Der Bundestag wirkt wie ein Relikt aus den sepiagetünchten Zeiten Westdeutschlands. Man assoziiert damit Männer in grauen Anzügen, die alle so, äh, sympathisch aussehen wie Helmut Kohl und in Sätzen sprechen, die so langsam und kompliziert über die Lippen rollen, dass man am Ende schon wieder vergessen hat, wie der Satz angefangen hat.

Trotzdem würde ich die steile These in den Raum stellen, dass Bundestagssitzungen eine emotionale Angelegenheit sind. Okay, zugegeben, nicht jede*r kann eine deepe Verbindung zu der Frage aufbauen, ob Artikel 17e Absatz 1 des Bundesfernstraßengesetzes geändert werden soll. Aber ich wette, die meisten von euch haben sich schon mal Gedanken darüber gemacht, ob es den Numerus Clausus eigentlich braucht. Oder ob Afghanistan ein sicheres Herkunftsland ist. Ich wette, säßen wir zusammen bei 'nem Bier und würden uns darüber unterhalten, könnte recht schnell eine hitzige Debatte entstehen.

Am Sonntag findet das Finale der Fußballweltmeisterschaft in Russland statt. Überall im Lande treffen sich beflaggte Rudel, um darüber zu diskutieren, ob irgendein Fußballer nicht anstelle eines anderen Fußballers besser gespielt hätte. Kann man natürlich machen.

Viel spannender ist hingegen: Im Sommer bei lauschigen 27 Grad bei einem Bierchen mit den Liebsten auf dem Balkon sitzen und sich die Debatte darüber anschauen, ob sich die Bundeswehr Drohnen zulegen sollte, die bewaffnungsfähig sind. Die helmut-kohligen Akteur*innen, mit denen man bei Tageslicht wenig anfangen kann, mutieren am Redner*innenpult zu Protagonist*innen, denen man entweder mit leidenschaftlicher Wut widerspricht oder von ganzem Herzen Recht gibt. So wird der Bundestag zu einer Arena der Emotionen, in der Gut gegen Böse kämpft – und du kannst mit deinen Freund*innen darüber diskutieren, wer jetzt wer ist und wieso und überhaupt. Mehr Bundestags-Public-Viewing-Events braucht das Land! Seht ihr auch so? Dann kommt hier eine Liste mit Tipps für den ultimativen Schauspaß:

  1. Die Location ist selbstverfreilich das A und O einer guten Veranstaltung. Anbieten tun sich dafür die Domizile der Teilnehmenden. Wer es to the next level taken möchte, organisiert das Ganze im öffentlichen Raum, zum Beispiel im Späti des Vertrauens, der Lieblingsbar oder irgendeinem anderen Ort mit vernünftigem WLAN. Damit habt ihr dann auch gleich den Ruf der größten Nerds der Nachbarschaft inne, was will man auch mehr, herzlichen Glückwunsch.
  2. Die Gästeliste. Hier gilt: Je homogener der politische Gusto der Gruppe, desto mehr Friede, Freude, Eierkuchen beim Schauen. Je heterogener, desto hitziger die Debatte nach der Debatte. Falls in eurem links-grün-versifften Freundeskreis keine rechte Stimmung aufkommt, könntet ihr ja auch darüber nachdenken, dem CSU-wählenden Opa in Niederbayern doch mal Skype zu erklären.
  3. Phoenix versus Bundestags-TV – über welchen Kanal die Debatte am besten schauen? Wer keine Lust auf Einordnungen oder Kommentare hat, dem sei der Stream auf der Internetseite des Bundestags empfohlen. Spannende Zusatzinfos gibt es hingegen bei Phoenix, die die Sitzungen live übertragen.
  4. Wann schauen? Die Debatten-Primetime ist in der Regel donnerstags zwischen 9 und 12 Uhr. Die meisten werden dort vermutlich entweder arbeiten oder aufgrund des stressigen Studierendendaseins ausschlafen müssen. Zum Glück haben sowohl Phoenix als auch der Bundestag eine Mediathek, in denen sich die Sitzungen bequem zu jeder beliebigen Uhrzeit anschauen lassen – egal ob Freitagabend zum Vorglühen oder Sonntagnachmittag zum Auskatern.
  5. Die richtige Fanausstattung. Die WM hat Deutschlandfahnen und -schals und -trikots und -luftschlangen und -grillwürste und -klopapier und -zahnpasta – diese Liste ließe sich vermutlich bis ins Unendliche fortführen. Haltet dagegen und verbannt allen schwarz-rot-goldenen Firlefanz von eurem Event. Das Team Demokratie hat keine Nationalfarben. Alles, was Lärm macht, ist natürlich als Ausstattung erlaubt, damit ihr euren Politliebling angemessen anfeuern könnt.
  6. Überlegt euch ein paar Spiele, weil Spielen ist immer gut. Hier einige Vorschläge:
  7. Bullshit-Watching. Besorgt euch eine Halligalli-Klingel und jedes Mal, wenn ein*e Politiker*in offensichtlich nicht die Wahrheit sagt, haut auf die Klingel. Eventuell vorher den Nachbar*innen Bescheid geben, dass es lauter werden könnte. In der Extended-Ü18-Version gibt’s noch jedes Mal einen Shot dazu.
  8. Blinde Kuh. Haltet euch zu Beginn die Augen und Ohren zu, wenn gesagt wird, wer der*die nächste Redner*in ist. Dann ratet, welche Fraktion gerade spricht. Der*diejenige, der*die zuerst richtig rät, gewinnt, äh, eine Menge Ehre. (Extended-Ü-18-Version siehe oben.)
  9. Bastelt euch eine Bundestagsbingo-Vorlage. Wer zu erst fünf in einer Reihe hat. Quer geht auch. (Extended-Ü-18-Version siehe oben.)
  10. Recap-Meetings. Besprecht nach der Debatte die Debatte. Schickt dem*r Politiker*in, dessen*deren Positionen euch am frag-, kritik- und anmerkungswürdigsten erscheint eure Notizen. Oder ladet ihn*sie gar zu einem Recap-Meeting zur Nachbesprechung ein.
  11. Auswärtsspiel: Wie echte Fans könntet ihr natürlich auch mal mit Popcorn ausgestattet mit der ganzen Crew einen Ausflug ins Politikstadion machen: den Bundestag. Das Popcorn müsst ihr schon draußen leer essen. Das wird euch drinnen abgenommen.

Frohes Bundestagsschauen!

Solltet ihr tatsächlich ein Bundestag-Public-Viewing-Event organisieren, dann schreibt mir unbedingt eine Mail. Gerne mit Fotobeweisen.