Klar: Romantik ist eine Erfindung der Moderne, Disney hat uns den Kopf verdreht, wir missbrauchen Gefühle als Ersatzreligion und als Shoppingerlebnis – indem wir potenzielle Partner*innen in einschlägigen Dating-Apps wie Schuhe bei Zalando auswählen. Wir konsumieren Affären und One-Night-Stands wie Rauschdrogen auf der Suche nach dem nächsten emotionalen Exzess, bevor wir eine Beziehung mithilfe von Tinder eingehen. Und letzten Endes wollen wir bitte noch Schicksal und Magie.

Wir wollen alles.

All das wird uns ständig um die Ohren gehauen, gestempelt mit dem Etikett "Generation Beziehungsunfähig". Man könnte meinen, Liebe sei unter uns zu etwas Gemeingefährlichem verkommen, vor dem man ständig auf der Hut sein muss. Wie wäre es denn da mal zu schauen, wie die großen Philosophen das vor über 2.000 Jahren hingekriegt haben?

Leidenschaft ja, aber nicht in der Beziehung

Liebe und die alten Griechen – stets assoziiert mit Knabenliebe und Hetären, den Edelprostituierten. Auf antiken Vasen verlustierten sich die alten Griechen recht ungeniert, sie haben es faustdick hinter den Ohren.

Deshalb genügte ihnen auch nicht ein Wort für die Liebe – sie hatten gleich drei: Eros ist Leidenschaft und Lust, Philia die freundschaftliche Zuneigung und Agape die altruistische Liebe.

Weil aber die romantische Liebe, wie wir sie heute kennen, erst Ende des 18. Jahrhunderts populär wurde, findet man diesen Begriff bei den alten Griechen natürlich nicht. Statt wie wir es heute tun, in einer einzigen Person Leidenschaft, Familie und Freundschaft zu suchen, trennte man damals diese Dinge. Und nicht umsonst ist Eros bei dem großen Philosophen Platon ein Dämon, der gezähmt werden muss. Für diese dämonische Verliebtheit gab es daher einen ganz bestimmten Ort.

Freundschaftliche Vernunft-Ehe

Die Ehe jedenfalls war nicht dieser Ort. Man heiratete nicht, weil man verliebt war, sondern die Ehe wurde arrangiert – auf der Basis wirtschaftlicher und freundschaftlicher Interessen.

Bestenfalls lernte man sich dabei auf einem Dorffest kennen, wobei der Mann um die Hand der Frau anhielt. Romantische Gefühle? Zweitrangig. Eine Heirat war notwendig, weil sie das Fundament für den sogenannten Oikos bot. Das war ein von der Familie geführter Bauernhof, bestehend aus Ehepaar, Kindern und Sklav*innen.

So setzte sich die griechische Polis, die Stadt, aus vielen Oiki zusammen – bot doch die Landwirtschaft die Hauptgrundlage für das Erwerbsleben und die Lebenssicherung.

Gefährliche Gefühle müssen draußen bleiben

Die freundschaftliche Vernunft-Ehe war die Norm und noch mehr: Zu viel Leidenschaft wurde sogar als Bedrohung für die Ehe gesehen. Kein Wunder: Unkontrollierbare Gefühle bergen zerstörerisches Potenzial.

Gefährlich für einen Vertrag auf Lebenszeit, verwoben mit Erwerbsarbeit und nichts geringerem als der eigenen Existenzgrundlage. Schön dosiert sollten Eros und Aphrodite deswegen am Werk sein: Nämlich nur rund um das Hochzeitsfest und insbesondere natürlich der Hochzeitsnacht, wurde die Braut aufwendig ausstaffiert, um den guten Gatten zu verführen. Schließlich durfte keine Zeit verschwendet werden, um Kinder in die Welt zu setzen. Blieb die Ehe nämlich kinderlos, wurde kurzerhand ein*e neue*r Partner*in geheiratet.

Zweifellos eine pragmatische Herangehensweise, vermutlich kein Sex um des Sex' Willen. Den fand man jenseits von alledem.

Affären und amouröse Spiele

Heiraten bedeutete keinesfalls Treueschwur – für Männer jedenfalls. Ehefrauen dagegen wurde diese Freude nicht vergönnt. Allerdings nicht aufgrund von Sexualmoral wie Monogamie. Sondern um sicherzustellen, dass die Kinder vom Ehemann gezeugt wurden, denn sogenannte Bastarde waren in der griechischen Polis verpönt.

Untreue Frauen wurden als Ehebrecherinnen stigmatisiert und vom Hof gejagt. Die Liebschaften der Männer dagegen waren außer Haus toleriert. Hierfür gab es auch noch die Qual der Wahl: Konkubinen als Prostituierte für den schnellen Sex und Hetären für die heiße Affäre. Eine Liaison mit so einer Femme fatale war Pathos auf hohem Niveau mit gebildeten Damen der griechischen Elite, die bei rauschenden Festen, den Symposien, umworben wurden. Hetären wollten erobert werden und das Spiel mit dem Feuer war nicht gerade billig: Kleider, Schmuck, Immobilien – alles im Rahmen des Möglichen, um eine Geliebte zu ergattern. Denn es ging nicht nur um intellektuellen Porno, sondern um l'amour fou.

Pure Vernunft darf niemals siegen

Klar: Wir wollen keinesfalls so leben wie vor 2.000 Jahren, wo Frauen auf erschreckende Weise diskriminiert wurden. Aber: Gestern wie heute ist es eine Herausforderung, in langfristigen Beziehungen das Glück zu finden. Vor allem, wenn man von einer Partnerschaft alles erwartet: Explosives Begehren und Sex bei 1.000 Volt, zum Einschlafen dann aber bitte Geborgenheit und Nähe, dazu noch Sicherheit für die gemeinsame Lebensplanung – genügend Freiraum inklusive.

Ist es nun also klüger ein Kind mit den besten Freund*innen aufzuziehen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vielleicht müssen wir es herausfinden. Zumindest gibt es auch heute etwas, dessen Zerbrechen häufig ein Desaster auslöst. Etwas, das nicht fragil sein sollte, sondern stabil. Etwas, das uns Halt gibt: unser Zuhause.

Wir gründen es in WGs, mit besten Freund*innen, aber am häufigsten auf der Basis romantischer Gefühle – die nicht selten für Drama sorgen und eine Trennung nach sich ziehen. Allein statistisch betrachtet wurden lange Beziehungen längst abgelöst durch kurze Episoden.

Ist es nun also klüger auf die ganz großen Gefühle zu verzichten?

Niemals. Es ist nur die Frage wie wir damit umgehen, ob wir unsere Konzepte überdenken müssen. Wir haben heute die Freiheit, uns zwischen unzähligen Möglichkeiten zu entscheiden. Aber wir sind nicht beziehungsunfähig. Wir sind auf der Suche. Und es geht darum, etwas zu versuchen, etwas zu wagen. Auch wenn wir mal scheitern. Große Gefühle sind ein Risiko wert. Jedes einzige Mal.