In Bhutan sollen glückliche Menschen leben – zumindest war es das, was mir von den diversen Medienberichten in Erinnerung geblieben war, als das kleine Land im Himalaya vor ein paar Jahren "Glück" zur Staatsräson erklärte und das Recht darauf 2008 in der Verfassung verankerte. Das "Bruttonationalglück" sollte Bhutans Antwort auf die kapitalistischen Werte des Westens und sein "Bruttoinlandsprodukt" sein. Dafür installierte das Königreich einen Glücksminister, der das "Ministerium für Glück und Gastfreundschaft" seither seinen Amtssitz nennen darf.

Die erste Erfahrung mit der Freundlichkeit von Bhutans Menschen mache ich schon am Flughafen. Am Schalter bekomme ich statt nerviger Fragen zwei frankierte Postkarten geschenkt, die ich direkt an meine Lieben in der Heimat schicken kann.

In Paro befindet sich Bhutans einziger internationaler Flughafen. Wer in das kleine Himalaya-Königreich reist, landet zwangsläufig in diesem 15.000-Einwohner-Städtchen. Dass ich hier im Westen Bhutans sein darf, ist nicht selbstverständlich. Der Flughafen gilt als einer der gefährlichsten der Welt, weil der Pilot auf der unübersichtlichen Landebahn keine Leitsysteme nutzen kann. Er muss sein Flugzeug von Hand landen.

Als wir in Paro ankommen, wartet unser Führer Tobgay auf uns. Seit 15 Jahren arbeitet der 37-Jährige als Guide für eine der wenigen Tourismus-Agenturen Bhutans. Er wird uns in den Tagen unseres Besuches nicht mehr aus den Augen lassen. Denn wer nach Bhutan reisen will, muss sich einen staatlich gelenkten Reiseführer und ein Hotel nehmen. Er muss.

Wir, das ist das vierköpfige Team um den Frankfurter Reisefilmer Marko Roth, der sich unter anderem mit seinen Länder-Portraits von Oman oder Südafrika einen Namen gemacht hat.

Bhutan verfolgt eine strikte Einreise-Politik. Mindestens 250 US-Dollar muss man als Tourist pro Tag im Land lassen, sonst bekommt man kein Visum. Alles muss genau geplant und transparent sein, nur dann darf man einreisen. Offiziell möchte die Regierung so verhindern, dass Backpacker diesen "Zwerg von Land" in Massen bereisen und seine Kultur und Natur nachhaltig verändern.

Jahrzehnte lang hatte der asiatische Staat seine knapp 730.000 Einwohner vom Tourismus abgeschirmt. Kaum etwas war daher über das "Land des Donnerdrachens" über die Grenze der großen Nachbarn China (respektive Tibet) und Indien hinaus gedrungen. Das geheimnisvolle Königreich mit seinen Mönchen in den typisch weinroten Umhängen, es versteckte sich hinter seinen Bergriesen.

Doch die Abschottung endete Anfang der 1990er-Jahre, seither genießen immer mehr Wander-Begeisterte die Himalaya-Landschaft des buddhistischen Staates – mit seinen prächtigen Klöstern, den Reis-Terrassen und den gewaltigen Bergketten. 2000 Touristen kamen 1990. Im Jahr 2008, als sich Bhutan zur demokratisch-konstitutionellen Monarchie erklärte, waren es schon 22.000 Reisende – und 2013 sogar 90.000. Sie alle werden von offiziellen Reiseführern begleitet.

Backpacker sind "nicht zu kontrollieren"

Die Regierung habe sich auf ihre orange-gelbe Fahne geschrieben, dem Land "nachhaltig Wachstum" zu bescheren, erklärt uns Tobgays Chef, Tshering Dhendup. "Good Governance", Umweltschutz, der Erhalt des "bhutanisch-buddhistischen Geistes" und das "Recht auf Glück" – das seien die Wege, wie Wohlstand gesichert werden soll, sagt der zierliche Mann Mitte 50. Auch deshalb verschließt sich Bhutan dem Tourismus einerseits nicht länger, um dem armen Land mit ausländischem Geld eine lukrative Einnahmequelle zu bieten.

Doch öffnet die Monarchie die Pforten ihrer Tempel nur einen Spalt weit. Filmen darf man nur an jenen Stellen, an denen es uns Tobgay gestattet. Die Schattenseiten des armen Landes bleiben den Touristen so oft verborgen. Tobgay gibt unserem Filmteam so gut er kann die Route vor. "Massen- und Rucksacktourismus wollen wir nicht", sagt Dhendup. Backpacker wären schließlich "nicht zu kontrollieren". Denn welcher Rucksacktourist kann sich einen Tobgay leisten?

Es meldet sich das Misstrauen

Es gibt traumhafte Orte in Bhutan, natürlich. Doch je mehr ich von diesem "Land des Glücks" sehe und je mehr ich darüber von den Einheimischen erfahre, desto misstrauischer werde ich. 60 Prozent der Bhutaner verdienen mit Landwirtschaft und Viehzucht ihre Ngultrum. Rund 2500 US-Dollar stehen dem durchschnittlichen Bhutaner pro Jahr zur Verfügung. Ohne das Geld des Westens, das die "Touris" ins Land bringen, wäre der Ngultrum noch knapper. Armut und Glück, für mich will das zunächst nicht zusammen passen.

Im "World Happiness Report" der Vereinten Nationen steht Bhutan an 79. Stelle. Deutschland nimmt Platz 45 ein. Einen "Glücksminister" in Amt und Würden, aber im "Glücklich-Sein" nur Mittelfeld – wie geht das zusammen?

Vielleicht deshalb, weil die Bhutaner Glück als Folge einer recht mechanischen Kausalkette betrachten. Da Bhutan eine noch junge Demokratie ist, habe man das "Glück", bei den westlichen Ländern spicken können, erklärt Dhendup. Und alles, was einen Menschen am "Glücklich-Werden" hindern könnte, versucht die Regierung präventiv auszumerzen.

Weil Rauchen unglücklich macht

Und an dieser Stelle sind wir bei meinem Laster, dem Rauchen. In Paro gelandet, will ich vom Sicherheitspersonal wissen, "wie das denn mit dem Rauchen" so sei. "Das ist hier seit 2004 verboten", erklärt man mir. Ob ich Zigaretten dabei habe, will der "Samurai-Security" nun wissen. Ach, bleibe ich lässig, nur drei oder vier. Wenige Sekunden später unterschreibe ich einen Wisch und bezahle ein paar Ngultrum, eine Art Zollgebühr für die präzise abgezählten Kippen. Es waren vier. "Nun haben sie Ihre Lizenz zum Rauchen." Ich grinse. Er auch.

Mit Zigaretten soll man in "Druck Yul" verfahren wie hierzulande mit Cannabis: Wer damit dealt, zahlt eine immense Summe. Wer Tabak im großen Stile einführt, geht ins Gefängnis. Wieder Glück gehabt.

Rauchen schadet der Gesundheit. Und wer krank ist, der ist unglücklich. So argumentiert man in Bhutan. In Bhutan ist die medizinische Grundversorgung ebenso kostenlos wie Bildung und Erziehung. Niemand müsse hier auf der Straße leben, niemand hungern, sagt Dhendup, dafür sorge die Regierung.

Die Wahl der Religion ist frei. Die Frau gilt als Familienoberhaupt. Der Schutz der Natur ist eines der obersten Gebote; niemand darf hier in die Höhenlagen wandern; Plastiktüten sind verboten. Ich bin begeistert. Zunächst.

Die Wahrheit zeigt sich abseits der Hauptstadt

Noch in Paro, wo alle Touristen ankommen und meistens auch bleiben, waren diese bhutanischen Ansagen und Realität für mich stimmig gewesen: Die Luft war rein, die Straßen sauber und nur wenige Autos fuhren. Doch als wir in den Folgetagen in Richtung Bumthang im vom Touristen weniger besuchten Osten des Landes aufbrechen, bekommt die Fassade aus Sauberkeit und spiritueller Reinheit einen ersten Riss, der breiter als nur ein Türspalt ist.

Der Weg führt uns über eine Gebirgspass, der etwas von einer Buckelpiste hat. Die Menschen, die die Straßen ausbauen sollen, leben in notdürftig in Zelthütten direkt an der Straße, fast schon drauf. Männer mit ihren Frauen und ihren Kindern – inmitten einer staubigen und von Abgasen erfüllten Luft. Für rund ein Drittel, von dem, was der Durchschnitts-Bhutaner verdient, bessern sie Löcher in den Straßen aus, schleppen Steine und arbeiten mit Pickel und Schaufel – vornehmlich also mit der Hand.

Auf dem Markt in der Hauptstadt Thimphu bröckelt die Fassade weiter: Mein Chili-Pulver verpackt die alte Dame mit grimmigem Blick in – richtig: einer Plastiktüte. Sie kaut eine Bettelnuss, die in ein mit gelöschtem Kalk bestrichenen Blatt eingerollt ist. Die Nuss färbt ihren Speichel blutrot. Tobgay kaut die Dinger wie ich meine Zigaretten rauche; der gelöschte Kalk putscht auf. Gesund ist das nicht. Da hilft auch kostenfreie medizinische Versorgung nichts.

Glück ist keine Glückssache

Auch offenbart Bumthang später ein anderes Straßenbild: Dort versuchen zerbrechliche Bettler einem Früchte und Holz-Buddhas anzudrehen. Dort liegt der Müll am Straßenrand. Dort ziehen Jugendliche in der Öffentlichkeit genüßlich an ihrer Zigarette und die Polizei, die im ampellosen Bhutan den Verkehr noch von Hand regelt, steht daneben. Als dann auch ich die Hemmschwelle verliere und meine vierte Zigarette geraucht habe, ergo Nachschub brauche, frage ich Tobgay. Er hat kaum Mühe, mir im nächsten Tante-Emma-Laden eine neue Schachtel zu besorgen.

Dass das Verständnis von Glück in Bhutan einer idealistisch anmuteten Kausalkette folgt, bestätigt der Blick auf die Homepage des bhutanischen "Glücksministeriums". Hier definieren die Offiziellen neun Bereiche und 33 Indikatoren, die die Bevölkerung glücklich machen sollen – namentlich: psychologisches Wohlbefinden, die Verwendung von Zeit, die Vitalität der Gesellschaft, kulturelle Diversität, ökologische Resilienz, Lebensstandard, Gesundheit, Bildung und Good Governance. Glück ist keine Glückssache, so das Kalkül. Doch gemessen an den eigenen Standards hinkt Bhutan seinen Zielen hinterher.

"Das verdanken wir alles unserem geliebten König"

Bhutan, wo 1962 die erste Straße gebaut wurde, ist hoch verschuldet. Bis in die 1960er Jahre gab es kein öffentliches Bildungssystem. Die Arbeitslosigkeit ist enorm. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 66 Jahre.

Was ihn an seinem Heimatland beeindrucke, will ich von Tobgay wissen. "Die Natur", sagt er. "Bhutan ist grün und wunderschön. Das verdanken wir alles unserem geliebten König", antwortet Tobgay. Es klingt wie auswendig gelernt. Ob er gerne in Europa leben würde, frage ich nach. "Na klar!" Seinen Kindern könnten die USA oder Europa eine bessere Bildung geben.

Ob der Reiseführer-Job sein Traumberuf sei, will ich dann wissen. Tobgay wäre gerne Mönch geworden. Die kahlköpfigen Spirituellen hätten keine Sorgen, ihnen würde alles bezahlt, sie müssten nur beten. Ich frage mich, ob Spiritualität der Weg zum Glück ist? – ganz so, wie es die landläufige Meinung oft behauptet. In Bhutan finde ich die Antwort nicht. Die Gesichter der scheuen Priester lassen keine Deutung zu. Sie lächeln kaum. Sie wandeln umher.

Ist das Glück gescheitert?

Am Flughafen erfahre ich von einem Journalisten-Kollegen, dass Bhutans Regierung 2013, als mit Tshering Tobgay ein in den USA ausgebildeter Landsmann Premier wurde, die Politik vom "Bruttonationalglück" zugunsten einer eher kapitalistischen Politik zurückgefahren hat. Das "Glücksprojekt" schein gescheitert. Geld und Wohlstand sind nicht immer der Weg in ein glückliches Leben. Doch ohne einen gewissen Lebensstandard kein erfülltes Leben.

Kein Land ist eine Insel, denke ich mir, als ich mich am Flughafen in Paro auf die Heimreise vorbereite. Ich werfe noch einen kurzen, aber wehmütigen Blick in meine Schachtel Zigaretten. Dann entsorge ich die Tabakröllchen heimlich in einem Mülleimer. Es waren vier.

Am Ende muss ein jeder Glück dann doch für sich selbst definieren.