Ein Mann macht sich den Gürtel zu, die Frau neben ihm streift sich einen Stiefel übers Bein. Sofort springt das explizite Kopfkino an. Die imaginierte intime Begegnung kann aber nur ein Trugschluss sein, denn die Bilder des Künstlers Tango Gao zeigen selten das, was man beim Betrachten zunächst erwartet. Im nächsten Panel kommt die Auflösung: Mann und Frau haben Gürtel und Schuhe nicht etwa zum Liebesspiel abgelegt, sondern für die Sicherheitskontrolle am Flughafen.

Der in Shanghai geborene Tango Gao, der bürgerlich Gao Youjun heißt, ist eigentlich gelernter Mathematiker. Der Wissenschaft kehrte er jedoch den Rücken, um sich nach einer Zwischenstation in der Werbebranche ganz der Kunst zu widmen, schreibt er auf seiner Webseite. 2010 begann er auf Anraten eines Kollegen mit dem Zeichnen und postete täglich einen Comic auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo.

Seine minimalistischen wie skurrilen Zeichnungen erfreuten sich schnell großer Beliebtheit und ermöglichten ihm Einzelausstellungen in Shanghai, Peking, Hongkong und über China hinaus in Taiwan, Brüssel, Südkorea, Paris und New York. Und natürlich pflegt Tango Gao inzwischen auch einen Instagram-Account.

Alle sollen die Bilder verstehen können

Ganz abgelegt hat Tango Gao seine Faszination für die Wissenschaft jedoch nicht, wie er der in New York ansässigen Online-Plattform SupChina mitteilte: "Meine Cartoons zu zeichnen, ist der Arbeit an einem mathematischen Problem sehr ähnlich. Es gefällt mir, andere nach einem tadellosen Argumentationsprozess mit einem unerwarteten Ergebnis zu überraschen."

Unerwartet sind seine Comics definitiv, manchmal wird die Aussage erst beim zweiten Mal hinsehen deutlich. Dabei ist es Tango Gao wichtig, dass seine Zeichnungen unabhängig von Nationalität oder Wohnort verstanden werden, weshalb er auch auf Bildunterschriften weitestgehend verzichtet.

Inspiration zieht der Künstler aus dem Alltag und sucht nach Gegebenheiten, die universal verständlich sind. Dabei zeigt er, dass manchmal bereits kleine Änderungen eine Situation verfälschen, Schatten unser Sinnbild trüben können und Social Media unsere Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenkt.