Es sind Welten, die am Donnerstagmorgen vor dem Kanzleramt aufeinanderprallen. Auf einer Bühne steht ein Sprecher der Gemeinden der Lausitz, einer Braunkohleregion in Sachsen und Brandenburg. Im Publikum: Ortsvorstände und Bürgermeister*innen aus der Region. Sie halten Schilder mit den Namen ihrer Gemeinden in die Luft, einige schwenken Fahnen, auf denen "Unsere Kohle für unsere Zukunft – Der Verein für die Zukunft der Lausitz" steht. Nur ein paar Meter weiter steht die Ärztin Anna-Maria Mangei, 26, im Ärztinnenkittel. An ihrem Rucksack lehnt ein Schild. "Rechtspopulismus und unsere Klimakatastrophe sind lebensgefährlich", hat sie darauf geschrieben.

Immer wieder kommen Lausitz-Leute zu ihr herüber und fragen sie, ob sie eine Gegendemo veranstalte. "Das ist Zufall, ich mache hier eine Dauermahnwache", antwortet sie ihnen. Seit vergangenem Mittwoch kommt sie jeden Morgen um neun Uhr zum Kanzleramt und verlässt ihren Platz um 15 Uhr. Nur am Wochenende macht sie Pause. Mindestens bis zum 29. November will sie durchhalten. Bis dahin hat sie eine Genehmigung, und für diesen Tag ist der nächste internationale Klimastreik geplant. Insgesamt sind das 18 Tage, an denen sie bei egal welchem Wetter sechs Stunden täglich vor dem Kanzleramt stehen wird. Ob sie danach weitermacht, weiß sie selbst nicht. Es sei auch eine Frage der Kraft und des Geldes, sagt sie. Im Moment lebt sie von Ersparnissen.

Was sie dazu brachte, ihre Mahnwache zu beginnen

Seit Juni ist sie mit ihrem Studium fertig und wollte eigentlich eine Fachärzt*innausbildung beginnen, "aber ich kann es nicht verantworten", sagt sie. Zu groß erscheinen ihr die aktuellen Probleme durch Rechtspopulist*innen und -extreme sowie die Klimakrise. "Beide sind lebensgefährlich", sagt sie. Darum trägt sie auch ihren Ärztinnenmantel. Wie Rauchen seien auch Rechte und das aufgeheizte Klima eine Gefahr für die Gesundheit.

Schon länger engagiert sie sich gegen die Klimakrise. Sie war dabei, als Extinction Rebellion eine Woche lang Berlin blockierte und erlebte, dass sich danach politisch nichts tat. Dann sah sie in den Nachrichten, wie die CDU in Thüringen darüber nachdachte, ob eine Koalition mit der AfD nicht doch eine Option sein könnte. "Da konnte ich es einfach nicht mehr aushalten", sagt sie. "Die Leute haben nichts aus der Geschichte gelernt", sagt sie.

Die Leute haben nichts aus der Geschichte gelernt.
Anna-Maria Mangei

Also fragt sie am Montag, den 4. November, bei den Behörden an und erbittet eine Genehmigung, vor dem Kanzleramt demonstrieren zu dürfen. Am Dienstag erhält sie die Zusage und am Mittwoch verlässt sie die gemietete Plattenbauwohnung ihrer Eltern im Osten Berlins mit einem schwarzen Schild und einem Rucksack. Darin ist eine Thermoskanne mit Hagebuttentee, Äpfel und Kleidung. Sie trägt Wanderstiefel, eine lange Unterhose und vier Pullis. Zum Sitzen hat sie nichts dabei, "da würde mir noch kälter werden", sagt sie. Seit Kurzem hat sie Bälle zum Jonglieren dabei. Damit hält sie sich warm, wenn niemand mit ihr spricht und sie alleine ist.

Das ist selten der Fall. Immer wieder kommen Leute und sagen ihr, dass sie ihr dankbar sind. Eine Familie hat ihr vor Kurzem veganen Kuchen vorbeigebracht. "Aber es gibt auch die Klimaleugner*innen und Leute, die sagen, dass es sowieso nichts nützt, was ich hier mache." Mehr als sechs Leute gleichzeitig standen mit ihr bis jetzt noch nie zusammen, sagt sie. Es könnten durchaus mehr sein, aber Anna-Maria wirbt kaum für sich. Sie benutzt ein altes Nokia-Handy ohne Apps, hat weder Instagram noch Facebook. Auf Twitter hat sie sich erst vor einer Woche und nur wegen ihrer Mahnwache angemeldet, weil Freund*innen sie überredet hätten. Dass nicht Hunderte Menschen von Fridays for Future oder Extinction Rebellion jeden Tag mit ihr demonstrieren, versteht sie. "Manchen sind Job oder Ausbildung einfach wichtiger und andere sind auch einfach noch platt von unseren vergangenen Aktionen", sagt sie.

Was bringt ihr Protest?

Aus dem Kanzleramt kam bis jetzt niemand zu ihr, und Anna-Maria macht sich auch keine großen Hoffnungen, dass sich daran noch etwas ändert. "Es interessiert die Politik nicht, dass ich hier stehe", sagt sie. Sie sagt aber auch: "Es geht mir besser, seit ich die Mahnwache mache." Was zunächst widersprüchlich klingt, ergibt für Anna-Maria durchaus Sinn. Für sie ist die aktuelle Lage der Welt so besorgniserregend, dass es immer noch besser ist, nutzlos zu demonstrieren, als untätig zu Hause zu sitzen.

Es geht mir besser, seit ich die Mahnwache mache.
Anna-Maria Mangei

"Das ist auch ein großer Lerneffekt, den wir Greta Thunberg zu verdanken haben", sagt sie. "Wir sollen aufhören, im Kleinen zu verzweifeln und stattdessen unsere Unzufriedenheit an die Öffentlichkeit tragen." Fridays for Future und Extinction Rebellion hätten ihr Hoffnung gemacht, dass doch noch etwas passiert.

Sich in einer Partei zu engagieren, ist keine Option für sie. Sie sehe nicht das Potenzial, dass dort jemand die Probleme löst. Stattdessen plädiert sie für Bürger*innenversammlungen, die Maßnahmen beschließen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Das ist auch eine der Hauptforderungen von Extinction Rebellion.

Lausitz meets Anna-Maria

Nach der Lausitzdemo kommen einige ältere Männer zu Anna-Maria rüber. Einer von ihnen ist Ingo Herrschmann, 51, stellvertretender Ortsvorsteher der Gemeinde Schleife in der Lausitz. Er sagt: "Sie hat ja recht, aber wir haben auch recht." Er erzählt davon, wie Menschen aus seinem Dorf zu ihm kämen und fragten, wo sie ihr Geld verdienen sollen, wenn der Kohleabbau Geschichte ist. Ein anderer sagt: "Was bringt es, wenn Deutschland ohne Plan vorausprescht, aber in Polen neue Kohlekraftwerke entstehen und die USA aus Klimaverträgen aussteigt?"

"Wir sind alle in der Verantwortung", sagt Anna-Maria. Und sie könne nun mal als Deutsche nicht über die Wahl oder Abwahl Donald Trumps entscheiden. "Darum stehe ich hier."