Die Künstlerinnen Mina Bonakdar und Elena Buscaino haben genug von Männern, die sich in der Bahn breitmachen: Sie entwerfen Hosen, die Frauen und Queers ermutigen sollen, mehr Raum einzunehmen.

Freitagnachmittag, Berlin, in der U8 Richtung Hermannstraße. Die Bahn ist voll, alle sitzen dicht an dicht, ungeduldig ihrem Feierabend entgegenfiebernd. Ein Mann mittleren Alters macht sich auf seinem Platz breit. Die Beine weit über seinen eigenen Sitz hinaus gespreizt, starrt er auf sein Handy. Links und rechts von ihm sitzen zwei Frauen, Beine überschlagen, aufgrund des beschränkten Platzes leicht zusammengekauert und von ihm abgewandt.

Ihm gegenüber sitzt Defne. Sie beobachtet den breitbeinigen Mann, sucht seinen Blick, schaut ihm geradewegs in die Augen. Langsam beginnt sie, ihre Beine zu spreizen. Der Mann blickt irritiert zurück. Doch was zunächst wie eine anzügliche Geste wirken mag, offenbart sich als politisches Statement: Stop spreading! steht in großen, weißen Lettern im Schritt ihrer Hose.

Die Frau trägt eine Hose des Modelabels Riot Pants Project der Berlinerinnen Mina Bonakdar (26) und Elena Buscaino (24). Sie studieren an der Berliner Universität der Künste, Mina lernt Modedesign, Elena visuelle Kommunikation. Mit ihren bedruckten Hosen wollen sie auf Manspreading aufmerksam machen.

Stop spreading!

Der Begriff Manspreading setzt sich aus den beiden englischen Begriffen man für Mann und spreading, zu deutsch spreizen, zusammen und bezeichnet eine üblicherweise von Männern eingenommene Sitzposition, bei der die Beine im öffentlichen Nahverkehr weit über einen Sitz hinaus gespreizt werden. New York war eine der ersten Städte, die versuchte, dieses Verhalten zu maßregeln. 2014 ließ man Hinweisschilder in den Bahnen anbringen, die Männer dazu aufforderten, das Manspreaden zu unterlassen: Dude, stop the spread, please heißt es auf den Schildern. In Madrid ist Manspreading seit 2017 in Bussen sogar gesetzlich verboten.

"Es gibt nicht die eine Situation, die uns dazu bewogen hat, uns mehr mit dem Manspreading zu befassen", sagt Elena. "Es war mehr eine gemeinsame Wut. Eine Wut auf cis Männer, die Raum einnehmen, der ihnen nicht gehört. Viele Frauen, Lesben, inter, non-binäre und trans Menschen müssen sich ihr ganzes Leben damit herumschlagen."

Seit 2019 produzieren Elena und Mina ihre Riot Pants und Riot Prints. Für Ersteres kaufen die beiden gebrauchte Hosen auf eBay Kleinanzeigen, auf Flohmärkten oder in Second-Hand-Läden, bedrucken diese und bieten sie anschließend in ihrem Onlineshop zum Verkauf an. Mit Riot Print gibt es für Interessierte außerdem die Möglichkeit, eigene Lieblingshosen einzuschicken und bedrucken zu lassen. Drei Logos bietet das Projekt an: Toxic Masculinity, Stop Spreading oder Give us Space können den Schritt einer Riot Pants zieren. Tragen dürfe die Hosen grundsätzlich jede*r, sagt Elena. Nur der letzte Spruch, Give us Space! enthält einen Disclaimer: Diese Hose sei nicht für cis-hetero Männer gedacht, "da diese ohnehin schon sehr viel Raum in unserer Gesellschaft einnehmen".

Es war eine gemeinsame Wut. Eine Wut auf cis Männer, die Raum einnehmen, der ihnen nicht gehört.
Elena

Ihre ersten Drucke realisierten die beiden in der Modefakultät ihrer Uni, zu Beginn nur für sich selbst. "Plötzlich wollten unsere Freund*innen auch solche Hosen haben. Da haben wir verstanden, dass das Projekt nicht nur für uns beide ist", sagt Elena. Sie bewarben sich bei einem Innovationswettbewerb ihrer Uni – und gewannen ihn. "Das hat uns nicht nur das nötige Startkapital geliefert, sondern uns auch ermutigt und uns gezeigt: Da ist Potenzial, macht damit weiter", sagt Mina.

Seitdem ist viel passiert. Eigentlich war für dieses Jahr bereits ein Event in der Volksbühne in Berlin geplant. Die Idee: Musik, künstlerische Performance und Hosenverkauf. "Wir haben ja keinen haptischen Laden, daher hatten wir uns total auf den Austausch gefreut", sagt Mina. Leider musste die Veranstaltung aufgrund der Covid-19-Pandemie abgesagt werden.

Dafür sind ihre Hosen seit September Teil einer Ausstellung im Goethe-Institut in Paris. Unter der Überschrift Decode Dresscode werden verschiedene Perspektiven auf gesellschaftlich geprägte Geschlechterrollen in der Fotografie beleuchtet. "Da sich unser Projekt mit geschlechtertypischen Körperhaltungen beschäftigt, hat es sich thematisch super eingebettet", sagt Elena.

Kein Trendfeminismus

Doch Elena und Mina können sich nicht richtig über ihren Erfolg freuen. "Zu Beginn ist unser Projekt sehr schnell relativ bekannt geworden. Anfang des Jahres haben einige Medien über uns berichtet, wodurch wir mehr Follower auf Instagram und mehr Aufträge für Hosen bekommen haben. Wir hatten das Gefühl, dass immer mehr Menschen die Hosen gekauft haben, weil sie eine Art Trendcharakter bekommen haben, und nicht mehr, weil sie wirklich hinter der Idee stehen. Dabei ist es genau das, was wir nicht wollen", sagt Mina. Ihr Ziel sei es, einen Diskurs über das Thema zu starten, Sichtbarkeit zu schaffen. "Leute sollen unsere Hosen kaufen, weil sie die Problematik erkennen und daran glauben, etwas verändern zu können. Nicht, weil es gerade cool ist. Von diesem Trendfeminismus distanzieren wir uns ganz klar."

Seit dem Start des Projekts habe ich ein ganz anderes Gefühl für mich selbst im öffentlichen Raum. Ich bewege und verhalte mich selbstbewusster.
Mina

Stattdessen wollen die Frauen aufzeigen, wie stark unsere Wahrnehmung von Geschlecht von bestimmten erlernten Erwartungen abhängt. Die Hosen verstehen sie als eine Art Geheimwaffe, eine verborgene politische Botschaft, die erst dann sichtbar wird, wenn man die Haltung des Gegenübers imitiert. Ob es widersprüchlich ist, dass das unerwünschte Manspreading nachgeahmt werden muss, um die versteckte Botschaft sichtbar zu machen? "Erst durch die Nachahmung wird dem Gegenüber nachvollziehbar, was seine Körperhaltung bewirkt", sagt Elena. Ihr Ziel sei es nicht, dass Frauen und queere Menschen künftig alle breitbeinig in der U-Bahn sitzen. Stattdessen wollen sie dazu ermutigen, Raum in Situationen einzunehmen, in denen sie sich das vorher nicht getraut hätten.

Dass Männer als Reaktion auf die Hosen tatsächlich ihre Beine schließen, passiere in der Praxis eher selten, sagen die Projektgründerinnen. "Oft scheinen sie in eine Art Trotzhaltung zu gehen und ihre Beine absichtlich gespreizt zu lassen", sagt Elena. Die Reaktion der Spreader sei jedoch zweitrangig. Vor allem wollen Mina und Elena die Träger*innen ihrer Hosen ermächtigen. "Seit dem Start des Projekts habe ich ein ganz anderes Gefühl für mich selbst im öffentlichen Raum. Ich bewege und verhalte mich selbstbewusster und fühle mich viel stärker und berechtigter", sagt Mina. "Dieses Gefühl ist so viel wert und so wichtig. Ich wünsche viel mehr Menschen, dass sie das Gleiche erfahren."