Früher konnte ich essen wie ein Scheunendrescher. Essen war meine Leidenschaft. Ich war Gourmet und Gourmand zugleich (für alle, die den Unterschied nicht kennen: Eure Liebe für Essen ist definitiv nicht so groß wie meine) – bis mich das heiß geliebte Stück Sahnetorte aus einem mir unbegreiflichen Grund mit Bauchkrämpfen, Übelkeit und Verdauungsproblemen bestraft hat. Diagnose: Sojaallergie und eine Unverträglichkeit für Konservierungsstoffe.

Ja, ich weiß, das Thema Lebensmittelintoleranz hängt vielen zum Hals raus. Mir auch. Das kommt wohl daher, dass in unserer Generation oft einfach nur behauptet wird, irgendetwas nicht zu vertragen, ohne tatsächlich krank zu sein. Doch eine wirkliche Unverträglichkeit zu haben, ist kein Trend. Es ist nichts Tolles, das man gerade mal so macht, weil es fresh ist. Ich würde liebend gern wieder voller Genuss in ein Stück Torte beißen, mir die Restsahne von den Lippen ablecken und mich im Süßigkeitenhimmel wähnen.

Bei Intoleranzen verdrehen viele die Augen

Das Problem fängt schon damit an, dass Lebensmittelintoleranzen gern mit Allergien in einen Topf geworfen werden. Dabei sind sie etwas komplett anderes, äußern sich nur in ähnlichen Symptomen. Bei einer Unverträglichkeit sind die Darmbakterien nicht mehr in der Lage, bestimmte Stoffe ordentlich zu verarbeiten. Das kann Laktose sein, Gluten, Fruktose oder, in meinem Fall, Konservierungsstoffe. Bei Allergien hingegen interpretiert der Körper bestimmte Stoffe (bei mir Soja) fälschlicherweise als Feind, den es zu bekämpfen gilt, statt sie zu verarbeiten. Es ist also eher ein Fehler im Immunsystem.

Unverträglichkeiten können mit der Zeit wieder verschwinden, der Körper erholt sich quasi und ist irgendwann wieder bereit, die Stoffe zu verarbeiten. Bei Allergien, die man im Erwachsenenalter entwickelt, hingegen passiert das seltener. Ich habe das Gefühl, eine Allergie wird gemeinhin eher als Krankheit akzeptiert als eine Intoleranz. Vermutlich, weil die Mehrheit mit Allergien assoziiert, dass man bei einem Fehltritt direkt sterbend auf dem Tisch liegt. Bei dem Wort Lebensmittelintoleranz hingegen verdrehen viele die Augen. Das merke ich selbst jeden Tag.

Das muss ich immer wieder klarstellen:

1. Ich erwähne meine Unverträglichkeit nicht, um im Mittelpunkt zu stehen

Tatsächlich wird meine Unverträglichkeit von vielen Menschen als Einbildung abgetan, wenn ich nicht direkt mit der Diagnose vor deren Nase herum wedle. Schließlich gibt es genug Menschen, die auf Gluten, Laktose oder sonst etwas verzichten, weil sie ihren Ach-so-healthy-Lifestyle nach außen propagieren wollen: "Nein, so einen Mist wie du esse ich nicht. Ich achte nämlich auf mich selbst  – im Gegensatz zu dir." Sie fühlen sich als etwas Besseres und verurteilen die breite Masse der Allesfresser indirekt oder direkt.

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Diese Leute bitte niemals mit denen verwechseln, die wirklich gesundheitliche Probleme von Lebensmitteln bekommen. Niemals. Ich denke mir meine Krankheit nämlich nicht aus, um im Mittelpunkt stehen zu können. Ich fühle mich nicht als etwas Besseres, wenn ich auf Partys keinen Alkohol trinken darf. Ich verurteile niemanden damit oder zeige mit dem Zeigefinger auf andere, weil sie nicht so viel Selbstbeherrschung wie ich haben. Im Gegenteil, ich würde wahnsinnig gern mit anstoßen, ich stehe nämlich auf guten Wein.

2. Ich bin nicht unsozial, ich habe eine Erkrankung

Wenn ich auf Sachen verzichte, dann aus gutem Grund: weil sie mir nicht gut tun. Es bedeutet nicht, dass ich mich aus der Gruppe ausgrenzen will oder die Spaßbremse bin. Ich weiß, jedes Nein, egal wozu es gesagt wird, sorgt für negative Schwingungen. Ein Nein bedeutet Ablehnung oder Kritik. Aber ein Nein auf die Frage, ob ich ein Stück Geburtstagskuchen will, heißt nicht, dass ich das Geburtstagskind nicht mag und nicht richtig mitfeiern will.

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Klar würde ich gerne – aber ich darf es nicht. Weil ich dann für eine halbe Stunde verschwinden müsste, um das Klo zu belagern. Ich würde kalkweiß zurückkehren und sagen, dass der Tag für mich gelaufen ist. Und der nächste auch. Wenn ich Pech habe, auch der danach. Ich würde mit Wärmflasche im Bett liegen, mich aufgedunsen und elend fühlen und das Gefühl haben, mein Schädel explodiert gleich. Vielleicht würde mir auch der Kreislauf wegsacken oder Schlimmeres. Und das ist mir der kurze Moment, mich anstandshalber zu integrieren, einfach nicht wert.

3. Ich entscheide selbst, wann ich mir etwas gönnen möchte

Bis mein Körper die Intoleranz und/oder Allergie wieder ablegt, wird noch Zeit vergehen. Viel Zeit. Falls er es jemals tut. Wenn ich also das alkoholisches Getränk ablehne, ist die Frage "Ach, darfst du immer noch nichts trinken?" absolut fehl am Platz. Die Sache mit dem Ablehnen ist ohnehin ein wunder Punkt bei vielen Zwangsabstinenten: Man hat ja irgendwo immer eine Schwachstelle. Bei mir sind es Schokolade und guter Wein. Es gibt deshalb schwache Momente, da setzt meine Selbstbeherrschung aus und ich erlaube mir ein Glas Weinschorle mit zwei Drittel Wasser. Ich Rowdy! Was ich dann nicht hören möchte: "Ich dachte, du darfst nichts trinken. Jetzt doch oder wie?"

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Ich weiß, es ist nicht böse gemeint. Aber es vermittelt mir ein schlechtes Gewissen. Wenn ich mir selbst etwas gönnen möchte, weil es mir in diesem einen Moment schwerfällt, standhaft zu bleiben, und das verdammt noch mal mein Lieblingswein ist, kann ich das wirklich nicht gebrauchen. Der Knüller wäre, wenn mir das beim nächsten Mal nicht auch noch vorgehalten wird, dass ich doch "neulich auch ein Gläschen getrunken hätte." Damit wird das Standhaftbleiben nur schwerer. Ich verlange ja nicht, dass andere aus Rücksicht auf meinen Lieblingswein verzichten. Aber ich möchte nicht überredet werden.

4. Ich weiß selbst am besten, was ich konsumieren darf

Ich weiß selbst, was ich wann lassen sollte. Ich denke nämlich zufällig jeden Tag in jeder Minute darüber nach. Mein Tag ist bestimmt von Überlegungen, was ich wann esse, wann ich einkaufen gehe, wann ich koche, ob mein Wasserhaushalt stimmt, wie ich auf das Essen reagiert habe, in welcher Form es aus mir heraus kommt, ob ich genügend Probiotika zu mir genommen habe und so weiter. 90 Prozent meiner Gedanken und meines Tagesablaufs sind davon bestimmt. Trotzdem meinen manche Superbrains, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gegessen.

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Ich freue mich über aufrichtiges Interesse und Unterstützung. Aber altkluge Ratschläge à la "Da ist doch nichts drin!", "Du weißt, dass es auch Schokolade ohne Soja gibt, oder?", hochgezogene Augenbrauen und tiefes Stöhnen, weil jemand einfach nicht begreift, dass ich selbst am besten weiß, was mir gut tut – darauf kann ich wirklich verzichten.