5.751 Kilometer oder 3.105 Seemeilen lagen hinter Greta Thunberg, als sie nach 21 Tagen auf dem Atlantik den Hafen von Lissabon erreichte. Von dort ging es mit dem Zug weiter zur Weltklimakonferenz nach Madrid, die am Sonntag mit einer gemeinsamen Abschlusserklärung der fast 200 teilnehmenden Länder endete. Die Klimaaktivistin befindet sich seitdem auf dem Rückweg nach Stockholm, der sie mit dem Zug auch durch Deutschland führt.

Nun sorgt ein Foto Greta Thunbergs für Aufregung, das den Eindruck vermittelt, sie habe auf ihrer Fahrt im ICE keinen Sitzplatz erhalten und müsse daher auf dem Boden sitzen. Ist es etwa einfacher, den Atlantik mit einem Segelboot zu überqueren, als einen Sitzplatz bei der Deutschen Bahn zu bekommen?

Auf dem Foto ist zu sehen, wie die Klimaaktivistin mit reichlich Gepäck auf dem Boden eines ICE sitzt und wenig erfreut aus dem Fenster schaut. Kommentiert hatte sie den Tweet mit den Worten: "In überfüllten Zügen durch Deutschland reisen"  – und zeigte sich demonstrativ entspannt: "Ich bin endlich auf dem Heimweg!"

Es ist ein Bild, das die Lebenserfahrung vieler Bahnreisender widerspiegelt. Überfüllte und verspätete Züge gehören bei der Deutschen Bahn zum Alltag. Keine rein subjektive Wahrnehmung, wie aktuelle Zahlen belegen. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen fielen im Jahr 2018 insgesamt 5,4 Prozent aller Fernzüge ganz oder teilweise aus. Die Zahl der komplett ausgefallenen Fernzüge hat sich von 1.700 im Jahr 2017 auf fast 3.700 im Jahr 2018 mehr als verdoppelt.

Das Foto Greta Thunbergs aus dem überfüllten ICE zog folglich etliche Reaktionen in den sozialen Medien nach sich – gerade auf Twitter und Instagram gibt es viel Spott gegen die Bahn: "Stell dich auf Verzögerungen ein", schreibt ein User. Ein anderer kommentiert nur knapp: "Willkommen in Deutschland!"

Auch für deutsche Medien war der Tweet ein gefundenes Fressen, um auf die Situation der Deutschen Bahn aufmerksam zu machen. So stellte etwa das Süddeutsche Zeitung Magazin auf Twitter die These auf, es sei einfacher, den Atlantik mit einem Segelboot zu überqueren, als einen Sitzplatz bei der Deutschen Bahn zu bekommen. Focus Online legte sich gar ganz fest und titelt: Greta findet keinen Sitzplatz im ICE.

So nah diese Vermutungen auch liegen mögen, ist diese Darstellung allerdings nicht ganz richtig. Wie ein Pressesprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage von ze.tt mitteilt, reiste Greta Thunberg am Samstag im ICE74 mit einem reservierten Sitzplatz in der 1. Klasse. Außerdem sei die 16-Jährige vom Servicepersonal der Bahn bestens umsorgt worden.

Dabei kann man Greta Thunberg nach einer dreiwöchigen Reise über den Atlantik nicht vorwerfen, dass sie sich auf ihrer Reise auf dem Land den Komfort eines Tickets in der Ersten Klasse gönnt. Wohl aber, dass sie mit ihrem Bild den Eindruck erweckt, sie selber sei von dem überfüllten Zug geplagt gewesen. Allerdings erwähnt Thunberg in ihrem Tweet auch mit keinem Wort, dass sie keinen Sitzplatz im ICE gefunden hatte und deswegen auf dem Boden sitzen musste. Sie wollte offenbar grundsätzlich auf die Notwendigkeit eines funktionierenden und nachhaltigen öffentlichen Personenverkehrs aufmerksam machen. In Madrid hatte sich Thunberg, die die Fortbewegung mit dem Flugzeug grundsätzlich ablehnt, mehrmals selbst zu Wort gemeldet. "Die Wissenschaft ist eindeutig, aber die Wissenschaft wird ignoriert.", sagte sie.

In Deutschland gibt es hierfür neuen Anlass zur Hoffnung. Seit Sonntag gilt der neue Fahrplan der Deutschen Bahn, der die Strategie des Konzerns für eine "starke Schiene" untermauern soll. Statt der üblichen Preiserhöhungen lockt die Bahn zum neuen Jahr mit günstigeren Tickets, mehr Verbindungen und auch mit mehr Sitzplätzen.

Update: Kurz nach der Veröffentlichung dieses Artikels äußerte sich Greta Thunberg auf Twitter wie folgt:

Artikel aktualisiert, 15.12.2019, 14:51