Der Wind peitscht gegen die Fenster des Gemeindehauses der Khadija-Moschee in Berlin-Pankow. Drinnen steht Bashir Ahmad Rizwan im Warmen und lächelt. Der 25-Jährige fühlt sich hier wohl; das Gebäude und die Mitglieder der muslimischen Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) sind zum zweiten Zuhause für den Flüchtling geworden.

Vor zweieinhalb Jahren ist Bashir aus Pakistan nach Deutschland geflohen, mit dem Flugzeug. So verhältnismäßig leicht diese Flucht war, so teuer war sie auch: 18.000 Euro habe es ihn gekostet, der religiösen Diskriminierung in seiner Heimat zu entkommen, berichtet Bashir. "Geld, um meine Familie nachzuholen, habe ich nicht." So sind die Mitglieder der Berliner Moscheengemeinde zu einer Art Ersatzfamilie geworden. Drei Mal in der Woche kommt er her, um zu beten und sich mit anderen auszutauschen. Mit Muslimen aus der ganzen Welt. "Das Besondere an der Gemeinde ist ihr Motto: 'Liebe für alle, Hass für niemanden', wir sind alle Menschen, Religion steht an zweiter Stelle."

In Pakistan hat Bashir Soziologie im Bachelor studiert. Nun hofft er darauf, in Deutschland eine Ausbildung zum Sozialarbeiter zu beginnen. Er sei sehr herzlich in Deutschland aufgenommen worden, das wolle er anderen zurückgeben. Die Gemeinde steht ihm mit Rat und Halt zur Seite, damit das klappt.

"Gegenwehr in gesellschaftlicher Einheit"

Wie um Bashir kümmert sich die AMJ bundesweit um muslimische, hauptsächlich pakistanische Flüchtlinge. Charity-Walks, Forumsgespräche, Baumpflanzungen, Willkommenstreffen, Vorträge – die Organisation gibt sich offen, fortschrittlich und sympathisch. Und sie weiß sich ins Gespräch zu bringen: Zu den Attentaten in Paris meldet sich die AMJ bei einem Frühstück und anschließender Fragerunde in Berlin zu Wort. Der Bundesvorsitzende Abdullah Uwe Wagishauser ist aus Frankfurt am Main angereist, um der Hauptstadt-Journaille seine Sorgen mitzuteilen: "Inzwischen profilieren sich Einzelne mit der Forderung, den Flüchtlingsstrom angesichts der Gefahr vor Terrorismus zu unterbinden." Eine Stigmatisierung aller Flüchtlinge helfe jedoch nicht weiter, betont Wagishauser. Gegen Terrorismus sei viel mehr eine "gemeinsame Gegenwehr in gesellschaftlicher Einheit" notwendig.

"Nirgendwo sonst sind die Voraussetzungen für einen Dialog besser."

Wagishauser, in den 70ern nach einer Indienreise zum Islam konvertiert, fordert mehr Integration. Dafür brauche es einen intensiveren Dialog: Flüchtlingsaufnahmelager müssten verstärkt mit islamischen Verbänden zusammenarbeiten, um ein engeres Verhältnis zu den Menschen aufzubauen; zudem sollten Universitäten die Verbände in die Entwicklung ihrer Curricula miteinbeziehen; die Moscheen müssten transparenter arbeiten und sich mehr der westlichen Gesellschaft öffnen. "In Deutschland gibt es für all das gute Voraussetzungen", findet Wagishauser. "Es entsteht hier gerade ein zartes Pflänzchen einer islamischen Ökumene", sagt er. "Nirgendwo sonst sind die Voraussetzungen für einen Dialog besser." Die AMJ, eine der größten organisierten muslimischen Gemeinden der Welt und seit 2013 Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz, setze sich aktiv dafür ein.

Es sind aufmunternde Worte, die Wagishauser findet. Worte, die es nach den grausamen Attentaten in Paris braucht und die man sofort unterschreiben möchte. Wer ist schon gegen Dialog und Integration? Nur Gestrigen kann noch ernsthaft der Gedanke gefallen, der Islam ließe sich aus unserer Gesellschaft ausgrenzen. Dennoch bleibt eine Restskepsis: So liberal Wagishauser seine Glaubensgemeinschaft auch beschreibt, in ihrem Kern verfolgt sie – wie im Grunde sämtliche Religionen – vor allem ein Ziel: zu missionieren, sich auszubreiten. Es drängt sich die Frage auf: Inwiefern ist ein offener Dialog mit der Ahmadiyya möglich?

Was steckt hinter der Ahmadiyya-Bewegung?

1889 gründete Mirza Ghulam Ahmad die Ahmadiyya-Bewegung in Indien. Mirza verstand sich als Wiedergeburt Jesu Christi und Nachkomme des Propheten Mohammed. Zu Lebzeiten konnte er 400.000 Anhänger gewinnen, inzwischen verzeichnet die Gemeinschaft weltweit mindestens zehn Millionen Mitglieder in über 206 Staaten. Obwohl sie in Deutschland mit circa 37.000 aktiven Mitgliedern eher schmächtig daher kommt, hat sie 2013 als erste muslimische Gemeinde den Kirchenstatus erhalten. Damit befindet sie sich zumindest rechtlich auf Augenhöhe unter anderem mit der evangelischen und katholischen Kirche.

In der Tradition ihres Gründers will die AMJ den Islam in seiner ursprünglichen Form verbreiten, das schließt auch die Errichtung eines Kalifats ein – nach Aussage der Gemeinschaft allerdings nur eines religiösen, nicht politischen, wie es etwa die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Sinn hat. Das Konzept des Dschihad lehnt die AMJ zudem entschieden ab. Ihre friedliche Missionierung betreibt sie allerdings energisch: Unabhängige Diskussionsforen sind aus dem Netz verschwunden, die gesamte Repräsentation der Gemeinschaft wird zentral gesteuert. Von ihrem Hauptsitz London aus betreibt die AMJ sogar einen TV-Sender.

Kontroverse Einschätzungen

In Deutschland übersetzt die Gemeinschaft im Eigenverlag islamische Publikationen ins Deutsche. Sie hat das erste Institut für islamische Theologie gegründet, an dem sie muslimische Geistliche auf einem 7000 Quadratmeter großen Areal im hessischen Riedstadt ausbildet. Seit zwei Jahren bietet die AMJ in Hessen zudem einen Islamunterricht an Grundschulen an – mit dem Ziel, eine Radikalisierung der muslimischen Jugend frühzeitig zu verhindern.

So gemäßigt das alles klingt: Die Ahmadiyya hat auch Kritiker. Die Erziehungswissenschaftlerin Hiltrud Schröter unterstellte der Organisation im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur beispielsweise eine "Ideologie vom Endsieg" und "Großmachtfantasien". Auch die AMJ wird von Experten als wenig reformbereit etwa im Bezug auf ihr Geschlechterverständnis eingeschätzt.

Andere muslimische Organisationen distanzieren sich scharf von der betont liberalen AMJ, ungeklärt sind Vorwürfe der Abzocke von Flüchtlingen: Die AMJ habe gegen viel Geld Dokumente für Asylverfahren einzelner Flüchtlinge ausgestellt.

Es macht den Eindruck, als müsse sich die deutsche Ahmadiyya-Gemeinschaft noch wandeln, um ein relevanter Integrationsmotor zu werden. Was sie an Pressearbeit beherrscht, müsste sie in Sachen Transparenz und Reformwillen noch wett machen. Aber auch das gelingt womöglich am besten gemeinsam. Im Dialog.