Es ist ein normaler Montagmittag. Zwischen zwei Jungs, beide vielleicht gerade einmal 15 Jahre alt, eskaliert ein Streit auf einer Straße in Atlantic City in New Jersey. Sie beginnen sich zu prügeln. Es passiert offensichtlich auf dem Nachhauseweg von der Schule. Freund*innen stehen um sie herum, sehen zu, feuern sie an, lachen. Eine Szene, wie sie überall auf der Welt vorkommen dürfte.

Ein Zuschauer hatte das Smartphone gezückt und ein Video von der Situation aufgenommen. Es geht derzeit viral, nachdem einer der beiden Jungs es kürzlich auf Facebook hochgeladen hatte. Nicht, weil es eine wüste Prügelei zeigt. Sondern weil es abbildet, wie Menschlichkeit und Courage aussieht. Als die beiden Jungs gerade begonnen hatten, auf sich einzuschlagen, kommt ein Mann von der anderen Straßenseite hinzu und interveniert mit etwas viel stärkerem als körperlicher Gewalt: mit Besonnenheit und einer wichtigen Botschaft für die Jugendlichen.

"Ihr alle hier, besinnt euch"

Der Mann ist der 26-jährige Ibn Ali Miller. Er hatte gerade etwas für seine Mutter erledigt, als er an einer Straßenecke auf die Jungs stieß. Statt einfach weiter zu gehen, läuft er auf direkt auf die Kämpfenden zu. Er ruft energisch und für alle klar vernehmbar: "Yo, yo, hört auf, lasst das, hört mir kurz zu." Er tritt zwischen die beiden, zwischen das Spannungsverhältnis und löst es mit einem brillanten Kniff. Statt auf sie einzureden, richtet er seine Finger auf die Umstehenden, sobald er die Aufmerksamkeit hat: "Ihr alle, die hier stehen, ihr seid Feiglinge. Alle von euch, die das hier mit ihrem Telefon aufnehmen, ihr seid wahre Feiglinge. Das hier ist nicht cool, ihr steht in der Mitte der Straße."

Dann richtet er seine Worte an die Streithähne: "Seht ihr, wie die lachen? Seht ihr, wie sie euch anfeuern? Seht ihr, welch breites Grinsen sie im Gesicht haben? Die lachen euch aus, Bros!" Es sei klar zu spüren, dass die Streitenden zwar stinksauer seien, aus welchem Grund auch immer, aber die Umstehenden würden nicht mal daran denken, einem der beiden zu sagen, dass sie mit ihrem Standpunkt falsch lägen. Sie würden ja geradezu dazu angefeuert, sich zu schlagen und jetzt stünden sie mitten in einer vielbefahrenen Straße und kämpften. Bei den Umstehenden wird gekichert.

Seht ihr? Sie lachen immer noch über euch."

Millers Worte gehen wieder an die Freund*innen: "Ihr alle, ihr seid fast erwachsen. Ihr seid keine Kinder mehr. Benehmt euch so. Ihr seid Männer und Frauen. Ihr habt alle Eltern, lasst sie nicht so dastehen. Ihr habt es gut, macht das doch nicht kaputt." Er zeigt auf einen Jugendlichen außerhalb des Sichtfeldes. "Ich kenne dich. Deine Eltern arbeiteten hart dafür, wo sie jetzt stehen. Lass sie nicht so dastehen." Und auf einen anderen Kichernden: "Yo, dein Vater, er kämpft jeden Tag für dich. Das ist kein Spiel hier draußen. Das ist das Leben."

Er gibt den Streitenden, beide sichtlich verblüfft über die entwaffnende Weisheit, die Hand und sagt ihnen, dass sie das nicht mit sich machen lassen sollten. Dann fordert er, dass sie sich die Hand reichen. Nach etwas Überzeugungsarbeit – "ich bleibe hier so lange stehen, bis ihr es macht, ich verlange das von euch" – tun sie es.

Miller wird im Netz und von der Stadt für sein Einschreiten gefeiert

Der Stadtrat von Atlantic City ehrte Miller am Mittwoch für seine Courage, wie die Washington Post berichtet – und auch die Jungs. "Es war wichtig, dass er auf diese Weise intervenierte und die Kinder dazu brachte, zuzuhören. Das hätte auch anders laufen können", sagte der Vorsitzende Marty Small. Er bezog sich auch auf den negativen Einfluss, den schlimme Bilder und Videos von Gewalt auf Social Media auf Jugendliche hätte. "Sie werden jetzt sehen, wie diese Situation ausging, im Vergleich zu dem, was man normalerweise sieht. Das steht in einem positiven Licht, das ist eine Botschaft."

Der Zuspruch würde den beiden streitenden Jugendlichen gut tun – im Netz häufen sich die positiven Kommentare. Das Video der Situation wurde bereits über 30 Millionen Mal angesehen und 700.000 Mal geteilt. Prominente wie der Basketballer LeBron James und der Rapper Snoop Dogg meldeten sich zu Wort. Ein Konsens: Es müsste mehr Menschen wie Miller geben.

In einer Presseansprache am Donnerstag wurde Miller, selbst Vater, sehr emotional, wie ein YouTube-Video zeigt. "Ich habe Tränen in den Augen, weil mich diese Situation sehr traurig macht. Der Fakt, dass das als unglaublich gilt. Das sollte die Norm sein, das sollte die Regel sein." Die Aufmerksamkeit solle nicht ihm, sondern den beiden Jugendlichen gelten. "Sie haben entschieden, nicht weiter zu kämpfen und sich die Hand zu reichen und so für Zusammenhalt einzustehen."

"Dass LeBron und viele das Video sahen, ist schon cool", sagte Miller der Press of Atlantic City, "aber ich will, dass die Menschen etwas davon mitnehmen und in der Zukunft anwenden. Darum geht's."

Die drei sind durch ihre Begegnung an der Straßenecke in Atlantic City auf besondere Art miteinander verbunden. Sie fahren sogar gemeinsam zu Presseterminen. Offenbar stritten die beiden Jungs sich wegen eines Mädchens. Der Streit ist jetzt beigelegt – und das sei "nur der Anfang", wie einer der beiden auf Facebook postete. Vielleicht ja der Anfang einer echten Freundschaft.