Zwei Wochen nach der Geburt schiebe ich meine Tochter im Kinderwagen durch die Uni und treffe auf eine Bekannte, die sichtlich überrascht ist, mich schon wieder dort zu sehen. "Wochenbett ist Wochenbett", sagt sie irritiert. "Naja, mir geht’s gut", murmele ich, nicht minder irritiert.

Kurze Zeit darauf sagt eine Freundin zu mir: "Ich kann es gar nicht glauben: Vor nicht allzu langer Zeit haben wir zusammen das Nachtleben unsicher gemacht, und nun bist du Mami!"

Auch so ein Satz. Ein Satz mit doppeltem Boden.

Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.

Das Internet ist ähnlich enthusiastisch: "So glücklich sehen Mamas und ihre Babys 24 Stunden nach der Geburt aus" und "20 Dinge, die jede Mama nach der Geburt erwarten" ist der gängige Tenor von Artikeln, die Facebook mir in die Timeline spült.

Ich fühle mich nicht besser.

Ich überlege, ob es vielleicht am Schlafmangel liegt, dass ich so ein seltsames Gefühl in der Magengrube bekomme. Dann fällt mir ein: Ich habe ja gar keinen Schlafmangel! Puh. Was ist es dann? Ich schaue meine Tochter ratlos an. Da sie erst zwei Wochen alt ist und den Blick noch nicht halten kann, schaut sie nicht zurück, sondern irgendwie ins Leere.

Ok, denke ich.

Das geht schon vorbei. Aber es geht nicht vorbei.

Sätze wie den meiner Bekannten oder den meiner Freundin höre und lese ich jeden Tag – von Verwandten und Bekannten mit oder ohne Kindern oder im Internet. Diese Emotionalität, die mir entgegenschlägt und die ganz offensichtlich von mir ebenfalls erwartet wird, überfordert mich heillos.

Als Mami entzieht dir die Gesellschaft dein Recht auf Selbstbestimmung

Ich denke viel darüber nach. Inzwischen ist meine Tochter drei Monate alt und meine anfängliche Ratlosigkeit über diese Situation hat sich in pure Aggression verwandelt. Ich bin empört! Wir schreiben das Jahr 2018, und das Bild, das unsere Gesellschaft von Menschen – nein, von Frauen mit Kindern – hat, scheint noch in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts festzuhängen.

Die gesellschaftlichen Übergriffigkeiten beginnen schon in der Schwangerschaft: Ich sitze, sichtbar schwanger und mit Genuss in ein Salamibrötchen beißend, in einem Café und eine Bekannte kommt herein. Sie sieht mich und ruft: "Du isst Salami? Darfst du das denn überhaupt?" Die Übergriffigkeiten gehen mit der Geburt weiter:

Meine Tochter ist einige Minuten auf der Welt, und die Hebamme des Krankenhauses tatscht mir, ohne zu fragen, an den Brüsten herum und versucht, die Kleine zum Trinken zu bewegen. In meiner Patientinnenakte ist vermerkt, dass ich wahrscheinlich nicht stillen möchte.

Du isst Salami? Darfst du das denn überhaupt?

Meine Tochter ist zwei bis drei Wochen alt, und ihr Vater spaziert mit ihr im Beutel allein durch die Gegend. Er wird wohlwollend begutachtet und dafür gelobt, dass er sich traut, jetzt schon mit der Kleinen alleine raus zu gehen. Dabei entgeht ihm nicht der missbilligende Unterton bei der Nachfrage, was denn mit der Mutter sei.

Meine Tochter ist etwa vier Wochen alt, und ich bewege mich ohne sie durch die Uni. Ich werde höchst irritiert gefragt, wo ich denn mein Baby gelassen habe.

Ich bin mehr als eine Mutter, manchmal auch weniger

Geschichten wie diese kann ich zuhauf erzählen, und ich bin mit Sicherheit nicht der einzige Mensch, der ein Kind geboren hat und sich tagtäglich mit diesem gesellschaftlichen Klima konfrontiert sieht. Interessant dabei ist, dass sich diese allseitig formulierten, wahnsinnig hilfreichen Ratschläge wie: "Wenn dein Kind schreit, hat es vielleicht Hunger" immer nur an Frauen richten. Adressatinnen dieser verbalen Übergriffigkeiten sind grundsätzlich Mamas, Mamis oder Mütter. Die Ratschläge gehen nie an beide Eltern, geschweige denn an die Väter. An Letztere richten sich lediglich Texte mit Titeln wie So können die Papas die Mamis nach der Geburt besser unterstützen.

Zur Elternschaft eines Kindes gehören in vielen Fällen zwei Personen, davon hat in sehr vielen Fällen eine Person das Baby ausgetragen und zur Welt gebracht. Abgesehen davon, dass diese Konstellation nicht zwingend so sein muss, sollte sie auch nicht zu automatischen Zuständigkeiten führen, geschweige denn dazu, dass die Person, die mutmaßlich das Kind geboren hat, auf eine antiquierte Mutterrolle reduziert wird.

Auch nachdem ein Mensch ein Kind zu Welt gebracht hat, ist diese Person mehr als eine Mami. Sie ist Managerin, Studentin, Langschläferin, Workaholic, Auszubildende, Chefin, Revolutionärin, Kämpferin, Träumerin, Spießerin, Feministin und so unglaublich viel mehr. Vielleicht ist sie auch all das nicht, vielleicht ist sie auch keine Mutter. Niemand hat das Recht, ihr eine dieser Rollen aufzuzwingen und entsprechende Erwartungen an sie zu haben.

Der Graben zwischen Mutter und Vater ist tiefer, als er sein sollte und wird ständig neu ausgehoben

Allein die stetige Trennung der Mutter- und Vaterrolle, deren gesellschaftliches Konstrukt vorgaukelt, dies seien zwei völlig verschiedene Pole der Elternschaft. Dadurch manifestieren wir unser Bild von einer Frau, die erst dann vollständig ist, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hat. Biologistische Erklärungsmuster à la "eine Mutter fühlt das", "als Mutter weiß Frau einfach, was zu tun ist" und dergleichen führen vor allem dazu, dass die Stay-at-home-Mom genau das bleibt: eine Mutter. Und das für immer. Und zwar in der einzig gesellschaftlich anerkannten Variante.

Eine Mutter fühlt das.

Bei all dem dürfen die Väter ab und an mal helfen und sind sonst nur Beiwerk, um der Mami das Leben nach der Geburt ein bisschen zu erleichtern. So richtig zum Einsatz kommen die Väter erst, wenn das auf dem Rücken liegende Käferbaby zum Kriechtier wird und ein fröhliches Toben möglich ist. Väter sind zum Quatsch machen und Spielen da – Mütter zum Kuscheln, Ordnung machen und Gedanken lesen. Diese Aufteilung schränkt nicht nur Frauen mit Kindern ungemein ein, auf gleiche Weise werden Männer mit Kindern in ihrem Dasein beschnitten, indem sie auf eine Funktion der Rolle reduziert werden, die ihnen als Papa zugeschrieben wird.

Durch die Geburt eines Kindes werden Menschen zu Eltern – im rechtlichen, sozialen und vielleicht auch im emotionalen Sinne.

Die Gesellschaft macht Mamis und Papis.

Und zu einer solchen lasse ich mich nicht machen.