Im Januar 2015 gewann Syriza, das Bündnis radikaler Linker, in Griechenland die Parlamentswahlen. Die Partei war der institutionelle Arm einer Bewegung, die das ganze Land erfasst hatte: Jung und Alt, Arbeitende und Studierende gingen gegen die Sparpolitik der EU und die korrupten Eliten auf die Straße. Sie forderten einen Wandel. Syriza verlieh dieser Bewegung eine Stimme. Eines ihrer Wahlversprechen lautete: Wir beenden die europäische Sparpolitik. Mit diesem Versprechen gewann die Partei die Wahl.

In den folgenden Monaten kristallisierte sich jedoch heraus: Die EU wird nicht einlenken. Griechenland stand faktisch vor der Wahl, die Sparauflagen zu akzeptieren oder die EU zu verlassen. Im Juli ließ die Regierung dann die Bevölkerung abstimmen: Akzeptieren wir die europäischen Sparauflagen, Ja oder Nein? Die Mehrheit wählte Nein – die Regierung akzeptierte die Sparauflagen dennoch. Infolge dessen verließ über die Hälfte der Syriza-Jugend die Partei.

Der 27-jährige Petros beschloss damals, in der Partei zu bleiben. Er wollte herausfinden, ob linke Politik trotz des engen Spielraums der Sparauflagen möglich sei. Elias, 31, verließ die Partei. Er wirft den Bleibenden vor, all ihre Ideale über Bord geworfen zu haben und eine Politik auszuüben, die sie zuvor jahrelang bekämpft hatten. ze.tt hat mit ihnen darüber gesprochen, welche Kompromisse man als linke Partei an der Macht eingehen muss – und ab welchen Punkt sie sich selbst verliert.

Petros – Der Realpolitiker

ze.tt: Petros,

2015 entschied die Regierung gegen die Mehrheit der Bevölkerung, sich den Sparmaßnahmen der EU zu beugen. Vieler deiner Freund*innen verließen infolge dieser Entscheidung Syriza. Warum bist du geblieben?

Petros: Zu Beginn der Syriza-Bewegung dachten wir, wir würden alles verändern. Dass Griechenland die Wiege für eine sozialistische Bewegung sei, die ganz Europa erfassen und verändern würde. Wir dachten, wir wählen eine Alternative, die sich dann als Sackgasse herausstellte. Nach dem Ausgang des Referendums, hat sich bei vielen Menschen das Gefühl eingestellt, dass griechische Politik eigentlich nur Marionettentheater ist. Dass die wichtigen Entscheidungen sowieso von der EU getroffen werden.

Ich kann verstehen, warum viele meiner Freunde gegangen sind. Ich bin geblieben. Denn auch, wenn wir morgen kein sozialistischer Staat sein werden, gibt es Dinge zu tun. Dinge, die das Leben von Arbeitenden, der Jugend, Geflüchteten und vielen mehr konkret beeinflussen. Aber klar, die Entscheidung war nicht leicht. Für junge Menschen ist es glaube ich immer schwierig, zu den Konservativen zu gehören – sogar innerhalb einer linken Partei. Viele von denen, die gegangen sind, haben uns vorgeworfen, dass wir unsere Seele verkauft haben.
Was hat die Syriza-Regierung in den letzten zwei Jahren geschafft umzusetzen?

Stellen wir uns vor, was passiert wäre, wenn Syriza nicht in der Regierung wäre: Es gäbe noch stärkere Lohnsenkungen und Rentenkürzungen, noch mehr Privatisierungen, der finanzielle Ausnahmezustand würde jede demokratische Entscheidung verschlucken. Syriza hat große Teile davon verhindert. Außerdem haben wir als erste Regierung Steuerhinterziehung effektiv bekämpft. Wir haben die Privatisierung von Bildungsstätten verhindert. Zwar muss man immer noch Studiengebühren für den Master zahlen, aber wir konnten verhindern, dass diese auch für den Bachelor eingeführt wurden. Wir haben die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Partner ermöglicht. Wir haben durchgesetzt, dass alle geflüchteten Kinder in die Schule gehen können. All das wurde nur erreicht, weil Syriza in der Regierung ist. Und auch wenn es nur kleine Schritte sind, denke ich, dass es wichtige Schritte sind, für die es sich lohnt zu kämpfen.

Ich kann nur sagen, dass ich mich links fühle."

Aber hat die linke Regierung nicht auf voller Linie versagt, was die Lebenssituation von Geflüchteten im Land angeht?

Natürlich kann man immer mehr machen. Ja, die Zustände in den Camps waren und sind teilweise immer noch sehr schlecht. Es gab bürokratische Schwierigkeiten und Koordinationsprobleme bei den griechischen Behörden. Aber ich glaube, wenn man berücksichtigt, in welcher finanziellen Situation Griechenland ist und wie groß der Druck von rechtsextremen Parteien wie der Goldenen Morgenröte ist, hat die Regierung die Situation gut gehandhabt.

Ich glaube, die EU trägt die größere Verantwortung, was die Zustände in den Camps angeht. Die EU hat beschlossen, die Menschen hier festzuhalten, in einem Land, das mitten in einer Finanz- und Wirtschaftskrise steckt. Die EU stellt Griechenland nicht genügend Geld zur Verfügung. Und die anderen europäischen Länder nehmen viel weniger Geflüchtete aus Griechenland auf, als sie zugesagt haben.
Würdest du sagen, Syriza ist immer noch eine linksradikale Partei?

Ich finde die Diskussion darüber ein bisschen unnötig. Was bedeutet schon radikal? Einerseits werden wir von den Medien, Bankern und Reichen gehasst und bekämpft. Gleichzeitig müssen wir uns von linken Flügeln anhören, uns verkauft zu haben und nicht wirklich links zu sein. Wir mussten das Hauptquartier der Syriza-Jugend im Athener Anarchie-Stadtteil Exarchia aufgeben, weil es immer wieder zu Zusammenstößen kam. Ich kann nur sagen, dass ich mich links fühle. Wenn jemand das Gegenteil behauptet – von mir aus, darüber will ich nicht streiten. Aber ich diskutiere gerne mit jedem, der Alternativvorschläge zu unserer aktuellen Politik hat.

Elias – Der Idealist

ze.tt: Elias, warum hast du dich entschieden, Syriza zu verlassen?

Elias: Schon relativ bald nach dem Wahlsieg wurde klar, dass wir im Grunde nur zwei Optionen haben: die Sparmaßnahmen der EU akzeptieren oder die EU verlassen. Ersteres war für mich nie eine Option, weil im engen Rahmen der Sparmaßnahmen kein Raum für linke Politik ist. Doch innerhalb Syrizas wurden Stimmen lauter, die zu Kompromissen bereit waren. Also wurde das Referendum angesetzt. Viele in der Regierung dachten damals, dass die Mehrheit der Menschen dafür stimmen würde, die Maßnahmen der EU zu akzeptieren. Als die Mehrheit dann doch dagegen stimmte, nutzten sie die Unklarheit in der Formulierung des Referendums, um zu sagen: Wir haben nicht die Zustimmung der Bevölkerung für einen Austritt, wir müssen die EU-Maßnahmen akzeptieren.

Im Grunde macht Syriza gar keine Schritte in eine politisch linke Richtung."

Danach gab es für mich keine Möglichkeit mehr, in Syriza zu bleiben. Syriza hat den Willen der Bevölkerung zu Kämpfen ignoriert, sie haben ihre Meinung quasi über Nacht geändert und begonnen, all die Maßnahmen umzusetzen, die sie zuvor bekämpft haben. Meine Haltung nach dem Referendum war, dass man Neuwahlen hätte ansetzen müssen – bei denen sich Syriza klar gegen die Sparmaßnahmen positioniert, auch auf die Gefahr hin, die Wahlen zu verlieren. Doch die Mehrheit von Syriza wollte an der Macht bleiben. Sie dachten, sie könnten innerhalb des engen Rahmens der Sparpolitik der EU wenigstens kleine Schritte in die richtige Richtung machen.
Sind kleine Schritte nicht immer noch besser als nichts?

Ich verstehe, dass man in der Politik Kompromisse eingehen muss. Ich weiß, dass Dinge nicht über Nacht verändert werden. Aber ich glaube, auch wenn Syriza mit linken Phrasen um sich schmeißt, steuern sie eigentlich immer tiefer hinein in eine neoliberale Sparpolitik. Sie privatisieren öffentliche Güter, verschlechtern die Situation von Arbeitenden und schwächen die Stellung von Gewerkschaften. Sie sagen zwar nicht wie die rechtskonservativen Parteien, dass Geflüchtete und Migrierte rausgeschmissen werden sollten, aber sie führen die Flüchtlingspolitik der EU aus – was dazu führt, dass Menschen unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen. Also nein, im Grunde macht Syriza gar keine Schritte in eine politisch linke Richtung. Das zu sagen, soll nur gewährleisten, dass man an der Macht bleibt.
Gibt es noch eine große linke Bewegung, die gegen die Sparpolitik ankämpft?

Über Syriza muss man wissen, dass die Partei als Bündnis linker Gruppen aus der Bewegung heraus entstanden ist. Wir waren der festen Überzeugung, dass man eine aktive Gesellschaft bräuchte und zugleich eine Partei, die den zivilen Protest unterstützen kann – oder als Regierung sogar einen größeren Wandel anstoßen kann. Syriza war beispielsweise involviert in die zivilen Proteste gegen Studienreformen, Polizeigewalt, korrupte Eliten und die europäische Sparpolitik. Durch die Unterstützung und Beteiligung an den Protestbewegungen wandten sich besonders viele jungen Menschen der Partei zu.

Die Partei war die Hoffnung von hunderttausenden Menschen, die zuvor gegen die europäische Sparpolitik auf die Straße gegangen sind. Viele haben daran geglaubt, dass Syriza etwas Grundlegendes ändern würde. Sogar die Anarchist*innen haben daran geglaubt! Doch seit der Kapitulation Syrizas vor den europäischen Sparauflagen ist die ganze zivile Protestbewegung in sich zusammengebrochen. Seitdem sind viele Menschen enttäuscht und wütend. Das Gerede der griechischen Regierung von der vermeintlichen Alternativlosigkeit hat viele davon überzeugt, dass tatsächlich keine Veränderungen möglich sind. Der Frust ist so groß, dass sogar linke Gruppen, die sich gegen Syriza positionieren, Mitglieder verlieren. Linke Gruppen versuchen weiter, Menschen zum Protest zu mobilisieren – bislang allerdings mit eher bescheidenem Erfolg. Die Menschen haben keine Hoffnung mehr in einen Wandel und die politische Linke ist zu schwach, um eine Antwort darauf zu finden.
Engagierst du dich immer noch politisch?

Klar. Innerhalb von zwei linken Gruppen versuche ich zusammen mit anderen eine neue linke Strategie zu erarbeiten. Wir stellen uns gegen die bürgerliche Auffassung von Politik, wonach alle Macht von Institutionen ausgeht und die Macht des zivilen Protest unterschätzt wird. Wir versuchen, kollektive Strukturen innerhalb der Gesellschaft sowie die Macht der Arbeitenden und der Jugend zu stärken und linke Werte in der Gesellschaft zu verankern.

Aber klar, es reicht nicht, darüber nur innerhalb der Gruppen zu diskutieren. Auf das Reden muss Handeln folgen. Das City Plaza ist ein gutes Beispiel für das, was wir erreichen wollen. Das besetzte Hotel ist ein Raum, in dem Menschen solidarisch miteinander leben und sich selbst organisieren. Ich glaube, wir müssen mehr solcher autonomer Communitys innerhalb der Gesellschaft aufbauen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir die ganz große Politik aus den Augen verloren haben. Im Gegenteil: Wir wollen immer noch einen Wandel. Aber wir wissen jetzt besser als zuvor, dass dieser Wandel nicht einfach dadurch erreicht wird, dass wir in der Regierung sitzen.

ze.tt-Redakteurin Tessa berichtet für uns aus Athen. Habt ihr Themenvorschläge, die euch besonders interessieren? Oder Fragen, die euch beschäftigen? Oder wollt ihr ein paar Tsatsiki-Rezepte tauschen? Dann schreibt ihr doch eine E-Mail. Sie freut sich über Zuschrift und wird auf jeden Fall in der dritten Person antworten.