"Ich weiß nicht, wo dein Problem liegt – du stehst auf Männer und du schläfst mit Männern. Warum musst du denn dafür schwul sein?" Dieser Frage stellt sich die Protagonistin Mimi in dem Film MimiCry. Wieso kann sie sich nicht als heterosexuelle Frau akzeptieren? Eine Falschinterpretation, wie Regisseurin Jennifer von Schuckmann sagt. Mit MimiCry hat sie den ersten Film weltweit gedreht, der das Thema Girlfags, also sogenannte schwule Frauen, behandelt. Doch was genau bedeutet es, eine schwule Frau zu sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Der Versuch einer Definition

"Der Begriff schwule Frau ist umstritten, da er zu kurzgefasst ist", erklärt von Schuckmann, eine der wenigen, die sich in der deutschen Öffentlichkeit als Girlfag geoutet hat. "Aber er vereinfacht den Zugang zum Thema. Girlfags sind, mehr oder weniger, Frauen, die sich in schwule Männer verlieben und selbst als Schwule sehen – auch beim Sex." Dies bedeute nicht zwangsläufig, dass sich Girlfags wie trans Männer fühlen. "Das gibt es, das Spektrum der Girlfags ist sehr breit", so von Schuckmann.

Gäbe es einen Schalter, den man einfach umlegen und so das Geschlecht ändern könnte, die meisten Girlfags würden ihn betätigen. Den gibt es aber nicht. Deswegen geht es vielen Girlfags im Endeffekt darum, auf binäre heteronormative Gesellschaftszwänge zu verzichten. "Die meisten von uns sehen sich aber als non binary, weder ausschließlich weiblich noch männlich. Ich selbst habe mich mehr als einmal gefragt: Bin ich wirklich verliebt oder wäre ich lieber er?"

Selbstverständlich existiert auch das Pendant zu Girlfags, Guydykes, also Männer, die sich wie Lesben fühlen. Und es gibt Faghags, einen Begriff, der mit seiner doppelten Beschimpfung zumeist abgelehnt, in Ermangelung einer Alternative trotzdem verwendet wird. "Faghags sind Frauen, die sich gerne mit schwulen Männern umgeben." Im Unterschied zu Girlfags bezieht sich das aber ausschließlich auf die Kultur und nicht auf die eigene Sexualität und Identität. "Man kann es so ausdrücken: Jedes Girlfag ist eine Faghag, aber nicht jede Faghag ein Girlfag."

MimiCry: Erster Film über Girlfags

Vor zwei Jahren drehte Jennifer von Schuckmann den halbstündigen Film MimiCry, mit dem sie momentan auf Festivals auf der ganzen Welt unterwegs ist. "Sogar in Indien, Bulgarien und dem Libanon", wie sie stolz erzählt. Darin folgt sie Mimi auf ihrer Suche nach Sexualität und Identität. "Ich glaube nicht an eine Eindeutigkeit in Sachen Geschlecht und Sexualität", sagt von Schuckmann. "Man muss sich nicht entscheiden, das Dazwischen ist wichtig. Anders gesagt: Erst im Zusammenspiel ergeben die Farben einen Regenbogen." Generell rät die Regisseurin dazu, viel auszuprobieren: "Dadurch merkt man am ehesten, was einem gefällt und was nicht. Ich hatte zum Beispiel eine Punk- und eine Mädchenphase. Und ich war in Heterobeziehungen, die mich aber nie glücklich gemacht haben. Ich war auch mit einem schwulen Mann zusammen, allerdings war diese Beziehung eher platonisch."

Die Reaktionen auf MimiCry fallen unterschiedlich, zumeist aber positiv aus, wie Jennifer von Schuckmann erzählt: "Es gibt viele Fragen und es wird heftig diskutiert." Mehrere Frauen seien mit Tränen in den Augen auf sie zugekommen und hätten sich für den Film bedankt. Trans Menschen hingegen fühlten sich oft angegriffen, auch Schwule und Lesben seien nicht immer glücklich darüber. "Sie sagen: Wir haben so lange für unsere Rechte gekämpft, wozu braucht es jetzt auch noch euch? Es ist natürlich komfortabel, aus der eigenen Schublade zu sagen: Du darfst keine haben."

Übrigens, mit Fettes Brot, die im Jahr 2001 das Lied Schwule Mädchen veröffentlicht hatten, stand Jennifer von Schuckmann in Kontakt. Sie bekam die Erlaubnis, das Lied im Abspann zu spielen. "Fettes Brot haben mir am Telefon erklärt, dass sie zwei Beleidigungen aus der Hip-Hop-Kultur genommen haben, um daraus etwas Positives zu schaffen. Das ist von meinem Gedanken nicht weit entfernt." Im Endeffekt entschied sich von Schuckmann, der Atmosphäre wegen, doch gegen das Lied.

Girlfags und Guydykes in der Popkultur

Wo wir beim Thema Musik wären: In der Popkultur sind Girlfags und Guydykes bis dato nicht weit verbreitet. Jennifer von Schuckmann kennt dennoch einige Beispiele. Bereits in den achtziger Jahren veröffentlichte Alison Bechdel die Graphic Novel Dykes To Watch Out For, in der mit Stu zum ersten Mal ein Guydyke beschrieben wurde. Für viele Girlfags und Guydykes war die Lektüre des Comics augenöffnend, auch von Schuckmann begriff dadurch erst, dass ihre Identität die einer schwulen Frau war: "Ich habe an meiner Uni einen Comic-Workshop besucht, in dem auch Alison Bechdel gelesen wurde. Dadurch bin ich auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel gestoßen, ein machtvolles Erlebnis für mich."

In der Serie The L Word wird mit Lisa ein lesbischer Mann eingeführt, nicht wenige erkennen in der Figur der Dani in Sense8 ein Girlfag, ebenso Hannah aus Girls, zumindest teilweise, wovon von Schuckmann überzeugt ist: "Girlfags gab es schon immer, auch wenn das oft nur angedeutet wird." Der britische Komiker und Schauspieler Eddie Izzard ist geouteter Guydyke und auch Anne Rice, Autorin von Interview mit einem Vampir, habe sich öffentlich als "schwul" bezeichnet.

Für immer unglücklich verliebt?

Um sich gegenseitig zu informieren und zu unterstützen, wurde 2014 in Berlin ein Stammtisch für Girlfags und Guydykes gegründet, der sich jeden letzten Mittwoch im Monat im queeren Café und Veranstaltungszentrum Sonntags-Club im Prenzlauer Berg trifft. Hier sieht man alle Facetten, die es in diesem Spektrum gibt: non-binary-Personen, trans Menschen, bisexuelle Frauen, Girlfags, Guydykes. Der Stammtisch wird von Paul’a geleitet, die in einer Beziehung mit einer trans Frau lebt.

Und das funktioniert sehr gut, schließlich bedeutet die Tatsache, sich emotional wie sexuell zu schwulen Männern hingezogen zu fühlen nicht, zur Einsamkeit verdammt zu sein. Jennifer von Schuckmann erklärt: "Man kann auch mit genderqueeren Männern glücklich werden, mit bi Männern oder trans Menschen. Besonders gut passt auch die Kombination mit Guydykes."