Limor Shifman, geboren 1974, ist Professorin für Kommunikation und Journalismus an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie ist spezialisiert auf Neue Medien, Popkultur und die soziale Konstruktion von Humor. Ihr Buch "Meme – Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter" ist 2014 in Deutschland erschienen. Wir erreichen sie über Skype in Los Angeles, wo sie derzeit an der University of California über Memes forscht.
ze.tt: Noch einmal zum Verständnis, was genau sind Internet-Memes?

Limor Shifman: Memes sind Texte, Bilder oder Videos, die durch das Internet reisen und dabei von Usern verändert werden. Es sind Imitationen. Ein gutes Beispiel ist die Ice Bucket Challenge.

Woher stammt der Begriff "Meme"?
Den Begriff hat der Biologe Richard Dawkins in seinem Buch "The Selfish Gene" geprägt. In einem Kapitel beschreibt er, wie kleine Einheiten von Kultur von Mensch zu Mensch weitergegeben werden, etwa Melodien oder auch Dinge wie Architektur. Dawkings beschreibt, wie die Weitergabe, ähnlich wie bei Genen, durch Kopieren und Imitieren geschieht. Das Wort "Meme" leitet sich vom griechischen "mimema" ab und lässt sich mit "etwas Nachgeahmtes" übersetzen. Und aus "mimema" hat Dawkins "Meme" gemacht, damit es sich auf "Gene" reimt.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass das Konzept von Internet-Memes nichts Neues ist.
Menschen haben immer schon das Verlangen danach gehabt, zu imitieren, was andere erschaffen haben. Memes hat es schon vor dem Internet gegeben. Zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg: Nachdem die US-Armee in Europa gelandet war, tauchte überall auf Toiletten oder Wänden entlang der Schlachtfelder der Spruch "Kilroy was here" auf. Dazu ein Männchen mit einer langen Nase.

Die Geschichte dahinter: Kilroy war ein Inspektor von US-Kriegsschiffen in Boston. Nachdem er die Schiffsteile kontrolliert hatte, schrieb er jedes Mal Kilroy was here drauf. Manche Schiffe waren voll mit dem Schriftzug. US-Soldaten haben das gesehen und den Spruch dann im Krieg in Europa imitiert, indem sie ihn überall ranpinselten. Für die Soldaten war das so eine Art "Insiderwitz". Sie wollten damit ausdrücken, dass sie Teil einer Gruppe sind. Und genau das passiert auch heute im Internet.
Was interessiert sie als Wissenschaftlerin an Internet-Memes?
Sie helfen mir zu verstehen, wie Menschen denken: Memes drücken oft politische Ansichten aus oder auch Einstellungen zu Geschlechtern. Über Memes kann ich Kultur besser begreifen. Und ich kann sie vergleichen: Etwa indem ich Memes aus verschiedenen Ländern nebeneinanderstelle und dadurch erkenne, wie unterschiedlich oder ähnlich Menschen in verschiedenen Nationen zum Beispiel über ihre Politiker denken. An so einer vergleichenden Studie arbeite ich gerade.

Und was haben sie herausgefunden?
Ich bin noch ganz am Anfang. Aber eine Erkenntnis ist, dass Nutzer überall auf der Welt sehr sensibel auf politische Inszenierungen reagieren. Etwa wenn Politiker Fotos veröffentlichen. Internetnutzer erkennen, wenn diese Fotos inszeniert oder manipuliert sind und machen dann Memes daraus - und zwar sowohl in China, als auch in Ägypten oder Israel.

Wie politisch ist die Meme-Kultur?
Vor allem in der jungen Generation tragen Memes stark zur Meinungsbildung bei. Wir sehen das gerade bei den US-Vorwahlen. Da gibt es sehr viele Memes über die einzelnen Kandidaten. Es gab zum Beispiel ein

sehr populäres Meme von Anhängern Bernie Sanders. Darin vergleichen sie Sanders mit Hillary Clinton. Clinton ist das uncoole Mädchen, das keine Ahnung von Popkultur hat, während Sanders als jemand gezeigt wird, der einen ausgezeichneten Geschmack für Kultur hat.

Gesellschaftsprägende Bildchen

In Ländern mit politischen Regimen bieten Memes den Menschen zudem die Möglichkeit, versteckt Kritik zu äußern. In China etwa provoziert man ja verhaftet zu werden, wenn man die Machthaber offen kritisiert. Was Internetnutzer also tun, um die Zensur zu umgehen: Sie erschaffen Memes in denen sie mit Wortspielen die fehlende Meinungsfreiheit anprangern.

Können Memes etwas verändern?
Memes sind so kraftvoll, weil Menschen sich in ihnen individuell ausdrücken können und gleichzeitig das Gefühl haben, Teil von etwas Größerem zu sein.

Die Ice Bucket Challenge zeigt ja, wie einflussreich Memes werden können. Die Kampagne hat 100 Millionen US-Dollar eingebracht. Das beweist, wie viel politische und ökonomische Macht in Memes stecken.
Für Sie sind Memes also mehr als nur witzige Bildchen und Videos im Internet?
Ich glaube, dass sie gerade deshalb so machtvoll sein können. Weil Menschen Memes für genau das halten: Für einen Witz. Und ohne viel darüber nachzudenken, drücken sie über die Memes Ängste, Ansichten und Gedanken aus – eben genauso wie bei Witzen.

Werden Memes irgendwann einmal so ikonisch sein wie berühmte Fotografien?
Dieser Prozess hat schon begonnen. Interessant ist, dass manche Fotos heute erst zu Ikonen werden, nachdem sie ein Meme waren. Zum Beispiel das Foto vom "Situation Room", das zeigt, wie US-Präsident Obama im Weißen Haus den Einsatz gegen Osama Bin Laden in Pakistan mitverfolgt. Das Foto verbreitete sich unheimlich schnell im Internet und ist heute auch so populär, weil viele Menschen ihre

eigenen Versionen daraus gebastelt haben.

Memes sind ein klassisches Beispiel für das Mitmachinternet. Inwieweit mischen professionelle Anbieter da mittlerweile mit?
Werbeagenturen sind voll mit dabei. Und sie machen einen ziemlichen guten Job. Viele Kampagnen wirken am Anfang wie nutzergenerierte Inhalte und werden imitiert. Und erst später begreifen die Zuschauer, dass es eigentlich Werbung ist.

Zum Beispiel das Video "First Kiss". Das war Werbung für eine Bekleidungsfirma. Die vermeintlich Fremden, die sich da küssen, waren allerdings Schauspieler. Kommerzielle Anbieter müssen mit solchen Kampagnen aufpassen. Denn es verärgert User, wenn sie herausfinden, dass etwas, von dem sie geglaubt haben, es sei echt, nicht authentisch ist.

Was macht ein Meme im Internet erfolgreich?

Ich habe für eine Studie Meme-Videos verglichen und dabei mehrere Eigenschaften gefunden, die solche Videos ausmachen: Sie zeigen in den meisten Fällen ganz gewöhnliche Menschen in skurrilen Situationen. Dazu sind die Videos humorvoll, einfach und repititiv.
Lässt sich so auch der Erfolg zum Beispiel von dem Meme "Damn Daniel" erklären?

Ich hab das Video nicht genauer analysiert. Aber es zeigt einen gewöhnlichen Jungen in einer merkwürdigen Situation. Und es ist repititiv, wie die Person hinter der Kamera jedes Mal "Damn Daniel" sagt. Dazu ist das Video witzig und einfach gehalten.

Sie sprechen davon, welchen Einfluss Memes haben. Dieser Einfluss hat aber auch seine Schattenseiten.1277081081470

Allerdings. Das Internet ist voll mit sexistischen und rassistischen Memes. Zum Beispiel das Annoying facebook girl. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass einzelne Menschen für Fehlverhalten zum Beispiel rassistische Kommentare an den Pranger gestellt werden und dann keine Chance mehr haben, sich dagegen zu wehren.

Aber auch wenn ich als Forscherin Memes nicht mag, heißt es nicht, dass ich sie nicht analysieren muss. Ich muss auch rassistische und sexistische Memes untersuchen. Einfach weil sie unverfälscht Meinungen und Gefühle ausdrücken, die ich als Sozialwissenschaftlerin verstehen möchte.
Zum Schluss: Was ist ihr persönliches Lieblings-Meme?