Stellt euch folgendes Jobszenario vor: Überstunden und Druck ohne Ende, Kund*innen rasten aus und springen ab, die Belegschaft pfeift auf dem letzten Loch – und dann stellt sich die Führungsebene hin und verkündet generös: "Wir machen jetzt Motivationsmaßnahmen! In einer Onlineumfrage könnt ihr jeden Tag angeben, wie’s euch geht. Ach so, Antworten? Nein, ist nur für generelles Feedback."

Das ist ein bisschen so, als würde man in einem brennenden Haus erst mal fröhlich Sitzgelegenheiten aufstellen. Anders gesagt: Wenn die Motivation der Angestellten seit Monaten tot im Keller liegt und verrottet, hat das oft wenig mit schlecht durchdachten Feedbacktools oder Mangel an gemeinsamen Freizeitaktivitäten zu tun – sondern mit ganz grundsätzlichen Problemen.

"Und, wie läuft’s?"
"Ich bin am Ende. Ich weiß nicht mehr, wo vorn und hinten ist. Hilfe!?"
"Haha. Sehr gut. Weiter so!"

"Ein Kickertisch oder die Pizza am Abend sind zunächst mal keine Anti-Stress-Maßnahmen. Und mit echtem 'Feel-good' hat das wenig zu tun, auch wenn es gern so genannt wird. Solche Maßnahmen sind ein Sahnehäubchen, aber von einem Sahnehäubchen wird man eben nicht satt", erklärt auch die Leadershipexpertin Anja Niekerken. "Wenn die tatsächlichen Ursachen für Stress, Druck und Überforderung nicht angegangen werden, hilft auch ein Feierabendbier nicht weiter."

Trotzdem gibt es in vielen Unternehmen besonders in Krisenphasen ein Bedürfnis, hohle Motivationsmaßnahmen zu implementieren. Nur das macht leider gar nichts besser.

Der Teufel steckt in der Unternehmenskultur

Ein entscheidendes Problem liegt, wie so oft, in der Unternehmenskultur. Wo Angestellte als austauschbare Fließbandarbeiter*innen betrachtet werden, wo sie sich nicht gehört, gesehen, ernst genommen und wertgeschätzt fühlen, wo unbezahlte Überstunden als selbstverständlich betrachtet werden und bei erhöhtem Arbeitsaufkommen keinerlei Unterstützung oder Entlastung erfolgt, sinkt nachvollziehbarerweise auf Dauer die Motivation.

Ein wichtiger Aspekt ist laut Anja Niekerken, dass die Beschäftigten oft nicht wissen und verstehen, weshalb und wofür sie sich eigentlich gerade so abrackern: "Warum tut das Unternehmen, was es tut? Die meisten können da leider nur mit Gewinnmaximierung und Shareholder-Value antworten. Entsprechend ist dann auch die Unternehmenskultur geprägt."

Anders sei das bei Firmen, die wüssten und vermitteln könnten, warum es sie gibt. "Die sind da in der Regel besser aufgestellt, denn sie erzeugen Begeisterung bei ihren Angestellten", sagt Niekerken.

Die eigene Gesundheit ruinieren, kein Sozialleben mehr haben, die Familie kaum sehen – bloß, damit am Ende eine höhere Zahl im Bericht steht? Das erschließt sich vielen Beschäftigten auf Dauer nicht. "Wer Leistung will, muss Sinn bieten", fasst Anja Niekerken zusammen.

Fatale Führung

Zur Unternehmenskultur gehört logischerweise auch, wie geführt wird – und von wem. Wenn Angestellte permanent Stress, Druck und Überforderung erleben, dann sind das laut Anja Niekerken eindeutig Führungsprobleme. "Leider stellt sich niemand gern seinen Problemen", so die Expertin.

Deshalb ist es für viele Vorgesetzte oft bequemer, kurzerhand einen Kickertisch aufzustellen oder eine Runde Feierabendbier auszugeben, als sich eigenen Unzulänglichkeiten zu stellen und der hässlichen Tatsache ins Auge zu blicken, dass der Laden so nicht weiterlaufen kann und perspektivisch gegen die Wand fährt. Echte Lösungen? Fehlanzeige.

"Hinzu kommt noch, dass viele Führungskräfte nicht als Führungskraft geeignet sind, weil sie aus den falschen Motiven heraus führen wollen", sagt Anja Niekerken. "Führen ist immer eine Dienstleistung. Das ist leider nicht allen Führungskräften klar. Viele führen, um sich selbst zu verwirklichen." Und diese Einstellung führt dann auf Dauer zu Problemen, die jede Motivation zerstören. Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwierig.

Was Mitarbeitende wirklich wollen

Eine Untersuchung mit 1.500 Angestellten aus den USA, Großbritannien und Australien hat unlängst ergeben, dass unspezifische Anreize wie jährliche Bonuszahlungen unzureichend sind; demnach wünschen sich die meisten einfach zeitnähere und bedeutsamere Anerkennung.

Und die hat nicht viel mit Geld zu tun. Rund 46 Milliarden Dollar hauen Unternehmen laut der Studie jedes Jahr für Belohnung, Anerkennung und Motivationsmaßnahmen raus. Doch drei Viertel der US-Angestellten gaben zum Beispiel an, dass ihre Motivation steigen würde, wenn sich ihre Vorgesetzten schlicht mal aufrichtig bedanken und gute Arbeit bemerken würden.

Wenn die Basis fehlt und die Führung versagt, helfen laut Leadershipexpertin keine halbgaren, kurzfristigen Motivationsmaßnahmen: "Meiner Ansicht nach braucht es Führungskräfte, die ihren Leuten zuhören und sie mitgestalten lassen."

Selbst bei einer grundsätzlich sinnvollen Arbeit bedarf es gewisser Rahmenbedingungen, damit Angestellte motiviert und engagiert bleiben: "Ohne Anerkennung, Wertschätzung und Gestaltungsspielraum wird es auch mit einem guten Warum auf Dauer schwierig", meint Anja Niekerken. "Für mich ist gute Führung daher die Motivationsquelle Nummer eins."

Völlig verrückter Vorschlag: Wie wäre es damit, Strukturen zu hinterfragen, zu überarbeiten – und das Budget für Motivationsmaßnahmen wie Gruppen-Yoga, Pizza-Freitage, Kickertische und Ringelpietz stattdessen in vernünftige Führungscoachings zu investieren? Das lohnt sich nicht nur für die Vorgesetzten und Angestellten, sondern fürs gesamte Unternehmen. Tja, oder man macht halt wieder das mit den Fähnchen.