Mehr Menschen kümmert es, woher ihr Essen stammt, wie es produziert wurde und wie es schmeckt. Ich würde mich selbst als Flexitarier bezeichnen und kann sowohl Fleischesser*innen als auch Veganer*innen und Vegetarier*innen gut verstehen. Ich bin gegen Massenhaltung, aber finde es grundsätzlich okay, Tiere zu töten. Ich reduziere meinen Fleischkonsum, aber weiß ein gutes Steak zu schätzen und bin bereit, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen. Ist das ein fauler Kompromiss? Vielleicht. Oder der realistischste Weg, die Welt möglichst schnell zu verbessern. Dazu gleich mehr.

Der Test: Online-Fleischversender versprechen Qualität und Transparenz

Den Trend zur bewussten Ernährung haben natürlich auch Start-ups in verschiedenen Varianten aufgenommen. Eine davon ist die Idee des Crowdbutchings. Weniger Fleisch essen, aber dafür gutes und zurückverfolgbares, so die Idee. Klingt also nach Flexitariertum, gegossen in ein Geschäftsmodell. Ich habe einen Anbieter getestet.

Tag 1: die Bestellung

Kaufnekuh.de hat vor zwei Jahren

Crowdbutching nach Deutschland gebracht. Eine Kuh wird erst geschlachtet, wenn sie vollständig verkauft ist. Dafür müssen sich etwa 60 Menschen für ein Mini-Paket mit 3,6 Kilogramm Fleisch entscheiden, oder halb so viele für das Maxi-Paket.

Ich bestelle die Nicht-bio-und-nicht-BBQ-Variante des kleinen Paketes und erfahre, dass mein Fleisch von dem Fleckvieh 7173 aus Konstanz stammen wird. Alle Teile von dieser Kuh, die nicht in einem Paket landen, werden anderweitig verwertet; Knochen zu Leim, Häute zu Leder und Innereien, die verarbeitet werden dürfen, in der Tierfutterproduktion.

Bewusster Fleischkonsum und Transparenz, das haben sich auch andere Onlineversender auf die Fahne geschrieben; darunter myCow.de, biosphaerenkontor.de, besserfleisch.de und genusshandwerker.de. Wer also wissen möchte, woher Gulasch oder Hüftsteak stammen, hat heutzutage viele Optionen. Auch in der Metzgerei und an der Frischfleischtheke im Supermarkt lässt sich die Herkunft der Produkte oft erfragen.

Tag 3: Die Kuh ist verkauft

Mein Fleckvieh 7173 wurde nun vollständig verkauft und wird bei Bauer Aichem abgeholt, so kündigt es eine Mail an. In etwa drei Wochen soll das Fleischpaket bei mir sein. Vorher wird die Kuh in der Region Bodensee geschlachtet und verarbeitet. Etwa 250 Kühe hat Kaufnekuh.de bisher nach dem Prinzip des Crowdbutchings verkauft, wie Marketingchefin Doris Sonnert erklärt. Das entspreche 12.000 Paketen.

Das sind noch bescheidene Zahlen im Vergleich dazu, was hierzulande an Fleisch konsumiert und produziert wird. Der Pro-Kopf-Verzehr lag 2016 laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Schnitt bei etwa 60 Kilogramm Fleisch. Seit 2000 ist dieser Wert relativ konstant, mit Schwankungen von etwa einem Kilogramm. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland gut 64 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Pferde und Ziegen geschlachtet. Das ist der höchste Wert seit 2011.

Die Zahlen lassen keinen großen Trend zum Fleischverzicht erkennen, doch sie zeigen etwas anderes: Fleischesser*innen haben eine riesige Marktmacht. Wenn jede*r Carnivor*in den Fleischkonsum um auch nur zehn Prozent runterfährt, setzt das sehr viel in Bewegung. Das ist ein Grund, warum die Umstellung zu einer flexitarischen Ernährung so schnell viel bewegen kann: Der Schritt ist nicht so weit wie zum Fleischverzicht, aber wenn ihn viele kollektiv gehen, hat das gleich einen riesigen Einfluss.

Und immerhin, einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) von 2016 zufolge, bezeichnen sich schon 37 Prozent der deutschen Haushalte als Flexitarier. Etwa fünf Prozent der Haushalte haben mindestens ein Mitglied, das sich vegetarisch ernährt. Die Flexitarier*innen haben innerhalb des Untersuchungszeitraums 20 Prozent weniger Fleisch und 18 Prozent weniger Wurst gekauft als Nicht-Flexitarier, dafür 400 Prozent mehr Fleischersatzprodukte. "Flexitarier*innen sind damit – mehr noch als Vegetarier*innen – die eigentlichen Träger des Veggie-Booms in Deutschland", schrieben die Marktforscher*innen.

Tag 13: Die Kuh reift

Die nächste Mail verrät: Am Mittwoch vor einer Woche sei meine Kuh geschlachtet worden und nun reife das Fleisch, um einen intensiveren Geschmack zu bekommen. Die Tiere, die das Start-up vermarktet, sind zwischen drei und acht Jahre alt. Das Fleckvieh 7173 stammt nicht von einem bio-zertifzierten Bauernhof, doch Kaufnekuh.de verspricht, auf das Tierwohl während der Haltung zu achten. Laut Sonnert erhalten die Bäuer*innen einen Preis, der über dem durchschnittlichen Marktpreis liegt.

Bedeutet das im Gegenzug, dass man als Kund*in bei dem Lieferservice draufzahlt? Mein Mini-Paket, nicht bio, kostet inklusive Versand 60,90 Euro. Redakteure der Sendung Galileo kamen im Preisvergleich auf 62,81 Euro bei einer Metzgereikette und 51,04 Euro im Supermarkt.

Für mein 3,6 Kilo-Paket zahle ich 60,90 Euro."

Im Discounter würde ich nach meinen Recherchen etwa 36 Euro zahlen, wobei der Laden um die Ecke nicht alle Fleischprodukte führt, die in dem Paket enthalten sind. Im Bio-Supermarkt würden mich die 3,6 Kilogramm Rindfleisch 83,92 Euro kosten. Das kleine Bio-Paket von Kaufnekuh.de bekommt man für 74,95 Euro, der Versand ist eingepreist. Die Paketpreise des Start-ups sind also konkurrenzfähig für alle, die nicht auf das obzsön günstige Discounterfleisch zurückgreifen würden.

Tag 22: Die Kuh ist bald unterwegs

Ich werde unterrichtet, dass mein Paket am kommenden Mittwoch zwischen 8 und 13 Uhr geliefert wird. Den Termin kann ich ändern, muss allerdings einen Mittwoch oder Freitag wählen. Als Freiberufler kann ich das ganz gut einrichten, für Festangestellte dürfte es schwieriger sein. Ist der*die Empfänger*in nicht anzutreffen, wird das Paket entweder bei Nachbar*innen abgegeben oder man erteilt eine Abstellgenehmigung. In dem Fall erwartet einen das Paket vor der Wohnungstür, wenn man abends nach Hause kommt. Ausreichende Kühlung bis dahin kann kaufnekuh.de allerdings nicht garantieren. Dritte Alternative: Das Paket wird eingefroren und zu einem späteren Termin geliefert.

Zwischen meiner Bestellung und der Lieferung wird am Ende ein Monat vergangen sein. Das Angebot ist also nichts für Kurzentschlossene, doch immerhin gibt es mir Zeit zu überlegen, was im Himmel ich als Single-Haushalt mit fast vier Kilogramm Fleisch anfange. Damit ließe sich eine vierköpfige Familie ein paar Tage durchfüttern.

Apropos durchfüttern: Wie ernähren wir eigentlich eine Weltbevölkerung, die nach UN-Prognosen bis 2050 auf 9,8 Milliarden Menschen anwachsen soll? Heute sind wir 7,6 Milliarden. US-Forscher*innen haben im vergangenen Jahr eine interessante Studie dazu veröffentlicht.

In einer Simulation verglichen sie, wie gut zehn unterschiedliche Ernährungsweisen die wachsende Weltbevölkerung ernähren können. Am schlechtesten schnitt dabei die aktuelle US-amerikanische Ernährungsweise ab. Am meisten Menschen können danach von zwei Varianten einer vegetarischen Ernährung mit oder ohne Eier leben, gefolgt von zwei omnivorischen Varianten mit je geringem Fleischanteil. Auf dem fünften Platz landete die vegane Ernährung.

Die Message ist auch hier klar: Wir müssen den Fleischkonsum deutlich reduzieren. Doch auf Tierprodukte ganz zu verzichten, wäre versorgungstechnisch nicht sinnvoll.

Tag 29, Morgen: Die Kuh wird geliefert

Eine Mail des Paketlieferanten hatte mich am Vortag noch erinnert: Heute ist der große Tag! Die immer gute, immer etwas alberne Spannung, wenn ein Paket ankommt, das man in diesem Internet bestellt hat. Und voilà ... das Ding ist da.

Kühlgel-Kissen haben die Fleischteile frisch gehalten. Verzeihung, liebe Veggie-Leser*innen, jetzt müssen wir kurz einmal aufzählen, was da drin ist: Roastbeef-Entrecote (1x 300g), Rouladen (2x 180g), Steak (2x 160g), Rinderbrust (1x 350g), Geschnetzeltes (1x 240g), Gulasch (2x 240g), Suppenfleisch (1x 250g), Chipolata-Würstchen (6x 75g), Hackfleisch (2x 240g) und Hamburger-Patties (4x 120g).

Und so sieht das also aus, wenn man das Paket auf dem Küchentisch ausbreitet. Ehrlich gesagt, ziemlich ernüchternd. Denn natürlich macht ein Steak mehr her, wenn es für eine Website in Szene gesetzt wird, als wenn es leicht blutverschmiert und in Plastik eingeschweißt vor einem liegt. Überhaupt, so viel Plastik, das weckt erst einmal keine Assoziationen an nachhaltigem Konsum. Wie die anderen Anbieter auch, arbeitet KaufneKuh.de an alternativen Verpackungsoptionen. Ich verstaue den größten Teil meines neuen Fleischreichtums im Gefrierfach und lade einen Freund zum Steakessen ein.

Tag 29, Abend: Die Kuh wird probiert

Bei allen ethischen und ästhetischen Fragen, die über dem Fleischpaket kreisen, gilt es nun eine zu beantworten, die auch nicht unentscheidend ist: Wie ist eigentlich das Fleisch? Optisch machen die Steaks einen guten Eindruck. Es kann sich um Filets oder Hüftstücke handeln, die werden zufällig auf die Mini-Pakete verteilt. Im Maxi-Paket hat man beide Zuschnitte.

Die Zubereitung gelingt nach Wunsch, medium-rare. Doch nach den ersten Bissen wechseln F. und ich leicht gequälte Blicke – das Fleisch ist sehr sehnig. Wir verabschieden ein stillschweigendes Gentleman’s Agreement, unzerkaubare Stücke in die Serviette abzuführen. Das Pech kann man bei einem Hüftsteak mal haben. Es sagt nichts über die Gesamtqualität des Fleisches im Paket aus, ist aber im Einzelfall sehr misslich. Kaufnekuh.de schickt mir als Wiedergutmachung einen 10-Euro-Gutschein.

In den kommenden Tagen und Wochen teste ich einige der anderen Kuhteile. Die Burger-Patties und das Hack sind top, das Roastbeef etwas verwachsen, im Geschnetzelten findet sich das eine oder andere sehnige Stück, sonst ist es gut.

Das Resumée

Ich bin überzeugt, dass wir weniger und besseres Fleisch essen sollten, um der unsäglichen Massentierhaltung nach und nach ein Ende zu bereiten. Komplett auf Fleisch zu verzichten, wäre der konsequentere Schritt. Gesamtgesellschaftlich ist die Umstellung auf eine flexitarische Ernährung allerdings deutlich realistischer, zumindest für absehbare Zeit.

Angebote wie KaufneKuh.de zeigen als Leuchtturmprojekte, wie Flexitariertum funktionieren kann. Einen fairen Preis zahlen für das Fleisch, wissen, woher es kommt, und wenn Tiere schlachten, dann sie auch voll verwerten – das sind richtige Ansätze. Das Verpackungsproblem ist noch nicht zufriedenstellend gelöst und fraglich ist auch, ob einen die fast vier Kilo Fleisch im Gefrierfach tatsächlich dazu bringen, weniger Fleisch zu essen.

Das hängt auch davon ab, was die Baseline ist. Ich habe vor dem Fleischpaket noch nie Roastbeef, Geschnetzeltes oder Rouladen gekauft. Jetzt, wo ich sie im Haus habe, freue ich mich, beim Kochen etwas Neues auszuprobieren, aber so eine komplette Ladung brauche ich nicht noch einmal. Für Familien oder größere Haushalte ergibt das Angebot sicherlich mehr Sinn. Klar ist natürlich auch: Egal auf welchem Wege man gutes Fleisch bezieht, die grundsätzliche Frage, ob es in Ordnung ist, Tiere für den eigenen Genuss zu töten, nimmt einem keine pfiffige Geschäftsidee ab.