Hannah war zehn Jahre alt, als sie merkte, dass mit diesem Dokument etwas nicht stimmte. Sie besuchte mit ihrer Familie ein Schwimmbad und ihre Eltern zeigten an der Kasse ihren Schwerbehindertenausweis vor. "Was ist das?", fragte das Mädchen mit Downsyndrom. "Warum habe ich das, warum haben das die anderen nicht?" Sie fühlte sich durch den Ausweis ausgegrenzt, erzählt ihr Vater Kai Bruhn, 59.

Ursprünglich soll der Ausweis helfen. Er ermöglicht etwa günstigere Fahrten mit Bus und Bahn oder erleichtert den Anspruch auf Wohngeld. Er ist dazu gedacht, Nachteile auszugleichen. Er ist aber auch ein Symbol dafür, anders zu sein als die anderen. Für Hannah steht er stellvertretend für die komischen Blicke in der Bahn oder die gelegentlichen Hänseleien in der Schule.

Aus etwas Diskriminierendem etwas Positives machen

"Hannah ist sehr unzufrieden mit diesem Ausweis", sagt ihr Vater. Und so entstand in ihr der Wunsch, den Ausweis mit einer positiven Bedeutung zu versehen. Weil Hannah sprachlich sehr begabt ist, verfasste sie in der Schreibwerkstatt ihrer 8. Klasse einen utopischen Aufsatz. Darin heißt es: "Ich möchte, dass mein Ausweis umbenannt wird. Ich möchte, dass er Schwer-in-Ordnung-Ausweis heißt. Ich finde Schwerbehindertenausweis ist nicht der richtige Name für meinen Ausweis."

Weiter erzählt sie in der Geschichte davon, wie sie ihren neuen Ausweis beim Busfahren vorzeigt oder zu Hause den Eltern präsentiert. Aus einem Dokument, das sie gefühlt ausgrenzt, wird etwas, was sie stolz macht.

Gemeinsam mit ihrer Lehrerin und den Eltern entschied sie, den neuen Ausweis real werden zu lassen – allerdings nur auf der Hülle und nicht auf dem amtlichen Dokument selbst. Und so wurde aus einem Schwerbehindertenausweis ein Schwer-in-Ordnung-Ausweis.

Es schlägt hohe Wellen." – Kai Bruhn, Hannahs Vater

Davon hätte wohl kaum jemand etwas mitbekommen, wenn Hannahs Aufsatz und ein Bild des Ausweises nicht im Magazin zum Downsyndrom Kids aktuell (pdf) abgedruckt worden wäre. Dort entdeckte es wiederum ein Twitter-User.

Seit die Familie aus den Herbstferien zurück ist, steht das Telefon kaum still. "Es schlägt hohe Wellen", sagt Bruhn. Auch wenn er kein Interesse daran habe, dass Hannah zum Superstar gehypt würde, sei der Rummel doch für etwas gut, sagt Bruhn. Denn noch immer wären die 30.000 bis 50.000 Menschen mit Downsyndrom in Deutschland nicht vollständig integriert und akzeptiert. "Es ist noch viel zu tun, bis zur gleichberechtigten Teilhabe", sagt er. Die Diskussion um den Schwer-in-Ordnung-Ausweis macht den Weg dorthin vielleicht etwas kürzer.