Propaganda war nicht sein Ding. "Die Regierung war scheiße, die Leute waren toll", sagt der gebürtige Sachse heute über die DDR. Auf den Bildern des 65-Jährigen sieht man Alltagsgewusel, aber kaum Marschierende bei Militärparaden. Harald Hauswald wird auch "Chronist der DDR" genannt, der bekannte Fotograf und Mitgründer der populären OSTKREUZ Agentur wollte die DDR zeigen, wie er sie erlebte, als "eine graue Freude". Weil es kaum Möglichkeiten gab, als Fotograf zu arbeiten, verdiente er sein Geld zunächst als Gerüstbauer, Industrieanstreicher, Heizer und Restaurator.

Vor 41 Jahren zog er dann nach Ost-Berlin und begann 1978 als Telegrammbote durch die Straßen im Prenzlauer Berg zu ziehen. Immer mit dabei: seine Kamera, Typ Praktica, DDR-Eigenmarke. Seine Bilder schoss er meist in schwarz-weiß, zunehmend auch als Auftragsfotograf für West-Medien. Das kriegte die Stasi mit und bespitzelte ihn, eingebuchtet wurde er nie. Im Interview erzählt er, warum er nicht "rübermachte" und warum er am 9. November 1989 auf Wolke 7 schwebte.

ze.tt: Herr Hauswald, heute würde man Ihre Bilder unter #streetphotography auf Instagram verhashtaggen – Sie haben oft vermeintliche Kleinigkeiten, knutschende Pärchen, Hooligans, Szenerien aus dem Straßenleben fotografiert. Was hat Sie daran fasziniert?

Harald Hauswald: Die laufen auch unter dem Hashtag (

lacht), aber ich poste sie nicht selbst. Ich bin eindeutig ein Straßenköter: Mich faszinieren die Überraschung, die Neugier, der Zugang zu Menschen. Hooligans, Punks und Grufties, mein Fotoapparat ist die Eintrittskarte in die Welt außerhalb des Otto-Normal-Verbrauchers.

Noch heute erkennen sich Menschen auf meinen Bildern wieder oder Bekannte oder Angehörige von ihnen. Auf einem meiner bekanntesten Bilder etwa, U-Bahn von 1987, entdeckte die Tochter des Herren rechts im Bild Jahre später ihren mittlerweile verstorbenen Vater. Das Bild selbst entstand, als ich mit meiner Freundin auf dem Heimweg von einer Party in der Oderbergerstraße war, auf der wir Hash-Cookies gegessen hatten. Wir gickelten erst und dann war es ihr urst peinlich, dass ich sieben Mal knipste, um die Männer zu fotografieren, dass sie einfach aus der U-Bahn ausstieg.

Was ist Ihr Lieblingsfoto von all Ihren Bildern und was sieht man darauf?

Leute, die 1983 bei einem Heimfest in Bansin auf einer Beton-Tischtennisplatte zur Musik aus einem Kassettenrekorder tanzen. Ein paar, die drumherum stehen, und ansonsten nichts, außer Wiese. Man sieht eine gewisse Tristesse – aber es wurde trotzdem gefeiert.

Sie haben noch zu DDR-Zeiten als erster Fotograf anonym oder unter Pseudonym mit westdeutschen Medien zusammengearbeitet. Wie lief das ab?

In Berlin haben circa 20 West-Journalisten gelebt, die haben das Material rüber und nüber geschleust. Mit einigen war ich befreundet, und wir haben über die Umstände gesprochen, die waren auch daran interessiert, Informationen zu kriegen. Alleine das war schon illegal, einfach nur zu reden. Zusammengearbeitet habe ich zum Beispiel mit der ZEIT, der taz, dem Stern und GEO.

Haben Sie nie daran gedacht, rüberzumachen?

Wenn sie versucht hätten, mich einzusperren, wäre ich sofort in den Westen gegangen. Solange das noch ging, wollte ich es ausreizen, weil ich eine Aufgabe darin gesehen habe, in dem, was ich gemacht habe. Die Ecken zu zeigen, die eben nicht im Neuen Deutschland oder in der Aktuellen Kamera zu sehen waren.

Wenn sie versucht hätten, mich einzusperren, wäre ich sofort in den Westen gegangen.
Harald Hauswald

Die Stasi observierte Sie unter der Vorgangsbezeichnung "Radfahrer" – hielt man Sie wohl für besonders sportlich?

Im Gegenteil (lacht), ich hatte gar kein Fahrrad. Ein Freund von mir hatte 1983 eine Fahrrad-Demo organisiert, ich habe dann ein paar Freunden davon erzählt und mir für die Demo ein Rad geborgt – und die Stasi dachte, ich hätte die organisiert, deswegen haben die mich "Radfahrer" genannt. 40 IMs [Hinweis der Redaktion: Inoffizieller Mitarbeiter] waren zwischenzeitlich auf mich angesetzt.

Am 9. November 2019 jährt sich der Fall der Mauer zum 30. Mal – was empfinden Sie dabei?

Der 9. November war der schönste Glückstag in meinem Leben. Das war Wolke sieben. Ich bin an der Invalidenstraße rüber und beim ersten Schritt nach West-Berlin traf ich einen Freund von mir, den ich 13 Jahre nicht gesehen hatte. Wir sind uns um den Hals gefallen und haben geheult wie die Schlosshunde. Dann habe ich noch mehr Leute getroffen und wir sind alle zusammen in die Kneipe Kuckucksei nach Kreuzberg gefahren. Da war der halbe Prenzlauer Berg, es gab Freibier und wir haben bis Früh halb sieben gefeiert.

Der 9. November war der schönste Glückstag in meinem Leben. Das war Wolke sieben.
Harald Hauswald

Am Morgen danach habe ich meine Tochter davon abgehalten, in die Schule zu gehen und habe uns ein Visum besorgt. Wir verbrachten dann das ganze Wochenende bei einem Freund in West-Berlin und aßen exotische Sachen: Artischocken, Radicchio und Avocado.

Sie sind 1978 nach Prenzlauer Berg in Ost-Berlin gezogen. Was vermissen Sie im Stadtbild, wenn Sie das "damals" mit dem "heute" vergleichen?

Ich vermisse die Leute, die damals hier gewohnt haben. Wenn ich vor 30 Jahren hier rumgelaufen bin, habe ich in einer Stunde ein Dutzend Leute getroffen, die ich kannte. Wenn ich heute spazieren gehe, treffe ich einen. Und die Neubauten, die sie hier dazwischen knallen, mit den Glasfassaden, finde ich furchtbar.

Die Farbfotografien stammen aus: Harald Hauswald: Ferner Osten. Die letzten Jahre der DDR. Fotografien 1986-1990. Herausgegeben von Mathias Bertram. Leipzig: Lehmstedt Verlag, 2019. ISBN 978-3-942473-50-7. 28,00 Euro

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