Ich. Muss. Glücklich. Sein.

Das signalisiert uns unser Umfeld. Wir sollen positiv denken, gefälligst immer das Gute in allem sehen und das am besten mit einem breiten Lächeln im Gesicht. In der Buchhandlung finden sich Ratgeber, wohin das Auge sieht und das Netz platzt schier vor Tipps dafür, wie man entspannt und positiv bleibt, bei der Arbeit und zu Hause.

Auf die Frage, wie es uns geht, sollen wir bestenfalls mit einem gut gelaunten "Großartig" antworten. Das echte Glücklichsein ist zu einem Glückskult verkommen – so sieht es zumindest der dänische Psychologe Svend Brinkmann. Und dieser Kult habe eine ziemlich dunkle Seite.

Leiden wir alle am Wellness-Syndrom?

Es ist schlicht nicht angebracht, grundsätzlich positiv auf Situationen im Leben zu reagieren, schreibt Brinkmann in seinem Bestseller Stand Firm: Resisting the Self-Improvement Craze, der bald auch auf Deutsch erscheinen soll. Im Gegenteil: Erzwungene Positivität lasse uns emotional verkümmern.

Der Psychologe schreibt in seinem (Anti-)Selbsthilfebuch gegen Selbsthilfe und Selbstoptimierungswahn, gegen Wohlfühlpropaganda und Kalenderspruchromantik an. Dem Ganzen könne sich niemand mehr entziehen, es sei zu einem Trend geworden, sich immer um jeden Preis gut fühlen zu müssen. Brinkmann schreibt von der "Therapiesierung der Gesellschaft"; sein Begriff dafür lautet: Wellness-Syndrom.

In Unternehmen würden Manager*innen auf Achtsamkeit und positive leadership abgerichtet, Mitarbeiter*innen hätten sich "persönlich zu entwickeln" und es nicht so eng zu sehen, wenn sie gekündigt werden oder weniger Geld verdienen. Das solle man dann eben als Herausforderung hinnehmen.

"Ich denke, unsere Gedanken und Emotionen sollten die Welt widerspiegeln. Wenn etwas Schlechtes passiert, sollte es uns auch erlaubt sein, negative Gedanken und Gefühle darüber zu haben, weil es zeigt, wie wir die Welt verstehen", sagte Brinkmann dem Onlinemagazin Quartz.

Das Leben sei wunderschön, von Zeit zu Zeit aber eben auch tragisch. "Menschen sterben in unseren Leben, wir verlieren sie. Wenn wir daran gewöhnt sind, ständig gut gelaunt sein zu müssen, treffen uns diese Realitäten sehr viel intensiver, wenn sie eintreten. Und sie werden eintreten." Es gebe kein Problem, wenn Menschen grundsätzlich locker und fröhlich eingestellt sind, sagt der Forscher. Das Problem entstehe aber, wenn das Glücklichsein zu einer absoluten Notwendigkeit würde.

Öfter mal negativ sein

Beim Arbeitsplatz würde mehr darauf geachtet, dass es ein "positives Wachstum" gebe, als Schwierigkeiten offen anzusprechen. Brinkmann bezeichnet das Beharren auf gut gelaunten Mitarbeiter*innen als "fast schon totalitär". Für ihn habe das eher mit Gedankenkontrolle zu tun.

Im Arbeitsleben werde viel Wert auf gute Laune gelegt, weil man laut Brinkmann so teamfähiger und produktiver sei. Oder anders gesagt: Menschen und ihr emotionales Leben besser ausbeuten könnte, als wenn sie schlecht gelaunt wären. "Das ist die dunkle Seite. Unsere Gefühle neigen dazu, Rohstoffe zu werden. Das bedeutet auch, dass wir uns von ihnen entfremden", sagt er.

Dieses obligatorische Glück sei nicht nur am Arbeitsplatz ein Anliegen. Während es sinnvoll sei, als eine Art Ritual "gut, danke" zu sagen, wenn wir im Vorbeigehen nach unserem Wohlbefinden gefragt würden, bestünde die Gefahr, dass gespielt glückliche Ausdrücke auf unseren Gesichtern irgendwann soziale Sphären dominieren könnten, was unmittelbar zu einem Klima der Unehrlichkeit führen würde, auch unter Freund*innen.

Eine lebendige und beschwingte Atmosphäre könne sehr angenehm sein, aber diese "höfliche Positivität" dürfe eben nicht tägliche Diskussionen über Traumata und Krisen verbieten. Verbunden mit dem Druck, glücklich zu sein, sei auch der Selbsthilfewahn, schreibt Brinkmann. "Selbsthilfe-Bücher, die behaupten, Menschen zu lehren, wie man Glück findet, könnte zu einer schädlichen Perspektive auf unsere Emotionen führen", sagt er. Die zugrundeliegende Idee, dass jeder sich ja selbst glücklich zaubern könne, impliziere, dass unglückliche Menschen immer auch schuld an ihrem Leid seien. Und schon seit Jahrzehnten wisse man um das sogenannte health paradox, schreibt der Zürcher Tagesanzeiger – um die Tatsache, dass Menschen umso unglücklicher werden, je zwanghafter sie sich mit sich selbst beschäftigen.

Am Ende spielen negative Gefühle laut Brinkmann eine wichtige und gesunde Rolle dafür, wie wir die Welt verstehen und auf sie reagieren. Schuld und Scham seien essenziell für unseren Sinn für Moral. Wut eine legitime Reaktion auf Ungerechtigkeit. Traurigkeit helfe, Tragödien zu verarbeiten und einzuordnen. Auch das Glücklichsein sei wichtig und toll. Nur eben nicht die ganze Zeit.