Florencia wurde mit 19 schwanger und entschied sich gegen das Kind. Doch in ihrer Heimat Argentinien sind Schwangerschaftsabbrüche verboten. 

Frauen mit grünem Glitzer im Gesicht, mit bunt gefärbtem oder ergrautem Haar, mit Kleinkind an der Hand, mit grünen Kleidern oder einfach nur mit einem kämpferischen Gesichtsausdruck: Auf dem Platz vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires versammelten sich Ende Februar Tausende Frauen und hielten dreieckige, grüne Tücher in die Höhe. Darauf steht in weißer Schrift: "Educación sexual para decidir. Anticonceptivos para no abortar. Aborto legal para no morir". Auf Deutsch bedeutet das: "Sexuelle Aufklärung, um entscheiden zu können. Verhütungsmittel, um nicht abzutreiben. Legale Schwangerschaftsabbrüche, um nicht zu sterben." Die Tücher sind das Erkennungszeichnen der feministischen Kampagne für legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien. Mit der Demo feierte die Bewegung auch ihren Jahrestag. 

Eine der Frauen, die an diesem Tag demonstrierten, ist Florencia. Kurz geschnittenes, pink gefärbtes Haar, und um ihr Handgelenk hatte sie das grüne Tuch geknotet. Sie trug kein Oberteil, hatte lediglich ihre Nippel mit schwarzem Klebeband abgeklebt und auf ihr Dekolleté mit schwarzer Farbe geschrieben: #YOABORTE – ich habe abgetrieben. Florencia ist 20 Jahre alt, wohnt erst seit Kurzem in der argentinischen Hauptstadt. Davor lebte sie in einer kleineren Stadt nicht weit von Buenos Aires entfernt. Die junge Frau stammt aus einem konservativen Elternhaus, ging auf eine katholische Schule. Aufklärungsunterricht habe es dort nicht gegeben, sagt sie. "Als wir etwa zehn Jahre alt waren, wurden wir Mädchen von den Jungs getrennt. Die Lehrerin sagte, dass wir einmal pro Monat bluten würden und jede bekam eine Packung Binden. Das war alles."

350.000 Schwangerschaftsabbrüche werden jährlich in Argentinien durchgeführt

Mit 19 Jahren wurde Florencia schwanger. Sie habe nicht gewusst, dass die Einnahme von Antibiotika die Wirkkraft der Pille beeinflussen kann. "Der Frauenarzt beglückwünschte mich – das fand ich lächerlich", sagt Florencia. Denn in ihr Leben passte kein Kind. Sie entschied sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Diese sind in Argentinien wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern jedoch nur legal, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam oder wenn das Leben der Mutter erheblich in Gefahr ist. Ein Abbruch aus anderen Gründen ist in Lateinamerika nur in Uruguay, Kuba und Mexiko-Stadt legal. Florencia ließ sich untersuchen, doch die Ärzt*innen schätzten die Schwangerschaft nicht als bedrohlich ein. Trotzdem wollte Florencia kein Kind – und beschloss somit, einen illegalen Abbruch durchführen zu lassen.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien wird vom Gesundheitsministerium auf circa 350.000 pro Jahr geschätzt. Im Vergleich dazu sind es in Deutschland nur etwa 100.000, bei knapp der doppelten Einwohner*innenzahl. Da ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmefällen legal ist, werden die Eingriffe oft unter prekären Umständen durchgeführt. Rund 50.000 Frauen würden jedes Jahr nach diesen Eingriffen in Krankenhäuser eingeliefert.

Die hohe Anzahl der Abbrüche ist nicht zuletzt auf die schlechte sexuelle Aufklärung von Jugendlichen zurückzuführen. Zwar ist inzwischen Sexualunterricht fester Bestandteil des offiziellen Lehrplans der weiterführenden Schulen, doch gilt das Thema besonders in konservativ-religiösen Regionen des Landes nach wie vor als Tabu.

Nach dem Eingriff wurde Florencia nicht medizinisch versorgt

Florencias Freund begleitete sie zu dem illegalen Eingriff. Ihrer Familie hat sie bis heute nichts davon erzählt. "Die Praxis war in einer Wohnung eines Wohnkomplexes in meiner kleinen Heimatstadt. Sie gaben mir eine Narkose, ohne mich vorzuwarnen und ich schlief ein. Ich habe keine Ahnung wie lange ich geschlafen habe oder was genau passiert ist", sagt die 20-Jährige. Als sie auf einer Liege wieder aufwachte, habe sie sich sehr schlecht gefühlt: schlapp, schwindelig, niedriger Blutdruck. Doch die Ärzt*innen hätten sich nach dem Eingriff nicht weiter um sie gekümmert. 

Ich habe stark geblutet und wusste nicht, ob das normal ist. Das hat aber niemanden interessiert.
Florencia

"Ich habe stark geblutet und wusste nicht, ob das normal ist. Das hat aber niemanden interessiert. Ich war allein, allein mit meinem Freund", sagt Florencia. Ihr Körper habe noch eine ganze Weile gelitten. Bauchschmerzen und Blutungen dauerten an. Eine*n professionelle*n Ansprechpartner*in habe sie nicht gehabt. 

Um den Vorfall zu verarbeiten, suchte Florencia eine Psychologin auf. "Als ich ihr von der Abtreibung erzählt habe, meinte sie nur, dass sie von sowas nichts wissen wolle", sagt Florencia.

Inzwischen gehe es ihr besser, sagt sie. Bei Veranstaltungen der Kampagne für legale Schwangerschaftsabbrüche habe sie Verbündete gefunden. Die Kampagne wurde 2003 bei einem nationalen Frauentreffen gegründet und hat besonders seit dem vergangenen Jahr viel Zulauf: Denn im August 2018 debattierte die Mitglieder des argentinischen Senats über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Zwei Monate zuvor hatte die zweite Kammer des Parlaments, das Abgeordnetenhaus, für den Gesetzentwurf gestimmt, der einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten 14 Wochen erlauben sollte. Im Senat stimmten schließlich nach einer 15-stündigen Debatte jedoch 38 Senator*innen dagegen und 31 dafür, zwei enthielten sich.

Die Frauen geben sich untereinander Kraft

Doch die Bewegung lässt sich davon nicht entmutigen. Sie planen weitere Demos, Kundgebungen und Protestaktionen. Florencia trifft immer wieder auf Frauen, denen Ähnliches passiert ist wie ihr. "Fast jede*r kennt eine Frau, die ungewollt schwanger war und entweder abgetrieben hat oder das Kind bekam", sagt sie. Die 20-Jährige fühlt sich von der Bewegung gestärkt. Keine der anderen Frauen verurteile sie für das, was sie getan hat. Vielmehr wird sie darin bestärkt, dass es nichts Verwerfliches war, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Florencia möchte verhindern, dass weitere Frauen dieselben schlechten Erfahrungen machen müssen wie sie.

Ein illegaler Schwangerschaftsabbruch ist wie Russisch Roulette.
Florencia

Zwar habe sie nochmal Glück gehabt, dass sie keine bleibenden körperlichen Schäden von dem Eingriff trägt. Aber: "Ein illegaler Schwangerschaftsabbruch ist wie Russisch Roulette", sagt Florencia. "Wer abtreiben möchte, tut das. Egal, ob es legal oder illegal ist. Aber wenn ein Schwangerschaftsabbruch legal ist, sterben wir nicht mehr daran." 

Buenos Aires ist inzwischen selbst im Alltag grün geworden. Viele der Aktivistinnen verlassen das Haus nicht mehr ohne das Tuch als politisches Statement. Sie wollen Druck auf die Politiker*innen ausüben, denn Ende Oktober diesen Jahres stehen Präsidentschaftswahlen in Argentinien an. Zuspruch erhalten die Frauen unter anderem von Gesundheitssekretär Adolfo Rubinstein sowie dem linken Senator und Filmregisseur Pino Solanas. Argentiniens Präsident Mauricio Macri von der konservativen Partei Propuesta Republicana steht hingegen nicht hinter der Liberalisierungskampagne. Dafür kann er für die kommenden Wahlen mit den Stimmen der sogenannten Lebensschützer*innen rechnen: Aktivist*innen von Pro Leben haben nämlich bereits angekündigt, lediglich Kandidat*innen zu unterstützen, die sich klar gegen eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen positionieren.