache ich das ganz bewusst und stelle so Dinge infrage.

Ich mag es, mit Mode vorherrschende Geschlechterrollen oder den Umgang mit Nachhaltigkeit zu kritisieren. In Städten gibt es für mich mehr Möglichkeiten, mich dahingehend auszuleben, darum bin ich recht früh zu Hause ausgezogen. Durch meine Familie habe ich gelernt, weltoffen zu sein und mich anderen Lebensentwürfen und Kulturen zu öffnen. Mein Opa hat ein Zentrum für interkulturellen Austausch gegründet, darum hatten wir oft Besuch von Menschen aus anderen Ländern, wie Ägypten, Russland oder Israel. Unsere Gäste brachten ihre Kultur in Form von Musik, Kleidung und Essen mit. Diese Erfahrungen haben mich nachhaltig geprägt und ich will sie nicht missen.

Ich mag es, mit Mode vorherrschende Geschlechterrollen oder den Umgang mit Nachhaltigkeit zu kritisieren.
Felix, 20

In welchen Momenten legst du dein Handy beiseite?

Bis vor etwa eineinhalb Jahren hatte ich nur ein altes Tastenhandy, womit ich telefonieren und SMS schreiben konnte. Dadurch habe ich mich viel mehr auf das Hier und Jetzt konzentriert und war nicht ständig für alle erreichbar. Im Vergleich zu heute hatte ich damals schon ein ziemlich entschleunigtes Leben, aber es fiel mir manchmal schwer, mich zu organisieren, mit Leuten zu verabreden oder in anderen Städten zu orientieren.

Als ich dann nach dem Abi alleine nach Mexiko-Stadt gezogen bin um dort einen einjährigen

Freiwilligendienst

zu leisten, habe ich ein altes iPhone von meinem Papa bekommen. Das hat Dinge nicht nur einfacher, sondern auch sicherer gemacht, da ich Leuten immer Bescheid geben konnte, wo ich gerade war. Außerdem konnte ich durch Instagram viele meiner Freunde ein wenig an dem teilhaben lassen, was ich am anderen Ende der Welt erlebe. Weil das alles aber schnell zur Ablenkung werden kann, 

lege ich mein Handy beiseite, wenn ich mich wirklich auf eine Sache konzentrieren möchte oder intensiv mit jemandem spreche.

Wie siehst du die Welt 2050?

Ganz offensichtlich hat die Menschheit es geschafft, in der letzten Generation den Planeten bis an seine Grenzen zu bringen. Nun stecken wir alle in Schwierigkeiten und es muss gehandelt werden, damit zukünftige Generationen noch in dieser Welt überleben können und die Schönheit unserer Erde genießen dürfen.

Wenn die Menschheit sich weiterhin nur auf Profit, Wachstum und kurzfristige Problemlösungen fokussiert, wird die Natur noch mehr unter der Belastung leiden und langsam zum lebensfeindlichen Umfeld mutieren. 

Ab wann sind Menschen für dich alt?

Alter ist ein Gefühl.

Ich selbst fühle mich auf jeden Fall jung, auch wenn ich in den letzten Jahren damit begonnen habe mehr Verantwortung für mich und mein Handeln zu übernehmen. Junge Menschen können auch alt wirken, finde ich. Wenn sie ihr Leben schon durchgeplant haben und alles in festen Bahnen verläuft. 

Andersherum gibt es auch Menschen im höheren Alter, die noch frisch und spontan sind.

Wovor hast du Angst?

Ich habe Angst vor dem Tod.

Ich habe Angst, mich nicht weiterzuentwickeln.

Ich habe Angst vor Spinnen.

Ich habe Angst, geliebte Menschen zu verlieren.

Ich habe Angst vor Gewalt.

Ich habe Angst, verrückt zu werden.

Ich habe Angst vor der AfD.

Ich habe Angst, etwas zu verpassen.

Ich habe Angst vor Krankheiten.

Ich habe Angst, irgendwie alles zu verkacken.

Junge Menschen können auch alt wirken – wenn sie ihr Leben schon durchgeplant haben und alles in festen Bahnen verläuft.
Felix, 20

Was gibt dir Hoffnung?

Wenn jemand sich für etwas einsetzt, dass ihrer oder seiner Überzeugung entspricht oder Dinge erschafft, durch die sie oder er sich selbst verwirklicht, inspiriert mich das. Menschen, die sich vereinen, um ihre politischen Forderungen zu erkämpfen, wie in der Fridays-for-Future-Bewegung, geben Impulse zum Umdenken und können viel erreichen. Neben diesem konkreten Aktivismus sehe ich auch in der Kreativität einen hohen Wert: Texte, Bilder, Musik und andere Werke schaffen es manchmal, noch viel tiefgründigere und bewegendere Botschaften zu vermitteln. 

Wie gehst du mit Einsamkeit um?

Einsamkeit oder das Gefühl, niemanden zu haben der für dich da ist, kann echt hart sein. Mir hilft es in solchen Momenten, über meine Emotionen zu schreiben. So lässt sich für mich ein schmerzhaftes Gefühl in positive und produktive Energie umwandeln. 

Als ich für ein Jahr in Mexiko gelebt habe, war ich besonders zu Beginn oft einsam. Ich habe zwar viel mit Freunden und meiner Familie telefoniert, aber das ersetzt es nicht, mit einer Person zu sprechen, die wirklich anwesend ist.

Ich hatte es mir etwas einfacher vorgestellt, dort neue Kontakte zu knüpfen, doch mein schlechtes Spanisch und die vielen neuen Eindrücke, die ich zu verarbeiten hatte, machten das schwerer. 

Zwar habe ich irgendwann Freunde gefunden, doch ich verbrachte auch viel Zeit nur mit mir allein. Ich habe diese Momente sehr zu schätzen gelernt, da ich so vieles reflektiert habe und mir einiges bewusst wurde.

Wie möchtest du arbeiten?

Phuuu … "Arbeit" ist für mich nicht nur die Tätigkeit, die jemand ausübt, um Geld zu verdienen, sondern alles, in das sie oder er Energie investiert. Kreatives Schaffen, die Zubereitung guten Essens, das Pflegen einer Beziehung, oder die Weiterentwicklung des Geistes. Darum denke ich, dass Menschen durch fast alle Handlungen (an sich) arbeiten.

Ich bin seit kurzem bei der Deutschen Post als Briefträger angestellt. Nebenher versuche ich mich in ökologischen Projekten zu engagieren und bei Kreativsessions mit Freunden Klamotten zu gestalten, Bilder zu malen oder etwas zu basteln. Manchmal schreibe ich auch kurze Texte oder Gedichte nur für mich. Ich würde gerne noch reisen, einfacher Geld verdienen, mehr Zeit haben und ja, eine Ausbildung oder ein Studium könnten auch mal ganz sinnvoll sein – die Luxusprobleme meiner Generation.

Außerdem auf ze.tt: Pauline, 17 – "Alle zwei Tage höre ich dumme Kommentare von Männern"

Was setzt dich unter Druck?

Ich verspüre oft Druck, etwas schaffen zu müssen. Das bezieht sich manchmal auf das Leben generell und manchmal auf spezielle Dinge wie Kreativität, Geld verdienen oder Pünktlichkeit.

Der Druck ist nicht immer vorhanden, aber trotzdem empfinde ich ihn. Während meines Abiturs stand ich unter großem Leistungsdruck und wusste oft nicht, wie ich damit umgehen soll.

Wie war dein erster Kuss?

Schon als Kind wurde ich geküsst oder habe andere geküsst. Dem ersten Kuss, der mit Gefühlen verbunden war, folgte recht schnell auch der erste Sex. Der ist im Nachhinein betrachtet ein wichtigeres Ereignis für mich. Damals wusste ich nicht wirklich mit all den neuen Gefühlen und Dingen, die in mir ausgelöst worden waren, umzugehen. Ich denke, das lag auch an der schlechten Sexualaufklärung, die ich in der Schule bekommen habe. Und dem generell sehr schambesetzten Umgang mit dem Thema in der Gesellschaft. Die Frage nach Einvernehmlichkeit etwa wird in meinen Augen viel zu selten thematisiert. Dabei kann es um bestimmte sexuelle Handlungen, aber auch schon um Küsse oder Berührungen gehen.

Ich habe in der Schule eine schlechte Sexualaufklärung bekommen. Die Frage nach Einvernehmlichkeit beim Sex wird in meinen Augen viel zu selten thematisiert.
Felix, 20

Da ich mich in den letzten Jahren viel mit meiner eigenen Sexualität beschäftigt habe, fällt es mir jetzt leicht, über solche Dinge zu sprechen. Leider beobachte ich aber noch viel zu häufig auf Partys oder im Alltag Grenzüberschreitungen in dem Bereich und wünsche mir viel mehr Awareness. Deshalb habe ich mich auch während meiner Abizeit in Bielefeld in einem Aufklärungsprojekt engagiert, das Workshops zum Thema LGBTQIA in Schulklassen anbietet. Ich würde auch gerne hier in Berlin etwas in diese Richtung machen.

Was bedeutet für dich Familie?

Deiner Familie kannst du dich nicht entziehen. Auch, wenn du sie nicht regelmäßig siehst, ist sie immer da und hat dich geprägt. Familie kann einem unglaublich viel Kraft und Liebe geben. Gleichzeitig kann die Enge einer Familie auch erdrückend sein. 

Ich bin dankbar, dass ich so viel Rückhalt von meiner Familie bekomme und weiß, dass da Menschen sind, auf die ich mich immer verlassen kann.  

Ich möchte keine eigene Familie mit einem Partner und Kindern gründen. Für mich sind auch andere Formen von zwischenmenschlichen Beziehungen sehr wichtig und können zu einer Art Familie werden.

In welchen Momenten fühlst du dich nicht ernst genommen?

Ich war alleine in der Bahn unterwegs und hatte Klamotten an, die eindeutig nicht nach Cis-, Heteromann aussahen. Neben mir war eine Gruppe von jungen Leuten, die sich offensichtlich über mich lustig machten. Als ich dann ausstieg, um der Situation zu entkommen, wurde ich angespuckt. Ich war total überrumpelt und wusste gar nicht, wie ich reagieren soll. Vor Kurzem hatte ich in einer ähnlichen Situation das Glück, in Begleitung von Freundinnen zu sein, die sich mega für mich eingesetzt haben.

Solche Diskriminierungssituationen sind einfach scheiße und doch geschehen sie tagtäglich. Ob gegen queere Menschen, Frauen, People of Color oder Geflüchtete – es gibt viele Opfergruppen und Formen von Diskriminierung. Ich wünsche mir, dass mehr Leute füreinander einstehen und gemeinsam gegen Diskriminierung und Hass ankämpfen.

Wann hast du dich das letzte Mal so richtig glücklich gefühlt?

Manchmal ist Glück für mich eine Grundstimmung, die sich durch mehrere Tage oder Wochen zieht. Ein anderes Mal bin ich glücklich in Momenten mit guten Freunden, beim Musikhören, beim Sex, beim Tanzen oder wenn ich durch die Natur laufe. 

Glück kann aber auch sein, in der Bahn zu sitzen und von einer fremden Person angelächelt zu werden.

Teil 1: Sebastian, 19 – "Manchmal fühle ich mich einsam, wenn ich auf einer Party bin"

Teil 2: Feline, 17 – "Über meinen ersten Kuss habe ich mir viel zu viele Gedanken gemacht"
Teil 3: Evan, 18 – "Ich habe das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich nicht available bin"
Teil 4: Pauline, 17 – "Alle zwei Tage höre ich dumme Kommentare von Männern"
Teil 6: Nesrien, 19 – "Mein größter Traum ist es, eine eigene Strandbar im Süden zu eröffnen"
Teil 7: Mattis, 17 – "Ich wollte nie ein Scheidungskind sein"
Teil 8: Lilli, 19 – "Ich finde es schlimm, dass in Berlin so viel Kiez zerstört wird"