Bis neulich sei in ihrer Beziehung alles toll und schön gewesen, erzählt mir eine Freundin via FaceTime. Sie hat sich zum Gespräch mit mir ins Bad geschlichen, damit ihr Freund sie nicht hört. "Aber seit Tagen hocken wir nonstop in dieser winzigen Bude aufeinander – und ich kann ihn grad kaum noch ertragen. Allein wie er atmet!"

Die Liebe der beiden war bislang vor allem basierend auf einem ausgewogenen Nähe-Distanz-Verhältnis gewachsen; die zwei haben regelmäßig auch allein Dinge unternommen. Genau das ist seit den Ausgangs- und Kontaktbegrenzungen hinfällig. Und dieses Zuviel an Nähe strapaziert derzeit weltweit selbst die stabilsten und erfülltesten Beziehungen.

Aber es gibt da durchaus ein paar Dinge, die du tun kannst, um deine Beziehung ein Stück weit zu entlasten.

Das sind die Herausforderungen für Beziehungen

Wenn sich Paare fast ausschließlich gemeinsam in ihren Wohnungen aufhalten, ergeben sich bisher nicht dagewesene Herausforderungen. Vor allem die fehlende Eigenzeit – also Zeit, in der jede Person im Haushalt für sich ganz allein ist, ohne Partner*in oder Kinder – ist schwer zu kompensieren.

Wer ohne Ausweichmöglichkeit in einer reizarmen Umgebung permanent aufeinanderhockt, geht sich fast zwangsläufig irgendwann massiv auf den Keks. "Dann ist es schwer, den liebevollen Kontakt zueinander aufrecht zu erhalten oder auch sich schnell wieder zu beruhigen, wenn einen etwas aufregt oder ärgert", sagt die Berliner Paarberaterin Anna Holfeld. Außerdem mangelt es oft an Strategien für den Umgang mit Langeweile.

In der Folge brechen nicht selten alte oder neue Konflikte aus. Selbst bei Paaren, die sonst harmonisch miteinander umgehen und sehr glücklich sind.

Zu zweit allein? Das ist jetzt wichtig

Wichtigster Aspekt ist die Balance zwischen Zusammensein und Getrenntsein – die, wenn sie stimmig ist, die Verbindung des Paares stärken kann. Das haben sich unlängst zwei Wissenschaftlerinnen der University of Missouri-Kansas City für eine Studie zum Thema Paare und Freizeit genauer angesehen.

Entscheidend dabei ist demnach die sogenannte Selbstdifferenzierung – die Fähigkeit, auch innerhalb einer Beziehung eine unabhängige Selbstwahrnehmung zu behalten, also, eine eigene Person und nicht nur die Hälfte eines Paares zu sein. Menschen, bei denen diese Selbstdifferenzierung ausgeprägt ist, genießen sowohl Zeit mit dem*der Partner*in, als auch allein mit sich.

Auf den ersten Blick sollte Menschen mit starker Selbstdifferenzierung das Beziehungsleben in der Isolierung eigentlich schwerer fallen, weil die Alleinzeit fehlt. Allerdings sind sie gleichzeitig auch ziemlich gut darin, Raum und Zeit für sich selbst zu beanspruchen und mit dem*der Partner*in auszuhandeln. Außerdem erkennen sie oft besser, was sie selbst gerade brauchen. Und das wiederum sorgt dafür, dass sie tatsächlich besser mit dem gemeinsamen Rückzug umgehen können.

Konkret gesagt: Für sie ist es okay, wenn beide sich in getrennten Räumen aufhalten und unterschiedliche Dinge tun. Paare hingegen, denen das Spüren und das Ausdrücken eigener Bedürfnisse schwerer fällt, gehen sich viel eher auf die Nerven. Unter anderem, weil sie schlicht nicht gelernt haben, gut ohneeinander auszukommen.

Das sagt auch Paarberaterin Anna Holfeld: "Paare, die einen guten Umgang haben und sich selbst beschäftigen können, kommen besser mit der aktuellen Situation zurecht."

Diese Tipps helfen

Was also tun, wenn ihr euch momentan nicht mal mehr atmen hören könnt, ohne genervt zu sein? Zunächst mal: keine Panik. Die Ausgangs- und Kontaktbegrenzungen werden nicht für immer andauern. Betrachtet es einfach wie eine Urlaubsreise in eine zugeschneite Berghütte. Vorübergehend etwas eng, aber vielleicht auch recht kuschelig.

Paare, die sich selbst beschäftigen können, kommen besser mit der aktuellen Situation zurecht.
Paarberaterin Anna Holfeld

Und dann: Lasst einander Raum. Ihr müsst euch nicht die ganze Zeit miteinander beschäftigen, könnt die Zimmer aufteilen und ungestörte Alleinzeiten festlegen, in der jede*r machen kann, was er*sie will und der*die andere ihn*sie einfach in Ruhe lässt. Gegenseitige Rücksicht auf unterschiedliche Bedürfnisse ist gerade unglaublich wichtig.

"Auch eine klare Tagesstruktur hilft: Wer macht wann was, wer ist wann in welchem Zimmer? Das kann zum Beispiel auf Post-Its für alle sichtbar gemacht und wöchentlich angepasst werden", rät Beziehungsexpertin Anna Holfeld. "Und wichtig ist jetzt zu überlegen, was für die Beziehung gut wäre. Dazu können zum Beispiel abendliche Gesprächsrunden gehören mit der Frage: Wie war der Tag für dich oder euch, was war schön, was war blöd?"

Hilfreich sei es laut Holfeld auch, sich ganz bewusst auf Positives zu konzentrieren, in der Interaktion besonders großzügig zu sein, dem*der anderen eine positive und keine negative Absicht zu unterstellen und freundliche Sprache zu nutzen. Kurz gesagt: lieb sein.

Außerdem auf ze.tt: So sieht Liebe aus, wenn niemand hinschaut

Letztlich kann es der Beziehung auch gut tun, hier und da gemeinsame Projekte anzugehen, statt nur vor dem Fernseher zu sitzen: "Zum Beispiel die Wohnung neu dekorieren oder umbauen, einen Koch- oder Fotokurs machen, sich auf etwas anderes als Enge und Virus konzentrieren und dabei konkrete Ergebnisse und gemeinsame Erfolge erzielen", sagt Anna Holfeld – sie richtet eine Beratungshotline für Paare ein, denen es mit der unfreiwilligen Nähe nicht gut geht und deren Beziehung momentan unter Quarantäne, Lockdown und Isolierung leidet.

Denn in diesen Zeiten, in denen viele Beziehungen durch ein Zuviel an Nähe enorm belastet werden und es kaum Ausweichmöglichkeiten gibt, kommt es vor allem auf bewussten, rücksichtsvollen Umgang mit dem*der anderen ebenso wie mit sich selbst an. Wer die eigenen Bedürfnisse gut kennt, klar artikuliert und die des*der Partner*in respektiert, hat Chancen, dass die Beziehung vielleicht sogar gestärkt aus dem Lockdown hervorgeht.

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