Sein rechter Arm ist erhoben, der gestreckte Zeigefinger zeigt in die Ferne. Es sieht so aus, als deute er auf etwas, ein fernes Ziel. So steht er mitten auf dem Wiesbadener Platz der Deutschen Einheit, gepflegt in Anzug und Krawatte: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Zum Glück nicht der leibhaftige, sonst würde er sich vermutlich über das grüne Penis-Graffiti auf seinem linken Hosenbein ärgern. Auch den "Fuck-You"-Schriftzug, der auf seiner Leibesmitte prangt, würde ihm so wohl nicht gefallen. Es ist eine vier Meter große, golden glänzende Erdoğan-Statue, die seit Montagnacht die Wiesbadener Innenstadt ziert.

In Wiesbaden findet gerade die Wiesbadener Biennale statt. Organisiert wird das Kunstfestival, das dieses Jahr zum zweiten Mal unter der Leitung des Kurator*innen-Duos Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer stattfindet, vom Staatstheater Wiesbaden. Das Motto, unter dem fast 25 Künstler*innen und Kollektive ihre Kunst präsentieren, lautet dieses Jahr: Bad News.

Teil der Wiesbadener Biennale ist auch die Erdoğan-Statue. Mehr weiß man allerdings bislang nicht über sie. Wer steckt dahinter? Was soll die Statue bezwecken? Auf Anfrage gab die Pressesprecherin bekannt, sich erst im Laufe des Tages zur Statue äußern zu wollen. Selbst die Stadtverwaltung war laut Angaben der Berliner Morgenpost überrascht, den glänzenden Erdoğan vorzufinden. Das Ordnungsamt habe die Aktion des Festivals genehmigt, es sei ein Gesamtpaket im Rahmen der Wiesbadener Biennale angemeldet worden, das einen Container und eine "menschenähnliche Statue" umfasse, sagte eine Sprecherin zur Berliner Morgenpost. Dass es sich dabei um eine Erdoğan-Statue handeln würde, sei der Behörde jedoch nicht bewusst gewesen. Derzeit wird geprüft, ob die Statue stehen bleiben darf. Der außerdem angemeldete Container trägt die Aufschrift "Deutsche raus".

Die Erdoğan-Statue hat bei der Wiesbadener Bevölkerung unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen. Erdoğan-Fans ließen sich Türkei-Fahnen-schwenkend neben ihr ablichten. Andere kritzelten Sprüche wie "Türkisch Hitler" darauf. Ein Türkischstämmiger sagte gegenüber der Allgemeinen Zeitung, er könne die Aktion nicht nachvollziehen: "Heute Abend sind furchtbare Dinge in Chemnitz passiert, umso unverständlicher ist es, dass gerade zu dieser Zeit so eine Aktion durchgeführt wird." In Chemnitz wütete am Montag ein Mob Rechtsextremist*innen.

Im Netz löste das Foto der Erdoğan-Statue viele ablehnende Reaktionen aus. Eine Nutzerin schrieb beispielsweise: "Kunst hin oder her: Es gibt wirklich nichts, was dies rechtfertigen oder irgendwie verständlich machen könnte. Jemand, der tagtäglich und aktiv die Würde etlicher Menschen in seinem Einflussbereich mit Füßen tritt (und das ist noch harmlos ausgedrückt), ist Kunst? Bullshit!"

Provokation und Konfrontation sind das erklärte Ziel des Festivals: "Die Arbeiten, die die Künstler*innen hier vor Ort entwickeln, sind eine mitreißende Einladung zur Konfrontation mit den Ängsten und der aufkommenden Wut, die an der Stabilität der westlichen Demokratien rütteln und Europa auffordern, neu Stellung zu beziehen", sagte Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Hessischen Staatstheaters. Wer auch immer hinter der Statue steckt – irritiert haben sie mit dieser Aktion allemal.