Brandenburg ist wie Bremen, Hamburg oder das Ruhrgebiet SPD-Kernland. Seit der Wende regieren die Sozialdemokrat*innen in dem östlichen Bundesland in den unterschiedlichsten Kombinationen: mal gemeinsam mit der CDU, mal mit FDP und Bündnis 90, seit 2009 gemeinsam mit den Linken in einer rot-roten Koalition. Aus jeder Landtagswahl ging die SPD als Wahlsiegerin hervor, stets mit deutlichem Abstand zu CDU und Linkspartei.

Vertraut man dem Trend, der sich in den ersten Prognosen zur diesjährigen Landtagswahl am 1. September abzeichnet, dann steht das Ende dieser Vormachtstellung der SPD bevor. Die Partei droht den Meinungsumfragen zufolge erstmals unter die 20-Prozentmarke zu fallen. Die Oppositionsparteien holen auf. "Das könnte das Ende einer Ära sein", meint der Politikwissenschaftler und Brandenburg-Experte Jochen Franzke. Er hält es für unwahrscheinlich, dass die rot-rote Koalition weiterhin regieren können wird.

Gründe für die Abkehr der Wähler*innen von der bisherigen Regierung gebe es viele. Ein wichtiger sei das Gefühl der Bevölkerung, dass dringend notwendige Veränderungen zu langsam stattfänden. Als Beispiel nennt Franzke das Thema Mobilität, dass für Brandenburger*innen enorm wichtig sei. Die Deutsche Bahn und die Landesregierung planen, die Verbindung zwischen Berlin und Cottbus auszubauen. Der Ausbau soll bis 2027 fertig gestellt werden. "Die Landesregierung hat das als großen Erfolg verkauft", sagt Franzke. "Wenn man sich darüber mit den Leuten unterhält, dann schütteln die alle nur mit dem Kopf und sagen: Die wollen uns ernsthaft ankündigen, dass da in acht Jahren was besser wird?"

Laut den Meinungsumfragen zeichnet sich ein Kampf zwischen SPD, CDU, Linkspartei, AfD und Grünen ab. Alle fünf liegen der aktuellsten INSA-Umfrage zufolge nur wenige Prozentpunkte voneinander entfernt.

Stark zulegen könnten insbesondere die Grünen und die AfD. Die rechtspopulistische Partei besetzt Franzke zufolge drei Themen: Erstens schüre der Landesverband bestehende Ängste vor Zuwanderung und Migration und bediene damit verbundene Themen wie Kriminalitätsbekämpfung, Wohnen oder Sozialleistungen. Zweitens spiele die AfD mit der Sehnsucht nach einer imaginierten Vergangenheit: Damals, als in der Schule noch Disziplin herrschte, die Grenzen dicht waren, die Welt noch so richtig schön in Ordnung war. "Diese Vergangenheit, die es so natürlich nicht gegeben hat, soll als Orientierung für den Umgang mit den Herausforderungen der Globalisierung dienen", erklärt Franzke.

Drittens versuche die AfD mit Parolen wie "Wende fortsetzen" an ein Ostgefühl derjenigen zu appellieren, die sich abgehängt fühlen. "Es ist natürlich sehr lustig, wenn das Leute machen, die an der Wende und der friedlichen Revolution überhaupt nicht beteiligt waren", schmunzelt Franzke. Damit spielt der Politikwissenschaftler auf den Landesvorsitzenden der AfD an. Spitzenkandidat Andreas Kalbitz ist in München geboren.

Die Brandenburger AfD: ein radikaler Landesverband

Wie die MAZ berichtet, tauchen in dessen Biografie immer wieder Verbindungen ins extrem rechte Milieu auf: 1993 war er für ein Jahr Mitglied bei den Republikanern. Er war an der Entstehung des sogenannten Witikobriefs beteiligt, in dem er über den angeblichen "Ethnozid am deutschen Volk" schreibt. Er nahm an einem Zeltlager der neonazistischen und 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend teil. Und er war an einem Dokumentarfilm über Adolf Hitler beteiligt, den Historiker als geschichtsverklärend einstufen.

Jochen Franzke stuft die Brandenburger AfD als einen der radikaleren Landesverbände ein. Die Radikalität würde sich insbesondere in der Personalauswahl des Landesverbands spiegeln, meinte Franzke – das Wahlprogramm sei moderater formuliert.

Kerngebiet der AfD ist die Region Lausitz. Jochen Franzke war vor Kurzem selbst vor Ort: "Das Thema, das dort alles überschattet, ist die Zukunft dieser Region nach dem Ausstieg aus dem Braunkohleabbau. Das Problem scheint mir zu sein, dass die Menschen den Versprechungen von Landes- und Bundesregierung nicht trauen." Die Wirkungen der Finanzhilfen und der Entwicklungsprogramme, die jetzt aufgelegt werden, träten schließlich erst in der Zukunft ein. Und von diesem Grundmisstrauen in die Zusicherungen der Politik werde bei der Landtagswahl vermutlich die AfD profitieren.

Die Grünen als Gegenbewegung

Die Grünen könnten es bei der diesjährigen Landtagswahl erstmals über die Zehnprozentmarke schaffen. "Es gibt einen Zeitgeist, der nach rechts tendiert, den die AfD vertritt. Und es gibt eine Gegenbewegung, die im Augenblick von den Grünen angeführt wird", meint Franzke. Ende 2018 verzeichnete die Partei in Brandenburg etwa 1.400 Mitglieder. 2019 sind bereits rund 400 Menschen den Grünen beigetreten. Der Politikwissenschaftler glaubt, dass die Grünen dieses Jahr auch erstmals außerhalb der grünen Hochburgen Brandenburgs, Potsdam und dem Berliner Speckgürtel, Stimmen sammeln könnten. Er hält es sogar für möglich, dass die Grünen als Gewinner*innen aus der diesjährigen Landtagswahl hervorgehen könnten.

Es gibt einen Zeitgeist, der nach rechts tendiert, den die AfD vertritt. Und es gibt eine Gegenbewegung, die im Augenblick von den Grünen angeführt wird
Jochen Franzke

Drei Themen seien den Brandenburger*innen bei der diesjährigen Wahl wichtig. Priorität habe der Ausbau und der Erhalt der Infrastruktur. Man wolle bessere Mobilitätsverbindungen sowie eine stabile Gesundheitsversorgung und funktionierendes Internet überall im Land. "Da ist im flachen Land mehr zu tun als beispielsweise in Potsdam", sagt Franzke. Danach käme der Themenbereich Bildung und Ausbildung: "Viele wissen, dass das der entscheidende Faktor für sie selbst und ihre Kinder ist, um vor Ort eine Zukunft zu haben." An dritter Stelle stünden Umweltthemen, die je nach Perspektive unterschiedlich gesehen werden würden – in der Lausitz anders als in den Gebieten, in denen keine Braunkohle abgebaut wird.

Keine Weiter-so-Wahl

An der letzten Landtagswahl 2014 beteiligten sich mit 47,9 Prozent historisch wenige Brandenburger*innen. Der Politikwissenschaftler glaubt, dass die Beteiligung dieses Jahr wieder höher sein wird. "2014 war eine Weiter-so-Wahl. Es gab keine Wechselstimmung. Viele sind davon ausgegangen, dass sich nicht viel verändern wird, egal ob sie nun zur Wahl gehen oder nicht." So kam es dann auch, die rot-rote Regierung erlangte eine Mehrheit und führte die Koalition fort. Den Meinungsumfragen zufolge kommen SPD und Linkspartei dieses Jahr nicht auf genug Mandate, um weiter zu regieren. Dieses Gefühl, dass sich ein Wechsel in der Landespolitik vollziehen wird, würde die Menschen wieder vermehrt an die Urnen treiben, glaubt Jochen Franzke.

Eine erste Spekulation darüber, wer am Ende in der Regierung landen könnte, will der Experte nicht abgeben. Klar sei nur, dass mit der AfD niemand koalieren werde. "Ansonsten ist viel möglich. Die Offenheit ist relativ groß. Anders als in Sachsen ist die CDU hier bereit, mit den Linken zu reden. Die Grünen sind in alle Richtungen offen. Deshalb wird vieles davon abhängen, ob es der SPD nochmal gelingt, die stärkste Kraft zu werden."