In dem Schwarz-Weiß-Comic Bezimena erzählt die kanadisch-jugoslawische Autorin Nina Bunjevac von sexuellem Missbrauch aus der Perspektive eines Vergewaltigers.Im folgenden Text werden Erfahrungen sexualisierter Gewalt thematisiert, die triggernd und retraumatisierend sein können.

Eines sei gleich zu Beginn gesagt: Die Graphic Novel Bezimena von Nina Bunjevac hat etwas Verstörendes. Und am Ende ziemlich viel Rätselhaftes. Die kanadisch-jugoslawische Autorin erzählte in einem Interview, dass sie selbst während der Arbeit daran Albträume bekam, in denen ihre Charaktere auftauchten.

In bestechenden Schwarz-Weiß-Bildern erzählt sie die Geschichte eines Vergewaltigers. Die Darstellungen sind sehr explizit, die Zeichnungen sehr realistisch. Der Schwarz-Weiß-Kontrast bildet die passende Szenerie für die gedanklichen Abgründe des Triebtäters.

Die Hauptfigur ist Benny. Schon als kleiner Junge masturbiert er im Unterricht und beobachtet dabei seine Mitschülerin, die "weiße Becky". Später führt er ein zurückgezogenes Leben als Hausmeister im städtischen Zoo. Dort kann er ungestört Menschen zusehen und selbst unsichtbar bleiben, immer darauf bedacht "seine Gedanken nicht aus seinem Kopf zu lassen". Bis er eines Tages am Eisbärengehege – so glaubt er – Becky wiedersieht. Sie lässt dort ein Notizbuch liegen, das Benny an sich nimmt. Darin entdeckt er erotische Zeichnungen und – wie er glaubt – Botschaften an sich.

Er folgt den vermeintlichen Aufforderungen und sucht Becky, ihre Begleiterin aus dem Zoo und ihr Dienstmädchen auf. Was in seiner Darstellung als einvernehmlicher Sex abläuft, stellt sich später als etwas ganz anderes heraus, als plötzlich die Polizei vor seiner Haustür steht. Sie ermittelt im Fall von drei missbrauchten und ermordeten Mädchen. Benny beteuert seine Unschuld, verweist als Alibi auf das Notizbuch. Doch als die Beamten dieses öffnen, finden sich darin nur Kinderzeichnungen von Eisbären – und der Name eines der toten Mädchen.

Ihr Buch widmet die Autorin Betroffenen sexualisierter Gewalt

Nina Bunjevac erzählt die Geschichte bewusst aus der Sicht des Täters. Im Interview mit dem Tagesspiegel begründet sie diese Entscheidung so: "Ich wollte das besser verstehen. Das ist für mich eine der großen Herausforderungen im Leben: Mich in andere Menschen hineinzudenken, insbesondere dann, wenn sie eine andere Meinung vertreten oder etwas Schlimmes getan haben."

Das Buch ist für Nina Bunjevac ein sehr persönliches. Im Nachwort schildert sie offen ihre eigenen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. Als Jugendliche in Serbien habe eine etwas ältere Freundin sie eines Tages einem Mann vorgestellt. Die Freundin führte sie in ein Zimmer und verschwand. Dort saß der Mann auf dem Bett, in der Ecke des Raumes war eine Kamera aufgebaut, deren Licht rot aufleuchtete.

Auf dass ihr Frieden findet, und Licht, und auf dass ihr die Dunkelheit vertreibt, die euch umgibt.
Nina Bunjevac

Nina Bunjevac gelang es, zu flüchten. Eine andere Freundin habe weniger Glück gehabt, schlimmer noch, schreibt Bunjevac. Sie sei davon überzeugt gewesen, verliebt in den Mann zu sein. Dieser habe eine ganze Truhe voll mit VHS-Kassetten gehabt – beschriftet mit den Namen junger Frauen. Bunjevac sei zur Polizei gegangen, doch da keines der Mädchen aussagen wollte, sei nichts passiert. Bis heute quäle sie der Gedanke, dass sie andere nach sich nicht schützen konnte. Bunjevac selbst wanderte kurz nach dem Vorfall nach Kanada aus.

Das slawische Wort Bezimena bedeutet übersetzt namenlos. Ihr Buch widmet Nina Bunjevacs eben diesen Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Den Vergessenen und den Namenlosen. "Auf dass ihr Frieden findet, und Licht, und auf dass ihr die Dunkelheit vertreibt, die euch umgibt", schreibt die Autorin.

Bezimena von Nina Bunjevac ist in deutscher Version im Mai 2020 im Avant-Verlag erschienen.

Das Buch wurde 2019 auf dem Comic-Festival Lucca als beste Graphic Novel des Jahres ausgezeichnet sowie mit dem Doug Wright Award als bestes kanadisches Comic-Buch des Jahres.