Es ist der 11. Febuar 2017, als Miriam Zordel, 25, ein Selfie auf Instagram postet. Auf dem Foto lächelt sie in die Kamera. Daneben steht: "???? #fuckyoucancer #breastcancer".

Das Foto entstand eine Woche nach ihrer Diagnose: Brustkrebs. "Ich wusste, was es bedeutet, Krebs zu haben. Ich musste es bei meiner Mutter und anderen Verwandten schon miterleben", sagt Miriam. Gerade deshalb kümmerte sie sich immer um Vorsorge. Sie tastete sich ab, ging regelmäßig zum Frauenarzt, ernährte sich gesund.

Im August 2015 entdeckte sie einen kleinen Knoten in ihrer Brust. Doch ihr Frauenarzt versicherte, dass es ein gutartiger Tumor sei. Das tat er eineinhalb Jahre lang. Der Knoten schwoll bis auf das Doppelte an. "Ich habe meinem Frauenarzt vertraut, auf wen sollte man sich denn sonst verlassen", sagt Miriam. Im November 2016 schickte er Miriam in ein Brustzentrum, um den Tumor aus kosmetischen Gründen entfernen zu lassen.

"Ich war vor Ort immer noch in dem festen Glauben, dass es sich um einen gutartigen Tumor handelt", sagt Miriam. Dann kam die erschreckende Nachricht: Der Tumor ist bösartig. Miriam wollte das erst gar nicht wahrhaben. "Das Gespräch mit der Ärztin im Brustzentrum erlebte ich wie in einem Film, als wäre ich nicht wirklich anwesend gewesen, alles erschien mir so surreal."

Doch Miriam musste sich der Realität zügig stellen. Denn seither spielt ihr Leben in einem anderen Takt. Statt von ihrem Lehramtsstudium und ihrer Arbeit bei der Lebenshilfe in Köln, sollte ihr Leben von Therapien, Arztbesuchen und Medikamenten bestimmt sein.

Ich musste mich plötzlich damit beschäftigen, ob ich meinen halben Eierstock einfrieren lassen möchte, für den Fall, dass ich unfruchtbar werde.
Miriam

Noch in der Nacht, in der Miriam von ihrer Diagnose erfuhr, suchte sie auf Instagram nach anderen Betroffenen. Sie wurde fündig, nahm Kontakt auf und tauschte sich aus. Das war zu dem Zeitpunkt wie ein Rettungsring für sie.

Auch auf YouTube suchte sie nach jungen Brustkrebserkrankten, auf Facebook trat sie einer Brustkrebsgruppe bei. Wer könnte sie besser verstehen als anderen Betroffene in ihrem Alter? Sie chattete mit jungen Frauen, verfolgte ihren Umgang mit dem Krebs. "Klar, waren Freunde und Familie für mich da. Aber sie konnten nicht wirklich nachvollziehen, was ich durchmachte", sagt Miriam.

Es dauerte nicht lange, da kamen schon die ersten Vorsorge-Operationen auf sie zu: Ihr halber Eierstock wurde rausgenommen. Ihr wurde eine Portanlage in die Schulter gesetzt, damit ihr besser Lösungen injiziert werden konnten. "Ich musste mich plötzlich damit beschäftigen, ob ich meinen halben Eierstock einfrieren lassen möchte, für den Fall, dass ich unfruchtbar werde. Das waren Dinge, über die ich in diesem Zustand eigentlich gar nicht nachdenken konnte und wollte." Sie entschied sich dennoch dafür.

Es ist der 24. Februar 2017, in Köln feiern Tausende Menschen auf der Straße Karneval, während Miriam im Krankenhaus auf die nächste Besprechung wartet. Sie postet ein Foto auf Instagram und schreibt dazu: "Auch solche Tage gibt es. #fuckyoucancer #meinkarneval".

Im März 2017 beginnt die erste Chemotherapie. "Als ich merkte, wie sehr mir der Kontakt zu anderen Brubstkrebserkrankten half, entschloss ich, mein Leben mit dem Brustkrebs weiter öffentlich zu dokumentieren. Ich kam mit immer mehr krebskranken Menschen in Kontakt", sagt Miriam. Auf Facebook und Instagram tauschen sie Erfahrungen über Medikamente und Nebenwirkungen aus, geben sich Ratschläge oder hören sich einfach nur zu.

"Ich dachte mir: Wenn ich nur einer von so vielen jungen Brustkrebserkrankten helfen kann, dann lohnt es sich schon." Also ist Miriam weiterhin auf Instagram präsent. Immer mehr Nachrichten erreichen sie, von Menschen, die an ihrem Krankheitsprozess teilnehmen. Ob ihr das je zu viel wurde? "Nein. Ich habe mich über jede einzelne Nachricht gefreut", sagt sie.

Auch von ihren Freund*innen und ihrer Familie bekommt sie gute Rückmeldung und Unterstützung in dem, was sie tut. Viele Freund*innen verstehen Miriams Instagram-Auftritt zwar nicht unbedingt, aber sprechen ihr trotzdem gut zu. Sie unterstützen alles, was Miriam stärkt. Miriam verarbeitet ihre Krankheit, indem sie ihr Schicksal medial teilt.

Ihre Freund*innen, Familie und ihre Follower*innen sind für sie da, als sie ihr Haupthaar verliert und durch ihre zweite Chemotherapie fünfzehn Kilogramm zunimmt. Im August verliert sie Augenbrauen und Wimpern. Miriam fühlt sich in ihrer eigenen Haut nicht mehr wohl, "das waren die schrecklichsten Monate für mich."

Als Miriams Vater ihr die Haare abrasiert, fühlt es sich so an, als würde er ihr die Seele rasieren. "Ich war damit der Krankheit endgültig ausgesetzt, der Krebs hat mich damit gedemütigt. Er nahm mir die Haare, das Aussehen und machte meine Krankheit offensichtlich", sagt sie. Im Supermarkt nennt sie jemand Kampflesbe, weil sie eine Glatze trägt. Beim Sport gaffen ihr Menschen nach, weil sie eine Mütze trägt. Passant*innen starren sie mit einem mitleidigen Blick an. "Das ständige Mustern hat mich verletzt, also trug ich meistens eine Mütze. Manchmal war es aber so schlimm, dass ich zu Hause blieb, mich einmummelte und einfach nur traurig war."

Es dauerte sehr, sehr lange, bis sie selbstbewusst mit Glatze und von den Medikamenten aufgequollen auf die Straße treten konnte, ohne sich zu schämen. Mittlerweile geht sie wieder regelmäßig zum Sport, um den Kopf frei zu kriegen. Im September tritt Miriam dann wieder selbstbewusst auf die Straße. "Einer der schönsten Momente überhaupt", versichert sie.

Ich habe meine Lebensfreude nie verloren.
Miriam

Mit dem Ende der Chemotherapien kamen auch die Haare wieder. "Ich war so glücklich. Ich hab zum Ende meiner Chemo erst mal eine Hausparty geschmissen", sagt sie. Überall in ihrer Wohnung hängt sie zu dem Anlass Fotos auf, die sie während ihrer Therapien schoss.

"Ich habe meine Lebensfreude nie verloren", sagt sie, "nur unbeschwert konnte ich nicht mehr sein. Aber der werde ich wohl auch nicht mehr." Zwischen ihren Therapien verreist Miriam mit ihren Freund*innen und Familie ins Disneyland, in die Berge, ans Meer. Auch das dokumentiert sie auf Instagram. Sie versucht, jeden Sekunde ihres Lebens zu genießen, so gut es ihr gelingt und zu zeigen: Auch mit Krebs kann man glücklich sein. Sich nur zu Hause zu verkriechen? Das macht alles nur schlimmer.

Im Dezember 2017 endet ihre Therapie. Heute geht es Miriam gesundheitlich gut. Seit April diesen Jahres studiert und arbeitet sie wieder. "Ich genieße es, dass ich tun und lassen kann, was ich möchte – wenn ich es denn wollte", sagt sie. Sie ist unabhängig von Arztterminen, schweren Medikamenten oder ähnlichem. "Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, aufzuwachen und sich sehr bewusst zu sein: Es ist ein Geschenk, dass du lebst."

Eines möchte sie dennoch allen mitgeben, das ist auch auf ihrem Instagram-Account zu sehen: "Leistet Vorsorge, geht regelmäßig zum Arzt und lasst euch immer die Zweitmeinung eines anderen Arztes geben."