Nadja sitzt mir im petrolfarbenen Wollkleid gegenüber, ihre Hände wärmen sich an einer Kaffeetasse, ihr rechter Fuß wippt aufgeregt von oben nach unten. "Ich kann es immer noch nicht ganz verstehen", erklärt sie, "aber irgendwann dachte ich, ich wäre frigide."

"Und ich weiß, dass das Wort problematisch ist", schiebt sie hinterher. "Aber so habe ich mich halt gefühlt."

Die 32-jährige Nadja erzählt mir von ihrer letzten Beziehung, vielmehr vom Sex in ihrer letzten Beziehung. Der sei anfänglich sehr aufregend und neu für sie gewesen, aber irgendwann immer mehr eingeschlafen. Die beiden hätten sich nicht mehr gut verstanden, aber hätten so viel Stress auf der Arbeit gehabt, dass sich keine*r von beiden getraut hätte, die Beziehung in Frage zu stellen. Sex gab es dann fast gar nicht mehr. "Wir hatten vielleicht zwei bis drei mal Sex im letzten Jahr. Und das war ehrlich gesagt auch nicht schön, sondern hat mir sogar wehgetan. Und das hatte ich noch nie!", beschreibt Nadja die Situation.

Sie hätten nur wie zwei Fremde im Bett nebeneinander gelegen: "Es war auch nicht so, dass ich nur keinen Bock auf meinen Freund hatte. Ich hatte überhaupt keinen Bock. Noch nicht mal auf Selbstbefriedigung. Irgendwann dachte ich: Tja, das war's."

Keine Lust mehr

Was Nadja berichtet, kennt die Sexualtherapeutin Anja Drews nur zu gut aus ihrer Praxis.

Keine Lust auf Sex zu haben, betrifft einen Großteil der Paare, die bei Drews Hilfe suchen. Sie erklärt, dass bei Paaren oft die Vorstellungen davon, was die Partner*innen jeweils für "normal" halten, kollidieren: "Im Umfeld mancher Paare scheinen alle ein ganz tolles Sexleben zu haben. Da bin ich immer überrascht, wie dieser Eindruck zustande kommt. Aber wenn der erstmal da ist, wird das eigene Erleben eben hinterfragt."

Ich erzähle ihr von Nadja, die ja nicht nur keine Lust auf Sex hatte, sondern sogar Schmerzen dabei empfand. Für Drews ein deutliches Warnsignal: "Der Körper sagt ihr dann ganz klar, dass das, was sie macht, nicht richtig ist. Ihr kognitiver Verstand sagt ihr, sie soll es machen, aber der innere Widerstand ist da." In solchen Momenten fahre das vegetative Nervensystem hoch und gehe in den Abwehrmodus, die Beckenbodenmuskulatur ziehe sich zusammen. Schmerzen bei der Penetration sind die Folge.

Diese Warnsignale sollte man ernst nehmen und sich nicht zu etwas zwingen, was keine Lust bereite. Selbst wenn der Verstand sagt, es sei "mal wieder Zeit" für Sex, bringe es nun mal nichts, sich zu überwinden. Es müsse ja auch nicht gleich Penetration sein. Denn gerade wenn sexuell länger nichts gelaufen ist, kann das "übliche Programm" sogar überfordern. Dann macht es Sinn, sich zunächst in aller Ruhe aneinander anzunähern und sich erstmal nur gegenseitig zu stimulieren statt direkt – mit was auch immer – zu penetrieren. Aber gerade Nadjas Fall zeige auch, dass partner*innenschaftliche Probleme dahinterstecken können. Nadja hätte also ganz grundsätzlich mal schauen sollen: Wie ist denn die Beziehung als solche? Fühlt sie sich noch gesehen?

Die Sexualität verändert sich im Verlauf einer Beziehung. Ist ja klar, denn wir verändern uns im Lauf einer Beziehung auch.

Klar, klingt einfach, aber ist schwierig, wenn man selber in einer solchen Beziehung steckt. Drews betont, dass Paare dennoch versuchen sollten, sich nicht von Erwartungen an den Sex verrückt machen zu lassen: "Die Sexualität verändert sich im Verlauf einer Beziehung. Ist ja klar, denn wir verändern uns im Lauf einer Beziehung auch." Viele Paare würden denken, nur weil der Sex am Anfang einer Beziehung besonders intensiv, besonders toll oder besonders häufig gewesen sei, dass es immer so weiterliefe: "Dieser anfängliche Rauschzustand lässt sich aber nicht mehr aktivieren. Von diesen Vorstellungen sollten sich Paare erstmal befreien."

Was lässt sich denn tun?

Selbst wenn es einem Paar gelingt, sich von diesen Erwartungshaltungen frei zu machen – Lust möchten die meisten ja trotzdem wieder haben. Aber was tun? Ein Patentrezept gebe es nicht, betont Anja Drews, Sexualität sei nunmal eine sehr individuelle Sache. Eine Sexualtherapie könne natürlich helfen, aber was lässt sich tun, wenn Paare dafür keine Kapazitäten haben? "Das Wichtigste, was Paare brauchen, ist Zeit. Am Anfang nutzt man jede Minute, aber irgendwann kommt der Alltag dazwischen und dann aus dem Nichts heraus Lust zu haben, ist schwierig," erklärt Drews. Dann solle man sich auch Zeit nehmen und nicht versuchen, den Sex noch schnell zwischen zwei Termine zu quetschen oder sogar spätabends miteinander zu schlafen, während man heimlich auf den Wecker schielt um zu schauen, wieviel Schlaf man noch abkriegt.

Als zweites sei es wichtig, dem* der anderen gegenüber aufmerksam und achtsam zu sein: "Neben Zeit braucht man auch Achtsamkeit für den*die andere*n, und zwar den ganzen Menschen." Etwas, was Nadja und ihrem Freund vermutlich gefehlt hat, während sie nur noch nebeneinander her lebten, wie es Nadja beschreibt.

Schlussendlich, so Drews, sollte man sich aber auch einer Sache widmen, die vielleicht etwas altmodisch klingt: Verführung. Denn Sex ließe sich nunmal nicht einfach so verordnen. Lust auf Sex sollte, wenn sie nicht einfach so da ist, ein wenig hervorgekitzelt werden: "Verführung ist als drittes wichtig. Sich verabreden, morgens schon was Schönes anziehen, eine Nachricht schreiben, eine Einladung aussprechen. Den Sex schmackhaft machen."

Nadja selbst blickt mittlerweile auch mit anderen Erfahrungen auf ihre Ex-Beziehung zurück. Bei ihr, da ist sie heute sicher, war es tatsächlich die Beziehung selbst, die nicht mehr stimmte. Die Lust auf Sex sei nach der Trennung sehr schnell wiedergekommen. Trotzdem bereut sie, dass sie so lange nicht auf die Warnsignale gehört hat: "Lust ist nicht selbstverständlich, aber immerhin weiß ich mittlerweile, dass es nicht daran liegt, dass mit mir was nicht stimmt."