Glaube gibt vielen Menschen Kraft: der Glaube an eine*n Gött*in, an etwas Größeres, eine höhere Macht, ein spirituelles Wesen. Religion kann vielseitig sein, jede*r kann sie für sich auslegen, den eigenen Weg finden, damit umzugehen. So gibt es Menschen, die keine Sonntagsandacht verpassen; strikte Gläubige, die sich an alle Gebetszeiten halten, aber auch andere, die das alles nicht so ganz genau nehmen und hier und da mal ein Auge zudrücken.

Die Menschen, welche die Fotografin Alys Tomlinson in ihrer Fotoreihe Ex-Voto ablichtet, gehören wahrscheinlich zur ersten Sorte, denn immerhin sind sie allesamt zu heiligen Orten, zu Wallfahrtsorten gepilgert. Für das Projekt reiste Tomlinson unter anderem nach Lourdes, einem der meistbesuchten Pilgerorte der Welt. Dort lichtet sie Pilger*innen und Gläubige in der Natur ab, sammelt Momentaufnahmen und Details in der Landschaft und führte diese in ihrem Fotobuch Ex-Voto zusammen.

"Ex voto" ist lateinisch und kann mit "auf Grund eines Gelübdes" übersetzt werden. Man findet die zwei Worte häufig als Inschrift sogenannter Votivgaben. Votivgaben sind Gegenstände, Zeichen und Dinge, die als eine Art symbolisches Opfer hinterlassen werden. Im Interview mit ze.tt erklärt Tomlinson, was es mit den Votivgaben auf sich hat, wie sie die Pilgerorte erlebte und was die Arbeit an Ex-Voto mit ihr gemacht hat.

ze.tt: Alys, was inspiriert dich und deine Arbeit?

Alys Tomlinson: Ich war schon immer eine sehr neugierige Person, deshalb war die Vorstellung, eine Welt zu betreten, über die ich so gut wie nichts weiß, beängstigend und reizvoll zugleich. Beobachtungen aus dem Leben, Bücher,

Filme, Kunst und natürlich die Arbeit vieler großer Fotograf*innen, die visuell Geschichten erzählen und uns beibringen, genauer hinzuschauen, inspirieren mich.

Da ich Atheistin bin, lag ein Projekt zum Thema Glaube nicht unbedingt nah.
Alys Tomlinson

Wie kamst du auf die Idee zu deiner Fotoserie Ex-Voto?

Da ich Atheistin bin, lag ein Projekt zum Thema Glaube nicht unbedingt nah. Doch der Film Lourdes von Jessica Hausner hat dann mein Interesse geweckt. Ich bin keine religiöse Person, aber die Atmosphäre, die Hoffnung und die im Film dargestellten Rituale faszinierten mich. Ich war neugierig, was die Menschen nach Lourdes zog. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich weg vom Stadtleben musste. Sobald man den Massen und den endlosen Souvenirshops erstmal entflieht, bietet Lourdes viel Raum zum Denken und Reflektieren, auch als nicht-gläubige Person. Ich habe die Serie dann erweitert und auch christliche Pilgerorte in Irland – Ballyvourney – und in Polen – Grabarka – mit einbezogen.

Wie hast du die Menschen auf den Fotos gefunden und wie bist du auf sie zugegangen?

Ich hatte gar nicht vor, eine Hauptperson zu haben, aber eine orthodoxe Nonne namens Vera, die ich im polnischen Kloster Grabarka traf, entwickelte sich schnell zu einem der zentralen Charaktere des Projekts. Sie stach sofort aus der Masse an der Pilgerstätte heraus, also bin ich auf sie zugegangen, um zu fragen, ob ich ein Porträt von ihr machen kann. Sie hat ein sehr starkes, intensives Auftreten, und das Bild, das ich von ihr in den Wäldern gemacht habe, wurde schnell eines meiner Lieblingsfotos der Reihe.

Wie war es für dich, mit den unterschiedlichen Menschen zu arbeiten?

Ich habe mittlerweile einen Kurzfilm über Veras Leben umgesetzt und sie mehrere Male in ihrem Kloster in Weißrussland besucht. In dem Kloster gewährte man uns Zugang zu einer versteckten, geheimnisvollen Welt. Sie wurde für mich zu einer Freundin und ich habe meine Sicht auf die Menschen, die ihr Leben Gott widmen, überdacht – eigentlich sind es ganz normale Menschen, die sich für einen sehr unkonventionellen Lebensstil entscheiden. Das Leben im Kloster fühlte sich manchmal an wie eine Reise hundert Jahre in die Vergangenheit, aber wie jede Gemeinschaft, die auf einer Ideologie aufbaut, zieht das Leben dort Menschen an, die zwar einen Glauben teilen, doch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten haben.

Warum hast du die Fotoreihe Ex-Voto genannt?

Ex-Voto ist ein Ausspruch für religiöse Hingabe. Ich habe den Begriff zum ersten Mal in einem Seminar gehört, als ich Anthropologie im Master studierte. Da habe ich verstanden, dass ich schon häufige Ex-Votos an heiligen Orten, die ich besucht hatte, beobachten konnte. Das beinhaltet Gebetszettel, versteckt in Felsen, ausrangierte Krücken, um Äste gebundene Schleifen, in Steine gekratzte Kreuze und vieles mehr. Das sind kleine Gesten, die für die Pilger*innen, die sie hinterlassen, eine große Bedeutung haben. Sie verwandeln die Natur so in eine Sammlung menschlicher Geschichten von Vorfreude und Erwartung.

Worum geht es dir bei Ex-Voto?

Heruntergebrochen geht es um die Beziehung zwischen Menschen, Orten und Glaube. Das Fotoprojekt beinhaltet Fotos von Pilger*innen und weiten Landschaften und detaillierte Aufnahmen der Objekte und Zeichen, die zurückgelassen wurden. Die heiligen Orte, die ich fotografiert habe, unterschieden sich zwar in ihrer Größe, doch sie hatten alle eine Geschichte und einen Bezug zur Umgebung. So wird Wasser zum Beispiel als etwas Heilendes an allen drei Orten verstanden. Deshalb hab ich oft Menschen an Flüssen im Wald fotografiert.

Was möchtest du mit den Fotos gerne zum Ausdruck bringen?

Ich will gar keine bestimmte Botschaft aussenden oder Glauben beurteilen, aber wenn die Fotos Menschen dazu bringen, innezuhalten und nachzudenken, dann fühlt sich das für mich wie ein Erfolg an. Ich hoffe, dass die Reinheit der Landschaft und die Hoffnung darin die Menschen anzieht. Außerdem möchte ich, dass die Bilder die Kraft der Hingabe und spirituelle Anschauung vermitteln. Und ich möchte, dass die Betrachtenden die Ruhe begreifen, die entsteht, wenn Pilgern, Glaube und Natur sich verbinden.

Weitere Arbeiten von Alys Tomlinson findet ihr auf ihrer Webseite und auf Instagram.