"Seit heute sind wir im Hungerstreik, um auf die katastrophalen Zustände in den griechischen Geflüchtetenlagern aufmerksam zu machen und insgesamt für eine bessere Geflüchtetenpolitik zu protestieren. Wir hoffen, ihr seid auch dabei!" Mit diesen Worten verkündeten am 29. April Clara und Lovisa, die Initiatorinnen der Gruppe Coloured Rain, auf Instagram, in den Hungerstreik zu treten.

Ihrem Aufruf sind inzwischen mehrere junge Leute gefolgt – darunter zwei Aktivist*innen aus Trier, die unter den Pseudonymen Ultraviolett und Marinblau auftreten wollen. Beide verzichten seit dem 7. Mai auf Essen und trinken ausschließlich Säfte, Brühen und Tees, um einigermaßen bei Kräften zu bleiben.

Kein Hungerstreik im klassischen Sinne

Grundsätzlich wird unter Hungerstreik eine passive Protestform des Widerstands verstanden. Die Akteur*innen verweigern die Nahrungsaufnahme und nehmen die gesundheitlichen Folgen in Kauf, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Als einer der Ersten hat Mahatma Gandhi in den 1930er- und 1940er-Jahren mehrfach diese Form des Protests gewählt. Er kämpfte so unter anderem für die Rechte der Dalit, der indischen Ureinwohner*innenschaft.

In Deutschland verweigerten zwischen 1972 und 1994 inhaftierte Mitglieder der linksextremen Terrororganisation Rote Armee Fraktion ihre Mahlzeiten – sie forderten bessere Haftbedingungen. RAF-Mitglied Holger Meins starb nach sieben Wochen Hungerstreik.

Gegenüber ze.tt erklärt Ultraviolett, dass es bei ihrem Hungerstreik nicht das Ziel sei, langfristige körperliche Schäden zu verursachen oder andere Menschen unvorbereitet zum Hungern zu animieren: "Unser Protest ist nicht mit Hungerstreiks von Menschen in autoritären Regimen oder Gefängnissen zu vergleichen, deren letzte politische Möglichkeit es ist, ihre eigene Gesundheit zu opfern." Ultraviolett und Marinblau stehen beide unter ärztlicher Aufsicht.

Für mich war der Hungerstreik eine Möglichkeit, dieser Hilflosigkeit zu entkommen.
Antonia, Aktivistin Coloured Rain

Ihr Hungerstreik sei nur ein Teil des Protestes Vieler. Mit der Aktion erhofft sich Coloured Rain Aufsehen. Aufsehen, das sie wiederum auf die weiterhin prekäre Situation der Geflüchteten auf den griechischen Inseln lenken wollen. In einem Schreiben fordern die Aktivist*innen in Trier etwa ein Landesaufnahmeprogramm für geflüchtete Menschen, die Legalisierung der Seenotrettung sowie menschenwürdige und dezentrale Unterbringungen, zum Beispiel Wohnungen statt Sammelunterkünften. Außerdem soll die Stadt Trier mehr Druck auf die Landesregierung in Rheinland-Pfalz ausüben.

Im Rathaus in Trier wurde der Streik wahrgenommen: Elvira Garbes, die zuständige Bürgermeisterin der Stadt, hat bereits direkt vor Ort mit den Aktivist*innen diskutiert. Zu ze.tt sagt sie, sie sei sehr dankbar für das große persönliche Engagement der Aktivist*innen: "Es ist gut und richtig, auf mögliche Missstände hinzuweisen." Einen Hungerstreik sieht sie allerdings als eher unverhältnismäßiges Mittel.

Bei der Forderung zur Aufnahme von mehr Geflüchteten verweist Garbes auf ein kürzlich gemachtes Statement des Trierer Oberbürgermeisters Wolfram Leibe. Seiner Ansicht nach wäre die Stadt Trier kurzfristig in der Lage, mehr Menschen unterzubringen, sollten Bund beziehungsweise Land ihr mehr Geflüchtete zuweisen. Der Stadtrat habe mit großer Mehrheit beschlossen, dem Bündnis sicherer Häfen beizutreten, sagt Elvira Garbes, und signalisiere dem Land, dass Trier gerne Geflüchtete, die einen Seeweg hinter sich gebracht haben, aufnehmen würde.

Der größte Teil der geflüchteten Menschen, die von der Stadt untergebracht werden, lebe dezentral in Wohnungen verteilt über das ganze Stadtgebiet, sagt Garbes. Lediglich 50 Menschen von 3.000 seien in der Jägerkaserne untergebracht und nach Aussagen ihrer Fachleute so einquartiert, dass während der jetzigen Corona-Pandemie die notwendigen Hygienestandards eingehalten werden können.

Wenn die Politik nicht zu uns kommt, kommen wir halt zu ihr.
Robin, Aktivist Coloured Rain

Keine Reaktion der Landesregierung Rheinland-Pfalz

Während in Trier der Hungerstreik fortgesetzt wird, möchte ein Teil der Aktivist*innengruppe Coloured Rain aus Landau der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz die Forderungen in Form eines Protestbriefes persönlich überreichen. Sie hatten keine Reaktion auf ihre Forderungen erhalten. Mit einem selbstgebastelten übergroßen Kartonumschlag, in dem die Forderungen liegen, haben sie sich deshalb am Montag dieser Woche versammelt, um innerhalb von sieben Tagen zirka hundert Kilometer nach Mainz zu marschieren. "Wenn die Politik nicht zu uns kommt, kommen wir halt zu ihr", sagt Aktivist Robin, der vor dem Protestmarsch ebenfalls im Hungerstreik war.

Eine Anfrage von ze.tt mit der Bitte um Stellungnahme zum Protestmarsch der jungen Aktivist*innen ließ die Landesregierung Rheinland-Pfalz unbeantwortet.

Auf dem Weg nach Mainz

Auch die 18-jährige Antonia aus Landau ist beim Protestmarsch dabei. Als sie auf Instagram vom Hungerstreik erfuhr, schloss sie sich spontan an: "Für mich war der Hungerstreik eine Möglichkeit, dieser Hilflosigkeit zu entkommen, die mich angesichts der katastrophalen und menschenunwürdigen Situation in den griechischen Geflüchtetenlager einnimmt. Ich wollte nicht länger still zusehen. Von der Passivität in die Aktivität zu wechseln, gab mir wenigstens das Gefühl, zu handeln."

Antonia hungerte zwölf Tage lang. Ihre Eltern unterstützten zwar die Ziele der Gruppe, aber nicht die Protestform: "Es gab stetige Diskussionen zu Hause. Zum Glück bin ich volljährig und kann rechtlich somit selbst über meinen Körper bestimmen."

Als klar wurde, dass von Landau aus bald ein Protestmarsch geplant sei, hat Antonia aufgehört, zu hungern. Zurzeit falle ihr die Nahrungsaufnahme noch etwas schwer, weil sie schnell Bauchschmerzen bekomme, sonst könne sie aber nicht klagen. Auf die Frage nach ihrer physischen und psychischen Verfassung während des Hungerstreiks antwortet Antonia: "Meistens ging es mir ganz gut, aber es gab auch Momente, in denen ich sehr gezweifelt habe. In diesen war es wirklich herausfordernd, das Hungern weiter durchzuziehen."

Für Ratschläge zu ihrer Protestaktion steht Coloured Rain im engen Austausch mit anderen Gruppierungen, wie beispielsweise der internationalen Bewegung Seebrücke, die sich für sichere Fluchtwege und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung einsetzt. Die Aktivist*innen haben außerdem Kontakt zu jungen Menschen im Lager Moria auf der Insel Lesbos.

Den ersten Stopp auf dem Protestmarsch nach Aufbruch in Landau legten die Aktivist*innen in Speyer ein. Auf dem Domplatz sammelte die Gruppe Unterschriften und verbreitete ihre Forderungen. Antonia berichtet: "Wir haben Unterstützung von Organisationen wie der lokalen Fridays-for-Future-Ortsgruppe erhalten. Es kamen ebenfalls der Bischof der katholischen Kirche, sowie der evangelische Kirchenpräsident, um gemeinsam ein Gebet für die Geflüchteten und für unseren Protestmarsch auszusprechen."

Von Speyer aus ging es für die Aktivist*innen nach Ludwigshafen, dann nach Woms, wo sie Kundgebungen und Mahnwache abhielten und anschließend nach Oppenheim, bevor sie den einwöchigen Protestmarsch an diesem Sonntag in Mainz beenden wollen.

Es sei zwar immer von Solidarität die Rede, zu spüren sei davon in Deutschland aber wenig, findet Antonia: "Ich habe das Gefühl, dass die Situation der Geflüchteten im allgemeinen Corona-Trubel unterging und deshalb nicht die Beachtung kriegt, die nötig wäre. Das Leid der Menschen wird einfach tatenlos hingenommen."