Priya war 20 Jahre alt, als sie feststellte, dass sie Frauen liebt. Sie war mit ihren Gefühlen und ihrer Verwirrung alleine. "Ich hatte nicht mal ein Wort für 'lesbisch'", sagt sie während eines Skype-Interviews mit ze.tt. Also erzählte sie zu Hause nichts davon. Wenig später lernte sie an der Uni ihre erste Freundin kennen. Auch das musste geheim bleiben. Vier Jahre dauerte ihre Beziehung, dann trennten sich die beiden. "Ich war depressiv, aß und schlief nicht mehr", sagt sie. Ihre Eltern begannen, sich Sorgen um sie zu machen und sagten zu ihr: "Egal, was es ist, erzähl uns bitte was los ist. Wir bekommen das hin."

Priya outet sich

Priya öffnete sich ihren Eltern – und war überrascht. "Sie haben kein großes Drama draus gemacht und waren ziemlich verständnisvoll." Dennoch blieb sie ein Exot in ihrer Familie. Ihre Eltern bezeichnet sie als konservativ, alle ihre Geschwister sind verheiratet.

Durch Zufall stieß sie dann im Jahr 2009 auf Gaysi. Die Entdeckung änderte ihr Leben. "Ich hatte keine Begriffe für Gender und sexuelle Minderheiten. Ich kannte keine LGBTQ-Menschen", sagt sie. Plötzlich merkte sie, dass sie nicht alleine war, dass es andere Menschen da draußen gab, denen es genauso ging, wie ihr. "Es gab davor einfach keinen Platz, um Gleichgesinnte zu treffen", erinnert sie sich. Das änderte sich mit Gaysi, auch wenn es zunächst nur ein virtueller Treffpunkt war.

Priya begann, über ihre Erlebnisse zu berichten

Gegründet hat das Magazin Sakshi Juneja vor knapp zehn Jahren, damals noch als reines Blog. Gaysi ist eine Kombination aus gay und desi, einem Hindi-Wort für südasiatisch. "Es gab einen Bedarf für Geschichten, die wir nachempfinden konnten. Es gab Bedarf für eine ehrliche Dokumentation von queerem Leben in Indien", sagte sie dem Guardian. Sakshi war die erste, die in Indien über Gender und Sexualität bloggte.

Priya nahm Kontakt zur Gründerin auf. Die lud sie ein, über ihre Erfahrungen zu berichten. Und Priya schrieb. Erst unregelmäßig, dann immer häufiger. In ihrem Hauptberuf arbeitete Priya als Computerspezialistin für Kryptografie. Für Gaysi schrieb sie nachts und an den Wochenenden.

Die Leute werden zu religiösen Ritualen geschleppt, wo man versucht, es ihnen auszutreiben." – Priya Gangwani

Derweil änderte sich in Indien die politische Landschaft für queere Menschen. Ein Gesetz untersagt Homosex und jede andere Art von Sex "gegen die Ordnung der Natur". Zuwiderhandlung kann mit lebenslanger Haftstrafe geahndet werden. Es stammte noch von den britischen Besatzer*innen. Das High Court of Delhi schaffte es im Jahr 2009 ab. Nur vier Jahre später kassierte das Supreme Court die Aufhebung und setzte den Artikel wieder in Kraft. Seitdem ist Homosex wieder illegal. Es sei Aufgabe des Parlaments und nicht der Justiz, darüber zu befinden, urteilte das Gericht. "Eine Begründung war auch, dass es ja ohnehin kaum jemanden geben würde, den das beträfe", erinnert sich Priya.

Kein Nischenthema mehr

Um das Gegenteil zu beweisen, outeten sich viele Menschen. Auch die Medien griffen das Thema auf. "Seitdem ist etwas passiert", sagt Priya. "Es ist kein Nischenthema mehr. Mittlerweile weiß jeder, was gay bedeutet." Dennoch ist ein Coming-out in Indien noch immer mit Risiken verbunden. "Die Leute werden zum Teil zu religiösen Ritualen geschleppt, wo man versucht, es ihnen auszutreiben. Man schickt sie zu Psychotherapeuten oder zwingt sie dennoch zu Hochzeiten."

Auch die Wahl des konservativen Hindu-Politikers Narendra Modi sei kein Schritt nach vorne gewesen, sagt Priya. Deshalb kündigte sie ihren Job und widmet sich nun Vollzeit Gaysi. Vier feste Mitarbeiterinnen hat das Magazin mittlerweile – alles Frauen. Ein festen Arbeitsplatz haben die vier aber nicht. "Wir arbeiten von zu Hause und treffen uns manchmal in Coworking-Spaces."

Es fühlt sich wie ein Abenteuer an." – Priya Gangwani

Um ihr Anliegen sichtbarer zu machen, veröffentlichen Priya und ihre Kolleginnen seit einiger Zeit einmal im Jahr ein Printversion von Gaysi. Das liegt in Cafés aus oder an Universitäten. Außerdem veranstalten sie offene Bühnen oder Badminton-Wettbewerbe für queere Frauen.

Die Entscheidung, ihren sicheren und gutbezahlten Job aufgegeben zu haben, bereut Priya nicht. "Es war wie ein Ruf für mich", sagt sie. "Es fühlt sich wie ein Abenteuer an – und falls es nicht hinhaut, kann ich immer noch zurück."