Die 27-jährige Gina Martin strahlt glücklich. Sie hat es geschafft. Vor einem Gericht in London fällt die Anspannung und Angst der letzten Wochen endlich von ihr ab. Sie hat fast zwei Jahre dafür gekämpft – und heute das Sexualstrafrecht in Großbritannien verändert. Angefangen hat ihr Kampf schon 2017, im Juli, auf einem Londoner Festival, als ihr ein Typ zu nah kommt. So nah, dass sie genau sieht, was er seinen Kumpels kurz darauf per WhatsApp schickt: Ein Bild von ihrer Unterwäsche. Erst jetzt, anderthalb Jahre später, kann sie den Mann endlich rechtlich belangen.

In Belgien, Frankreich, im US-Bundesstaat Massachusetts und jetzt eben auch in Großbritannien ist Upskirting, also das heimliche Fotografieren intimer Bereiche, bereits verboten – und bei uns? Wie wäre der Fall Gina Martin in Deutschland abgelaufen?

Gibt es Privatsphäre wirklich nur im Privaten?

In Deutschland wurde Upskirting mit dem § 201a im Strafgesetzbuch nur in privaten und geschlossenen Räumen verboten. In Wohnungen, Umkleidekabinen, Toiletten und Arztpraxen. Bis zu zwei Jahre Gefängnis stehen darauf. Nach dem Sexualrecht nicht strafbar ist dagegen das, was der ehemalige Bürgermeister einer bayerischen Kleinstadt mit seiner Kamera angestellt hat. Am Münchner Stachus positionierte er sich auf Rolltreppen und schoss reihenweise heimliche Fotos unter Röcke. Er wurde von einer der Betroffenen angezeigt und zu einer Strafe von 750 Euro verurteilt – wegen Belästigung der Allgemeinheit. Nicht nach dem Sexualstrafrecht. Eine Ordnungswidrigkeit also, keine Straftat.

Und weil es eben kein eigenes Gesetz für Upskirting gibt, ist die Anzahl der Verurteilungen in Deutschland tatsächlich verschwindend gering. Der bayerische Bürgermeister stellt alleine die Hälfte aller Personen dar, die in Deutschland überhaupt irgendeine Art strafrechtlicher Konsequenzen wegen Upskirtings spüren mussten. Ganze zwei Verurteilungen gab es vor Oberlandesgerichten bisher insgesamt.

Das heißt, wenn dir beim Einkaufen, auf Konzerten oder sonstwo im öffentlichen Raum heimlich unter den Rock fotografiert wird, kannst du nichts machen, oder? Theoretisch – Ja. Die Möglichkeit, tatsächlich eine Gesetzesänderung über eine Petition zu erzwingen, haben wir in Deutschland nicht – Wahlen sind unsere mächtigste politische Ausdrucksform. Anders als in Großbritannien oder der Schweiz. "Gesetze selbst einbringen können nur die Bundesregierung, fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages oder der Bundesrat" erklärt der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke.

Das heißt aber nicht, dass unsere politische Macht nach den Wahlen gelaufen ist. Es gibt immer wieder Beispiele, die zeigen: je mehr Öffentlichkeit, desto größer wird der Druck auf die Gesetzgebung. "Es ist möglich, durch eine Petition, das Anschreiben des eigenen Direktkandidaten im Bundestag oder eine medienwirksame Aktion die Politiker auf einen Missstand aufmerksam zu machen und sie dazu zu bewegen, eine entsprechende Gesetzesinitiative einzubringen." erklärt Solmecke.

Wir brauchen immer einen Aufschrei

Die Reform des Sexualstrafrechts 2016 ist das beste Beispiel für politische Gesetzgebung in Deutschland. Nach der Silvesternacht in Köln und der Debatte um Gina-Lisa Lohfinks Vergewaltigungsvorwürfe wurde das Sexualstrafrecht reformiert.

"Artikel 184i StGB ist geschaffen worden, der belästigende Berührungen erstmals unter Strafe gestellt hat." sagt Rechtsanwalt Solmecke. Er sieht öffentliche Empörung über Ereignisse und Begebenheiten in Deutschland immer wieder als Ausgangspunkt für politisches und gesetzgeberisches Handeln.

Alles was unter den Tisch fällt, bleibt da liegen

Das Problem bei sexueller Belästigung ist, dass es immer noch in den eher peinlichen Bereich fällt. Wir sprechen nicht gern darüber. Du merkst, jemand fotografiert dich heimlich und er*sie zielt auf deinen Intimbereich? Klar hast du keine Lust, darüber zu sprechen. Weil du dich schämst, es irgendwie unangenehm und dann ja auch nicht sooo schlimm ist, es wurde ja niemandem wehgetan, oder? Tu es trotzdem! "Opfer sollten sich in jedem Falle zur Wehr setzen und die Tat zur Anzeige bringen." sagt Solmecke. Nur so wird die öffentliche Aufmerksamkeit größer – und somit auch der Druck, etwas zu verändern.

Großbritannien ist mit gutem Beispiel vorangegangen, Deutschland kann das auch. Seit 2014 ist in Deutschland heimliches Fotografieren der intimen Bereiche in geschlossenen, nicht aber in öffentlichen Räumen verboten. Eigentlich müsste fürs Erste nur dieser eine Artikel erweitert werden. Eine kleine Gesetzesänderung und Deutschland wäre einen großen Schritt weiter im Sexualstrafrecht.

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 12. Februar überarbeitet und es wurden darin die detaillierten Aussagen eines anderen Experten eingearbeitet.