Es ist ein Freitag, als sich am 24. Oktober 1975 in Islands Hauptstadt Reykjavík Tausende Frauen auf dem zentralen Lækjartorg-Platz versammeln und gemeinsam die Arbeit niederlegen – 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung des kleinen Landes befindet sich im Streik. Die Frauen fordern Gleichheit unter den Geschlechtern, eine gerechtere Bezahlung und bessere Kinderbetreuung. Der FolksongÁfram stelpur, auf Deutsch Vorwärts Frauen, wird angestimmt. Mit diesem Aufstand der isländischen Frauen beginnt die Geschichte des modernen Frauenstreiks im Internationalen Jahr der Frau, das die Vereinten Nationen zuvor ausgerufen hatten.

Weltweit folgten weitere Frauenstreiks. 1991 in der Schweiz, wo Hunderttausende unter dem Motto Wenn frau will, steht alles still an verschiedenen Protestformen teilnahmen, zu denen der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Frauenkomitees aufgerufen hatten. In Spanien gingen 2018 fünf Millionen gegen Benachteiligung am Arbeitsplatz und häusliche Gewalt auf die Straße. Auch hier beteiligten sich die beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO, mobilisierten aber nur zu einer zweistündigen Arbeitsniederlegung.



Was ist ein politischer Streik?

Wie in Deutschland gestreikt werden darf, ist arbeitsrechtlich festgelegt. Demnach sind Streiks nur zulässig, wenn sie gewerkschaftlich organisiert sind und auf eine gleichgewichtige Verhandlung zwischen Tarifpartner*innen hinauslaufen.

Das ist bei politischen Streiks nicht gegeben. Politische Streiks haben das Ziel, die Politik unter Druck zu setzen und so Entscheidungen zu beeinflussen. Wer also im Rahmen eines politischen Streiks die Arbeit niederlegt, verfolgt damit Ziele, die über den eigenen Betrieb hinausgehen. Dadurch sind politische Streiks im Sinne des Arbeitsrechts nicht erlaubt. Verfassungswidrig sind sie allerdings nicht.

Was in Island, der Schweiz und Spanien, aber auch in Mexiko, Brasilien und den USA gelang, soll in diesem Jahr auch in Deutschland stattfinden. Gestreikt wird am Frauentag, dem 8. März. Wir haben mit Alex Wischnewski und Kerstin Wolter, zwei der Organisator*innen, darüber gesprochen, wie politischer Streik funktionieren kann, warum wir ihn brauchen und welche Rolle Männer bei einem Frauenstreik spielen.

ze.tt: Wie kann der Frauenstreik aussehen, wenn politischer Streik in Deutschland verboten ist?

Alex Wischnewski: Politischer Streik ist möglich, wenn sich eine kritische Masse bewegt. Es gab in der Vergangenheit politische Streiks, die nicht verurteilt worden sind. Wir sagen immer, wir sind der umgekehrte Fight Club. Erste Regel des Frauenstreiks: Rede über den Frauenstreik! Das ist beim Thema Care-Arbeit super wichtig, weil immer die Frage kommt: Wer fängt die dann auf? Es geht erstmal darum zu sagen: Heute machst du das! Und dann bestenfalls ein Gespräch darüber anzufangen, wie die Tätigkeiten im Haushalt und in der Familie verteilt sind. Eine Frau hat vorgeschlagen, einen Lächel-Streik zu machen. Einfach mal aufhören mit Nettsein. Es gibt auch Überlegungen dazu, Küchenschürzen, Geschirrtücher oder Bettlaken aus den Fenstern zu hängen, am besten mit Logo.

Wir sind der umgekehrte Fight Club. Erste Regel des Frauenstreiks: Rede über den Frauenstreik!
Alex Wischnewski

Warum richtet sich der Streik explizit an Frauen?

Kerstin Wolter: Es geht darum, die Forderungen von Frauen für Frauen sichtbar zu machen: Die Frage von schlechter Bezahlung, unzureichenden Transrechten und der Situation von geflüchteten Frauen.

Wischnewski: Tätigkeiten, die Frauen ausführen, werden oft schlechter oder gar nicht bezahlt. 80 Prozent der Teilzeitjobs werden von Frauen übernommen. Statistisch gesehen ist der Hauptgrund, warum Frauen in Teilzeit gehen, weil sie Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Bei Männern ist es Weiterbildung. 

Wolter: Wir haben in Deutschland mit der Planung angefangen, nachdem wir gesehen haben, was in Spanien 2018 möglich war, in den USA, in Mexiko oder in Brasilien, wo Frauenstreiks gegen die Wahl des rechten Präsidenten Bolsonaro stattgefunden haben. Es geht dabei meist gleichermaßen gegen unsoziale wie rechte Politik. Das Erstarken rechter Parteien und Stimmungen in der Gesellschaft sind eng verbunden mit antifeministischen Tendenzen. "Genderwahn, Genderideologie" so spricht Bolsonaro, so spricht Trump, so spricht die AfD.

In Spanien haben 2018 mehrere Gewerkschaften zum Frauenstreik aufgerufen. Können wir damit auch in Deutschland rechnen?

Wolter: Wir sind mit einigen Gewerkschaften im Gespräch. Bisher ist der Stand, dass sie aufgrund der rechtlichen Lage voraussichtlich nicht zum Streik aufrufen werden. Bei mehreren Gewerkschaften gibt es aber Beschlüsse zur Forderung, den politischen Streik zu legalisieren.

Wischnewski: Sie vermeiden das Wort Streik, aber sie rufen zu kreativen Aktionen auf, zum Beispiel zur kämpferischen Mittagspause.



So kannst du streiken, ohne eine Kündigung zu riskieren

Du musst am 8. März arbeiten und möchtest dich mit dem Frauenstreik solidarisieren, ohne deine Anstellung zu gefährden?

Kämpferische Mittagspause

Bei einer kämpferischen Mittagspause wird Pausenzeit für gemeinsame Protestaktionen genutzt. Da die Arbeit nicht außerhalb der erlaubten Pause niedergelegt wird, ist eine kämpferische Mittagspause nicht rechtswidrig.

Betriebsversammlung

Einmal im Quartal muss der Betriebsrat eine Betriebsversammlung einberufen. Du kannst mit Kolleg*innen den Betriebsrat dazu auffordern, den 8. März für diese Versammlung zu nutzen und einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die Gleichstellung von Männern und Frauen im Betrieb zu legen.

Solidarität zeigen

Darüber hinaus kannst du auch selbst kreativ werden. Lege Flyer aus, verteile Buttons oder beteilige dich im Vorfeld an der Organisation von Aktionen.

Warum wollt ihr trotzdem einen Streik und keine Großdemo?

Wolter: Großdemonstrationen wird es geben und sie schaffen auch Öffentlichkeit, aber wirklich Druck auszuüben, das schafft man, wenn man verweigert, etwas zu tun. Wenn man nur samstags zur Demo geht, dann stört das niemanden.

Wischnewski: Es gab so viel weniger Aufmerksamkeit für vergangene Frauenkampftag-Demos, als wir jetzt schon für den Frauenstreik bekommen. Und das liegt glaube ich daran, dass die Leute Angst kriegen, was passiert. Wir müssen unsere Machtposition ausnutzen.

Wir müssen unsere Machtposition ausnutzen
Alex Wischnewski

Es gab 1994 schon mal einen Frauenstreik in Deutschland, von dem viele gar nicht wissen. Was ist daraus geworden?

Wolter: Eine Million Menschen hat sich schätzungsweise beteiligt – und das im prä-Computer-Zeitalter. Gisela Notz, die damals schon den Streik mitorganisiert hat, erzählt heute, wie sie sich Faxe zugeschickt haben, um sich zu koordinieren. Und es war die post-Wendezeit, in der es auch darum ging, welches das Recht des wiedervereinigten Deutschlands wird. Ost- und Westfeministinnen kamen erstmals zusammen. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch der BRD war zum Beispiel viel repressiver als das der DDR. Zu den Forderungen gehörte auch die Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe.

Wie erreicht ihr Frauen, die außerhalb der Großstädte und linker Netzwerke arbeiten und leben?

Wischnewski: Es gibt ganz viele verschiedene Frauen, die sich darüber einbringen, dass sie sich in ihrem Umfeld über den Streik unterhalten. Die gehen nicht in feministische Netzwerke, weil sie kleine Kinder oder keine Zeit haben, weil sie einfach zu müde sind oder nicht politisch geschult. Das heißt nicht, dass diese Frauen sich nicht angesprochen fühlen.

Wolter: Viele Frauen und feministisch aktive Personen, werden nicht davon mobilisiert, wenn man einfach nur einen Flyer auslegt oder auf Facebook eine Veranstaltung erstellt. Wir müssen Klinken putzen. Das heißt, zu Mädchen- und Frauenzentren gehen und dort ins Gespräch kommen.

Und was machen die Männer beim Frauenstreik?

Wolter: Die witzigste Antwort auf diese Frage habe ich von einer Spanierin auf einem Panel gehört: Natürlich streiken auch die Männer, irgendwer muss ja am 8. März die ganze Arbeit übernehmen, die von den Frauen nicht geleistet wird. Wir rufen explizit dazu auf, dass Männer sich solidarisch zeigen, zum Beispiel indem sie Orga-Arbeiten übernehmen, Kinder betreuen oder kochen. Es gibt auch die Idee von Männer-und-Kinder-Blocks auf den Demonstrationen, sodass die Frauen in der ersten Reihe laufen können.

Wischnewski: Es gibt Bereiche, gerade in der Pflege, wo Männer als eigene Subjekte natürlich mitstreiken sollen. Vor allem wäre es gut, wenn Männer keine Streikbrecher sind. Es soll wehtun, dass die Frauen fehlen. Ich kann die Frage nach der Männerbeteiligung verstehen, aber trotzdem wäre meine erste Antwort, sie sollen sich einfach mal was überlegen. Männer buttern auch viel, aber es gibt ganz viele Frauen, die noch viel mehr buttern. Ich möchte viel lieber darüber reden, wie wir mehr Frauen und Queers beim Frauenstreik werden können und die Männer können machen, was sie wollen.

Männer buttern auch viel, aber es gibt ganz viele Frauen, die noch viel mehr buttern.
Alex Wischnewski

Was habt ihr gedacht, als der Frauentag in Berlin zum Feiertag erklärt wurde?

Wischnewski: Im ersten Moment: Come on! Kaum rufen wir zum Streik, kommt der Feiertag. Gleichzeitig will ich, dass die unbezahlte Arbeit und die Lohnarbeit, die auch an Feiertagen weitergeht, sichtbar gemacht und bestreikt wird. Das ist auch an einem Feiertag möglich. Statistisch gesehen haben Männer sehr viel mehr von einem gesetzlichen Feiertag, weil sie mehr lohnarbeiten und weil mehr Frauen auf die Kinder aufpassen, wenn die Kitas am Feiertag zu haben.

Wolter: Die Frage, wie viele Menschen sich an Protesten und Streiks beteiligen, hängt von dem Wutpotenzial der Frauen ab. Das ändert auch kein Feiertag. Ich sehe schon, dass die Idee hinter dem Feiertag Wertschätzung ist. Er gedenkt den Errungenschaften, die schon erkämpft wurden, aber wir sind noch lange nicht angekommen. Es gibt noch keine vollständige Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.

Wischnewski: Den Frauenkampftag zum Feiertag zu machen, ist in Zeiten des Rechtsrucks aber auch einfach schön. Die AfD-Fraktion hat sich zumindest tierisch aufgeregt.