Eine Pressekonferenz während des G20-Treffens in Hamburg. Auf die Frage eines Journalisten, warum es keinen Marshall-Plan für Afrika gebe, antwortete Emmanuel Macron, der französische Präsident, Afrika hätte zivilisatorische Probleme. Diese seien nicht allein mit Investitionen zu lösen. Seine Antwort enthält Kritiker*innen zufolge drei problematische Elemente.

Problem A: "Zivilisatorisch" erinnert stark an mission civilisatrice

Die Aussage wirkt harmlos, löste aber einen Shitstorm auf Twitter und Facebook aus. Der Vorwurf: Afrikas Probleme als zivilisatorisch zu bezeichnen, erinnere stark an die sogenannte mission civilisatrice. Aus dieser Mission, einem Erbe der Französischen Revolution, leitete die Republik ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts das Recht ab, andere Regionen zu kolonialisieren, sprich zu unterwerfen und auszubeuten. Sie rechtfertigte das damit, einen vermeintlich zivilisatorischen Segen über die westliche Welt zu bringen.

Problem B: Frankreich tut so, als hätte es nichts mit den Problemen am Hut

Kritiker*innen werfen Macron zudem vor, bei der Aufzählung der zivilisatorischen Probleme Afrikas nicht zu erwähnen, dass Frankreich – als ehemalige Kolonialmacht – mitverantwortlich ist für all diese. Zum Beispiel beim Thema Kinderreichtum.

Macron benennt als eines der Probleme den Bevölkerungsboom in Ländern, in denen "Frauen zwischen sieben und acht Kinder" bekämen. Davon mal abgesehen, dass seine Kritik inhaltlich unscharf sind: Der Durchschnittswert von sieben bis acht Kindern pro Frau ist eine extreme hohe Zahl, die so nur in Niger zu finden ist.

Die Politikwissenschaftlerin Laura Seay erklärte auf Twitter die koloniale Dimension des Problems: "Im französischsprachigen Teil Afrikas sehen wir bis heute die Auswirkungen der mission civilisatrice. Du bekommst ein perfektes Éclair in Dakar und kannst dein Kind in Bamako auf eine französische Schule schicken. Sie ist der Grund dafür, dass man perfekte Baguettes in Dörfern bekommt. Sie ist auch der Grund, warum Frankreich immer noch enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen mit seinen ehemaligen Kolonien hat. Und natürlich sehen wir die Auswirkungen im anhaltenden Einfluss der katholischen Kirche."

Der Katholizismus wurde einst von Frankreich in den afrikanischen Kolonien installiert. Der Einfluss der Kirche ist für viele Expert*innen bis heute einer der Gründe für den Kinderreichtum in Teilen des Kontinents. Made in France, sozusagen.

Problem C: Macron, der Kolonialismusgegner ohne Zähne

Macron hatte den Kolonialismus im Wahlkampf als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet und damit stärker verurteilt, als je ein französischer Präsident vor ihm. Nach lautstarker Kritik dafür aus dem südfranzösischem Raum, in dem viele ehemalige Algerien-Französ*innen leben, ruderte er jedoch zurück und entschuldigte sich bei all denjenigen, die diese Aussage verletzt haben möge.Die Journalistin Siddharta Mitter hält Macron wörtliche Verurteilung des Kolonialismus jedoch für wertlos, solange sie folgenlos bleibe: "Nachdem es keine Reparationszahlungen geben wird, könnte eine Möglichkeit Bildung sein: Frankreich, und zwar nicht nur der Jugend, die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit über die koloniale Vergangenheit und Gegenwart, statt die Geschichte unter den Teppich zu fegen."

Macron wird weltweit als progressive Hoffnung gefeiert. Mit seinen Äußerungen auf dem G20-Gipfel hat er all diejenigen enttäuscht, die sich einen neuen Umgang zwischen Europa und Afrika gewünscht haben.

Eliza Anyangwe schreibt in einem Kommentar für den Guardian: "Der Test für Macrons Präsidentschaft wird seine Außenpolitik sein, speziell hinsichtlich Afrika. Momentan macht er einen guten Job darin, zu beweisen, dass er vom selben Schlag ist wie seine Vorgänger: paternalistische Töne schwingend und fröhlich moralisierend, während man von dem Gemetzel profitiert, zu dessen Entstehung Frankreich beigetragen hat – ein Fakt, den er bestenfalls ignoriert."