Wer im Suchfeld von Google derzeit die beiden Worte "Flüchtlinge können" eingibt, erhält als Vorschläge: "Flüchtlinge können nichts" oder "Flüchtlinge können gratis telefonieren". Der erste Vorschlag diskriminiert eine ganze Gesellschaftsgruppe, der Zweite ist eine Falschaussage. Wer "Frauen sollten" eingibt, erhält als Suchvorschlag: "Frauen sollten sich rar machen", ein frauenfeindlicher Stammtischspruch.

Das sind nur zwei aktuelle Beispiele für ein Problem der Google-Autoverfollständigung. Die deutschsprachigen Suchvorschläge von Google ergeben häufig rassistische, sexistische, misogyne, antisemitische, behindertenfeindliche, falsche, stereotype oder teilweise rechte und sogar rechtsextreme Aussagen. Hier weitere Beispiele, die ze.tt am 3. September 2018, sammelte:

Besonders eindrücklich, wer "Migration ist" eingibt, erhält als Suchvorschlag: "Migration ist das trojanische Pferd des Terrorismus". Das ist eine Aussage des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der damit eine Verschärfung des Asylgesetzes rechtfertigte. Orbán wird für den Spruch bis heute auf rechten Plattformen gefeiert. Wer "Auschwitz ist" eingibt, dem schlägt Google das Suchergebnis "Auschwitz ist eure Heimat die Öfen euer Zuhause" vor. Dieser Spruch war 1999 auf einem Transparent rechtsextremer Hooligans des Fußballvereins Lazio Rom zu lesen.

Jede*r Dritte glaubt den Aussagen der Suchmaschine

Dass der Google-Konzern seinen User*innen solche Aussagen als Suchvorschläge anzeigt, hält Thomas Dürmeier, Geschäftsführer der Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Goliathwatch, für fatal. "Es kann nicht sein, dass die weltweit führende Suchmaschine mit seiner Autocomplete-Funktion Menschen und Gesellschaftsgruppen systematisch diskriminiert  und so Vorurteilen, Hass und Hetze einen Vorschub leistet", sagt Dürmeier.

Der Volkswirt Dürmeier, der unter anderem die Organisation Lobbycontrol mit aufbaute, veröffentlichte mit seinem Team kürzlich eine Studie zum Thema (PDF). Daraus geht unter anderem hervor, wie problematisch diese Autocomplete-Vorschläge sind. Wie ältere Studien zeigen, werden Suchvorschläge von jeder*m zweiten Google-Nutzer*in übernommen und jede*r Dritte glaubt den negativen oder diskriminierenden Aussagen der Suchmaschine.

Google stellt seinen Nutzer*innen die leistungsstärkste Suchmaschine der Welt zur Verfügung. Rund eine Milliarde Menschen nutzen Google regelmäßig, pro Sekunde werden über 64.000 Suchanfragen gestellt. Die Funktion der Autovervollständigung sollte ursprünglich Eingaben erleichtern und effizienter gestalten.

Im Algorithmus von Google sei aber, nach Auffassung Dürmeiers, dadurch auch eine automatische Möglichkeit integriert, Menschen zu diskriminieren. Er nennt das "Autodiskrimierung". Die aus den Vorschlägen resultierenden Suchergebnisse könnten nicht zuletzt Wahlen, Einkaufsentscheidungen oder die öffentliche Meinung verändern.

Die NGO fordert Abschaltung der Autocomplete-Funktion

Es handelt sich dabei übrigens nicht um ein googlespezifisches Problem. So wird etwa bei dem Wort "Flüchtlinge" im Suchfeld von Facebook angezeigt: "Flüchtlinge raus aus Deutschland". Dürmeier sei bewusst, dass auch andere Unternehmen in dem Bereich schludern. "Aber Google bleibt die meistgenutzte und relevanteste Suchmaschine, weshalb unsere Aufmerksamkeit sich erstmal diesem Konzern widmet", sagt er.

Google selbst hat auf die immer wieder aufkommende Kritik in Einzelfällen reagiert. So zeigt der Konzern keine Sucherweiterungen zum Wort "Jude" mehr an, nachdem vier französische Menschenrechtsorganisationen wegen "latentem Antisemitismus" Klage erhoben. Auch rassistische Suchergebnisse im Zusammenhang von Barack Obama lassen sich nicht mehr finden.

In Deutschland löschte Google 2012 diskreditierende Sucherweiterungen zu Bettina Wulff, die ihr eine falsche Vergangenheit im Rotlichtmilieu zuschrieben. Ein Jahr später, 2013, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) nach einer Klage zugunsten Google: "Der Betreiber einer Suchmaschine ist regelmäßig nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt."

Das Urteil führt dazu, dass in der Google-Suche auch heute noch Gerüchte, Vorurteile und Falschaussagen zu finden sind, auch über ganze Gesellschaftsgruppen, siehe "Mädchen können kein Fußball spielen" oder "Behinderte dürfen keine Kinder bekommen".

Google richtete mittlerweile zumindest eine Meldefunktion für "unangemessene Vervollständigungen" ein. Das sei laut Dürmeier aber nur eine halbherzige Reaktion. Eine erfolgreiche und systematische Lösung des Problems durch Google fehle noch immer. Goliathwatch fordert daher, dass der Konzern die Funktion ganz abschaltet: "Die Menschen sollen ihre Suche selbst ausformulieren und nicht problematische Vorschläge angezeigt bekommen, die auch das Unterbewusstsein beeinflussen." Falls das nicht passiere, sollte zumindest ein geschultes Redaktionsteam eingesetzt werden, das Sucherweiterung vor der Veröffentlichung prüft.

Google bot Goliathwatch kürzlich ein Gespräch an, in zwei Wochen will die NGO das Thema mit Verantwortlichen des Konzerns besprechen. Ihre Forderung kommt pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum von Google.