Das Thema soziale Gerechtigkeit gehört nicht unbedingt zur Kernkompetenz der CDU. Findet jemand keinen Job, muss sich mit mehreren Minijobs durchschlagen oder unterhalb der Armutsgrenze leben, ist er*sie meist selbst schuld daran. Hat wahrscheinlich einfach "nichts Ordentliches gelernt", wie der damalige Generalsekretär Peter Tauber sagte.

In ähnlichem Tonfall äußerte sich nun der künftige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn. Hintergrund war die Zurückweisung von nicht-deutschen Staatsbürger*innen bei der Essener Tafel. Wenn es die Tafeln nicht gäbe, müsste in Deutschland niemand hungern, da mit Hartz IV jede*r das habe, was er zum Leben bräuchte, ließ er wissen.

Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut." – Jens Spahn

Weiter sagte er: "Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt." Die gesetzliche Grundsicherung werde genau bemessen und regelmäßig angepasst. "Mehr wäre immer besser", räumt Spahn ein. "Aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen."

Sandra empfindet Aussagen menschenverachtend

Aussagen, die Sandra nicht nachvollziehen kann. Seit mehreren Jahren lebt die 40-jährige Baden-Württembergerin von Hartz IV. Als gelernte Bürokauffrau und rechtliche Inkassofachkraft sei der Arbeitsmarkt übersättigt und wenige Arbeitgeber*innen flexibel genug, um die Bedürfnisse einer alleinerziehenden Mutter zu bedienen, sagt sie zu ze.tt. Der Versuch in der Selbstständigkeit ist für Sandra nach drei Jahren gescheitert, aus der letzten Anstellung wurde sie während der Probezeit entlassen.

Spahns Aussagen empfindet sie respektlos, verletzend und menschenverachtend. Darum hat sie eine Petition gestartet, in der sie ihn einlädt, einen Monat lang vom Hartz IV-Grundregelsatz von 416 Euro zu leben. Danach würde sie auch gerne mit ihm einen Kaffee trinken gehen und noch einmal darüber sprechen, was Armut wirklich bedeutet.

Sandra erzählt, dass sie das nur fair finden würde. Denn es sei Zeit für eine Entschuldigung. "Von Herrn Spahn kam leider bisher noch nichts. Aber ich warte brennend darauf", erzählt sie. Seit dem Start der Petition bekommt Sandra viel Zuspruch. Nicht nur aus ihrem privaten Umfeld, von denen viele bisher gar nicht wussten, in welcher prekären Situation sich Sandra befindet.

Sie schämt sich, öffentlich zuzugeben, Sozialleistungen empfangen zu müssen, schreibt sie in der Petition. "Der Wille, die Aussagen von Jens Spahn nicht einfach vorüberziehen zu lassen, ist stärker als die Scham", schreibt die Mutter eines zehnjährigen Sohnes weiter. "Jens Spahns Aussagen zeugen nicht nur von Unkenntnis. Sie entlarven, wie weit Herr Spahn sich von meiner Realität und der von Millionen Deutschen entfernt hat".

Die Petition selbst hat keine Obergrenze oder zieht keine rechtlichen Konsequenzen nach sich. Es geht darum, auf das Problem aufmerksam zu machen und Bewusstsein zu schaffen. Zum jetzigen Zeitpunkt (11:23 Uhr) unterzeichneten 14.407 Menschen den Antrag.