Ich leide an einer Depression und bin deshalb in Therapie. Doch der erste Gang zum Arzt war für mich eine große Herausforderung. Unter anderem, weil ich einfach nicht wusste, was ich dort sagen soll. Psychische Krankheiten sind noch immer nicht frei von Stigmata und unabhängig davon klingen Sätze wie "Ich bin oft traurig" oder "Nichts macht mir mehr Spaß" schwammiger als "Ich habe hier stechende Schmerzen oder bekomme schlecht Luft".

Apps könnten Betroffenen helfen, diese Hürde zu überwinden. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe davon. Sie sollen helfen, Depressionen besser zu erkennen und zu dokumentieren und Therapeut*innen und Ärzt*innen die Diagnostik erleichtern. Eine davon ist Moodpath (sowohl für Android als auch iOS erhältlich). Das Berliner Unternehmen Aurora Health hat sie gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Freien Universität Berlin entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Art Stimmungstagebuch, anhand dessen die App dann eine Einschätzung über die Schwere der möglichen Depression abgibt. 

Neben Moodpath ist wohl Arya die Bekannteste, sie ist ebenfalls ein Stimmungstagebuch. Hier werde ich mich auf Moodpath konzentrieren, da mir diese App gut auf die Bedürfnisse und Lebensrealität von psychisch kranken Menschen angepasst scheint. Ich habe sie selbst ausprobiert und mich mit einem Experten über die Chancen und Risiken solcher Angebote unterhalten.

So funktioniert die App

14 Tage lang habe ich als Moodpathnutzer Fragen zu meinem Gemütszustand beantwortet, um zu einem Ergebnis zu kommen. Dreimal am Tag je drei, vier Fragen, immer mit Ja oder Nein als Antwortmöglichkeit: "Fühlst du dich gerade niedergeschlagen und traurig?", "Denkst du häufig an den Tod?", "Glaubst du gerade, dass du weniger wert bist als andere Menschen?". Immer, wenn ich mit Ja antworte, folgt die Frage "Wie sehr belastet dich das?". Diese beantworte ich, indem ich mit dem Finger eins von vier Gewichten in einen Rucksack ziehe – je mehr mich etwas belastet, desto größer das Gewicht. Zum Abschluss dann noch die letzte Frage: "Wie fühlst du dich gerade?" Dann suche ich mir einen Smiley aus, aus einer Auswahl von "sehr schlecht" bis "sehr gut".

Der Verlauf meiner Stimmung wird als Pfad dargestellt – daher der Name der App. Neben dem Smiley und dem Datum erscheinen pro Tag drei Symbole für die drei Fragerunden: Wenn ich brav alle Fragen beantwortet habe, sind es drei Häkchen, habe ich eine Runde ausgelassen, erscheint ein Kreuz.

Über Reiter am unteren Bildschirmrand habe ich Zugang zu den weiteren Funktionen der App: Unter "Statistiken" wird meine Stimmung der letzten drei Tage berechnet, also wie sehr ich im Durchschnitt von meinen Problemen belastet war. Unter "Beratung" führt ein Link zur Therapeutensuche der Bundes-Therapeutenkammer. Außerdem erscheint dort, falls ich angegeben habe, oft an den Tod zu denken, ein Button, der mich mit der Telefonseelsorge verbindet. Und unter "Wissen" werden via Quizfragen Informationen zum Thema Depressionen vermittelt, von der Definition einer depressiven Episode bis zu Ursachen und Behandlung.

Was passiert nach den 14 Tagen?

Ein Ziel von Moodpath ist laut den Geschäftsführern Felix Frauendorf und Mark Goering Patienten-Empowering: "Viele Menschen fühlen sich verunsichert und erleben den Gang zum Arzt oder Psychotherapeuten als große Hürde. Diesen Menschen wollen wir etwas in die Hand geben, schwarz auf weiß, auf das sie sich berufen können und als Einstieg in ein Gespräch beim Arzt oder Psychotherapeuten nutzen können", sagen sie.

Zu diesem Zweck stellt die App am Ende des zweiwöchigen Testzeitraums einen sogenannten Arztbrief aus: ein offiziell aussehendes Schreiben, gerichtet an eine*n Therapeut*in oder Arzt*Ärztin, das die Ergebnisse der Moodpathnutzung in medizinischer Fachsprache zusammenfasst. Mir hätte etwas in dieser Richtung damals bei meinem ersten Besuch sehr geholfen.

Beim Ratgeber Depressionsbehandlung, der am Ende der Testphase neben dem Arztbrief zur Verfügung steht, kann an der Präsentation und Nutzerfreundlichkeit noch gearbeitet werden. Auf dem Smartphone durch ein 30-seitiges PDF zu scrollen, ist eine etwas absurde Anforderung an den*die User*in und steht im Kontrast mit der ansonsten so simpel gehaltenen App.

Sind die Anforderungen für depressive Menschen machbar?

Eine wichtige offene Frage war für mich, ob die Anforderungen nicht zu groß für depressive Menschen sind. Der Testzeitraum von mindestens 14 Tagen ist wissenschaftlich fundiert – nur, wenn Symptome 14 Tage lang anhalten, ist medizinisch von einer depressiven Episode die Rede. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig es ist, sich in Tiefphasen auch für kleine Aufgaben zu motivieren. Die Anforderungen, die Moodpath an die Nutzer stellt, sind überschaubar.

Das fällt gerade im Vergleich mit anderen Stimmungstagebüchern auf: Das angesprochene Arya erwartet von User*innen beispielsweise das Beschreiben einer Situation und der eigenen Gefühle. In meinen schlimmsten depressiven Phasen hätte ich das nicht länger als ein paar Tage durchgehalten. Die Ja/Nein-Fragen von Moodpath können noch immer Kraft und Mühe kosten, aber sie sind eine deutlich kleinere Hürde.

Das sagt ein Experte über die App

Das ganze Empowering nützt am Ende natürlich nur, wenn auch die andere Seite, Ärzt*innen und Therapeut*innen, mit den Daten der App etwas anfangen kann. Wie wissenschaftlich fundiert ist Moodpath?

Als eine von wenigen Gesundheitsapps ist Moodpath als Medizinprodukt zertifiziert. Die Macher erklären, dass sie sich bei der Erstellung des Fragenkatalogs an international anerkannten Methoden und Kriterien orientiert haben, namentlich dem AMDP-System (ein System zur Erfassung und Diagnostik psychischer Krankheiten, erstellt von der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) und dem ICD-10 (International Classification of Diseases, ein weltweit gültiges Verzeichnis von Krankheiten und Kriterien für ihre Diagnose). Bei mir stellte Moodpath übrigens "Hinweise auf eine mittelschwere depressive Episode" fest, was mit der Diagnose meines Psychiaters übereinstimmt.

Dennoch ist die Einschätzung der App keine finale Diagnose oder Behandlung. Das betont auch Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Das Nutzen einer App wie Moodpath "als Ersatz für eine reguläre Behandlung mit Antidepressiva oder Psychotherapie anzusehen", sei eine Gefahr solcher Angebote. Dennoch sieht er in Moodpath auch eine Chance: "Wir haben ja bei Depressionen das Problem, dass wir keine Laborwerte oder andere Biomarker haben, die zur Diagnosesicherung herangezogen werden können. Eine engmaschigere und differenziertere Erfassung von Selbstbeurteilung der Patienten ist deswegen ein Schritt in die richtige Richtung."

Mein Fazit

Apps wie Moodpath werden die Diagnose und Behandlung von psychischen Krankheiten nicht revolutionieren. Wer Hilfe für seine Depressionen sucht, muss weiterhin zum*r Arzt*Ärztin oder Therapeut*in gehen. Diese müssen sich weiterhin auf Selbstbeobachtung des Patienten verlassen. Aber die App bietet beiden Seiten Unterstützung bei ihren Aufgaben. Patient*innen können sich auf konkrete Daten stützen, was ihnen helfen kann, ihre Krankheit als legitimes, medizinisches Problem anzusehen statt als eigenes Versagen.

Und aus Therapeutensicht "wäre es schwer zu rechtfertigen, diese Daten nicht zu nutzen", sagt Hegerl: "Psychiater, aber auch andere Ärzte müssen lernen, diese immer differenzierter und immer umfangreicher anfallenden Biodaten systematisch für eine Optimierung des Selbstmanagements des Patienten, aber auch ärztliche Behandlungsentscheidungen zu nutzen."

Außerdem auf ze.tt: #LetsTalkAboutMentalHealth: Was bedeutet es, wenn du an einer Depression leidest?

HILFE HOLEN

Falls du unter Depressionen leidest und dich Suizidgedanken plagen, findest du bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 rund um die Uhr Hilfe. Du kannst dich dort anonym und vertraulich beraten lassen. Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.