Sie verlieren den Bezug zur Realität. Manchmal ist es den Betroffenen nicht einmal anzusehen, manchmal merkt es nur die Familie.

Kirsten Becken kennt Schizophrenie seit sie ein Kind ist. Ihre Mutter ist schon in jungen Jahren erkrankt. In dem Kunstbuchprojekt verarbeitet sie nun zusammen mit ihrer Mutter und über 50 internationalen Künstler*innen, was die Krankheit für sie bedeutet. Es heißt Seeing Her Ghosts. Wir haben mit ihr über das Buch und ihr Verhältnis zur Krankheit gesprochen.
ze.tt: Kirsten, wann wurde die Krankheit bei deiner Mutter festgestellt?

Kirsten Becken: Bei meiner Mutter zeigten sich die ersten Symptome mit Anfang 20. Als sie gemerkt hat, dass es nicht mehr geht, ist sie zu einem Psychiater gegangen. Seitdem nimmt sie – bis auf eine medikamentenfreie Zeit, in der ich entstanden bin – Medikamente dagegen. Heute versucht man es begleitend mit Psychotherapie. Damals, Ende der 1970er, war es noch anders.

Wann hast du als Kind bemerkt, dass deine Mutter besonders ist?
Als ich Abi gemacht habe, gab es den ersten, richtigen Schub. Nach beinahe zwanzig Jahren Medikation musste sie in die Klinik. Das war keine schöne Erfahrung.

Wie hat sich deine Mutter in diesen Phasen verhalten?
Sie war misstrauisch, provokant und hat mich etwas zu lange angeguckt. Sie hatte eine große Wut. Aber für mich ist sie nie bedrohlich gewesen.

Wie seid ihr in der Familie damit umgegangen?
Wir haben uns in der Familie immer total viel ausgetauscht. Es gab zum Beispiel einen Code-Namen für Phasen, in denen sie sich zurückziehen wollte. Wenn sie nicht mehr am Kaffeetisch sitzen konnte und ihr alles zu viel wurde, dann hat sie zu meinem Vater gesagt: Ich habe Gesichter gesehen.

Schizophrenie ist eine schwere Form der psychotischen Erkrankung, die mit einem Realitätsverlust einhergeht. In akuten Phasen fällt es den Betroffenen oft schwer, zwischen der Realität und der eigenen, subjektiven Wahrnehmung zu unterscheiden. Das kann dazu führen, dass sie Stimmen hören, die andere nicht hören, sich verfolgt oder bedroht fühlen (auch von Freund*innen oder Familienmitgliedern). Persönlichkeitsspaltung gehört – entgegen der verbreiteten Annahme – nicht zum Krankheitsbild.

An Schizophrenie erkranken Männer im Durchschnitt zum ersten Mal im Leben zwischen 15 und 25, Frauen im Durchschnitt etwas später zwischen 20 und 35. Die Ursachen sind bislang nicht vollends geklärt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass mehrere Faktoren einen Einfluss haben: genetische Vorbelastung, biochemische Ursachen oder eine veränderte Gehirnstruktur, aber auch familiäre oder soziale Faktoren und der Einfluss belastender Lebensereignisse.

Expert*innen gehen davon aus, dass Menschen, die an einer Schizophrenie erkranken, empfindlicher gegenüber Innen- und Außenreizen sind. Viele Betroffene zeigen vor Ausbruch der Erkrankung eine geringere Toleranz gegenüber seelischen, körperlichen und biografischen Belastungen. Behandelt wird Schizophrenie heute meist durch eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. 
Warum hast du mit dem Buchprojekt angefangen?
Mit dem Buch will ich zeigen, dass die Krankheit zum Leben dazugehört. Viele Menschen finden in Bildern einen besseren Einstieg, weil man sich schwer vorstellen kann, wie es ist, in einem Wahn zu sein, wenn man es selbst nicht erlebt hat.

Welchen Vorurteilen begegnest du im Alltag in Bezug auf die Krankheit?
Wenn man anders ist oder intensivere Gefühle zeigt, eckt man an. Auf einer Theaterbühne ist es einfacher, da guckt man es sich in einem appetitlichen Rahmen an, aber im echten Leben kommt es zu nah. Vielleicht, weil es nicht in den Alltagstrott passt. Viele wissen gar nicht, dass die Betroffenen auch ganz normal arbeiten gehen und nach außen hin funktionieren.

Was hat dich die Beschäftigung mit dem Thema gelehrt?
Für mich war es wichtig zu verstehen, dass ein Schub ein Ventil ist, das Unerledigtes explodieren lässt, und dass Psychose auch Zugang schaffen kann.

Gibt es etwas Schönes an Schizophrenie?
Man ist viel sensibler als die meisten Menschen. Man hat feinere Sensoren. Ich erlebe bei meiner Mutter oft, dass sie sehr feinsinnig ist und damit oft ins Schwarze trifft.