Welches Arschloch hat mir meinen Stuhl geklaut?!"

Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, dass das der erste Satz war, den ich je von Patta hörte. Es war eine heiße Nacht im August 2011, die Foo Fighters hatten gerade ihren Gig auf dem Chiemsee Rocks Festival beendet.

Patta war danach zurück zu seinem Zelt gegangen, den Stuhl hatte er draußen stehen gelassen. Er tobte. Ein Freund und ich campten nebenan und entschlossen uns kurzerhand, ihm bei der Suche zu helfen. Wir konnten den Räuber tatsächlich ausfindig machen. Er war augenscheinlich arg betrunken und gab uns das Diebesgut widerstandslos zurück.

Anschließend saßen Patta und ich lange bei Monty-Python-Referenzen und etlichen Dosenbieren zusammen. Am nächsten Tag entschieden wir uns, unsere Camps zusammenzuführen. Wir feierten das Festival gemeinsam. Es war der Grundstock für eine Freundschaft, die bis heute anhält.

Gemeinsame Leidenschaften verbinden

Festivals sind für so einiges bekannt und berüchtigt: Menschenmassen, Musik, Alkohol, Drogen. Doch sind diese Schmelztiegel so viel mehr. Es gibt Menschen, die fanden auf einer dieser mehrtägigen Partys ihre große Liebe. Und es gibt auch Menschen, die fanden langjährige Freund*innen. Aus guten Gründen.

Wenn ich eine Sache benennen müsste, für die Festivals gut sind, würde ich sagen: Sie lassen uns für eine kurze Zeit im Jetzt leben. Was davor war, was danach kommt, wo wir arbeiten, leben, welche Verpflichtungen wir zu erfüllen haben; all das spielt auf einem Festival keine Rolle. Wer das annimmt, darf endlich abschalten. Darf man selbst sein und hat auch die Gelegenheit, offener zu sein, als es der Alltag zulässt.

Das eröffnet einen gemeinsamen Raum, in dem viel entspanntere und intensivere Gespräche möglich sind, als zum Beispiel beim Ausgehen in einer Kneipe. Die Grundvorraussetzungen sind andere, denn alle haben sich längst auf eine Sache geeinigt: Sie lieben die Musik, die dort gespielt wird, deswegen sind sie da. Und wenig verbindet Menschen stärker, als Musik es kann.

Patta und ich bemerkten damals schnell, wie viel wir gemeinsam haben. Wir beide verehrten Bands und Musiker*innen beinahe kultisch, trugen Bandshirts und wollten uns nach Festivals nie von unseren Bändchen trennen. Aber wir waren tief drin auch kleine, verlorene Jungs, nicht cool genug für diese Welt, obwohl wir es so gern sein wollten.

Glücklicherweise fanden wir heraus, dass wir auch einen speziellen Humor teilen. Er ermöglicht es uns, uns nur anzusehen und schon zu lachen. Es blieb jedenfalls nicht bei der einen Begegnung bei diesem Festival.

Wir leben unterschiedliche Leben, doch der kleinste gemeinsame Nenner bleibt

In den folgenden sieben Jahren besuchten wir unzählige Konzerte und Festivals. Wir sehen uns jährlich, aber selten, weil wir 500 Kilometer entfernt wohnen – ich in Berlin, er nahe Dachau. Überhaupt leben wir unterschiedliche Leben, Patta auf dem Land, ich in der Stadt. Arbeitstechnisch könnten wir nicht verschiedener sein, er Bankkaufmann, ich Journalist. Und immer eine Meinung haben wir schon dreimal nicht.

Wir haben bisher so einiges gemeinsam durchlebt. Beziehungen kamen, gingen, wir haben geweint, gelacht. Ich habe Patta für den Artikel gefragt, was ihm durch den Kopf geht, wenn er an unsere Freundschaft denkt. Er sagt, dass wir uns kennenlernten, habe so kommen müssen, anders könne er es sich nicht erklären.

Würde man seine Eltern auf einem Festival kennenlernen, viele hätten ein besseres Verhältnis zu ihnen." – Patta

Über unsere Fernbeziehung sagt er, genau sie mache unsere Begegnungen immer viel intensiver, vor allem, wenn wir uns in der entspannten Festivalatmosphäre sehen. Recht hat er. Und wir sind wohl nicht die einzigen, denen es so geht. Vergangenes Jahr trafen wir auf dem With Full Force Festival zwei Freunde, die sich dort kennenlernten und schon seit über 20 Jahren gemeinsam dorthin fahren.

Wer weiß, ob das auch unsere Zukunft ist. Ich freue mich jedenfalls nicht mehr nur wegen der Musik auf die Festivalsaison, sondern weil wir alle zusammen sein können. Aus Pattas und meinem Treffen 2011 ist mittlerweile ein ganzer Freundeskreis entstanden.

Das erste Festival in diesem Jahr steht dieses Wochenende an. Patta wird mir dann wieder den Biertrichter halten dürfen und ich werde mir sein Gequengel am dritten Tag anhören. Zu seiner Verteidigung: Ja, Festivals sind anstrengend und werden mit zunehmendem Alter nicht leichter.

Falls du das lesen solltest: Danke, du hart besoffener Typ, der damals Pattas Stuhl klaute. Diese Aktion machte ihn und mich zu Bekannten. Und dieses Fünkchen Offenheit mehr, das uns Festivals bescheren können, machte uns letztlich zu Freunden.

An alle, die sich auf einem Festival kennengelernt haben und Freund*innen wurden: Schickt mir für einen möglichen weiteren Artikel sehr gerne eure Geschichten an till.eckert@ze.tt. Viel Spaß auf den Festivals dieses Jahr!