J. will nicht mehr. G. ist so frustriert, manchmal weint sie, einfach so. Wenn C. noch eine unverbindliche WhatsApp-Nachricht bekommt, wird sie wohl Amok laufen. Und N. hat die Hoffnung zwar noch nicht aufgegeben, aber auch er hat sich das alles irgendwie anders vorgestellt. Die Sache mit der Liebe.

Niemand will sich mehr festlegen, diesem Satz gebe ich keine drei Minuten, dann taucht er auf. Egal, mit wem man derzeit über Dating und Beziehungen spricht. Einen Menschen zu finden, der genau dann, wenn man selber bereit dazu wäre, mit einem uneingeschränkt optimistischen Ja so etwas wie eine Beziehung anbahnen möchte - der*die geistert bestenfalls als urban myth herum.

Mal schauen statt warum nicht

Wer es sich einfach machen möchte, der*die könnte sich die Geschichten von J., G., C. und N. anhören und sie mit Generation Beziehungsunfähig abhaken: Sind halt alle selbstbezogen und optimierungssüchtig. Wer so um sich selbst dreht, so die Diagnose, der kann sich ja auf gar keinen Menschen einlassen.

Und je mehr man darüber liest und davon hört, desto mehr stellt sich die Vermutung ein, dass es sich dabei fast schon um eine Epidemie handelt. Also eine echte Krankheit. Wie die britische Psychologin Krystal Woodbridge meint. Woodbridge spricht von einer Phobie in Bezug auf diese Beziehungsprobleme: Sarmassophobie. "Sarmassophobie ist eine Angst vor Dating und Beziehungen", erklärt sie. "Mit Dating-Apps geht es ganz schnell. Wir müssen nicht alles hinnehmen, wenn wir nicht wollen. Wir sind immer unzufrieden, wir können zum nächsten gehen und zum nächsten, wir bleiben nicht bei Dingen. Wir mögen keine Fehler."

Dating-Phobie

Nun liegt aber zwischen einem Wir-mögen-keine-Fehler und einer manifesten Angststörung doch noch eine Bandbreite an möglichen Ursachen für die grassierende Nicht-Festlegung. Oder könnte es wirklich sein, dass sich die viel beschworene Optionenfülle zu einer echten Phobie entwickelt hat? Wäre es somit also möglich, dass wir – welch angenehme Vorstellung – für unser Liebesunglück die Verantwortung einfach erst mal abschieben könnten?

Die Paartherapeutin Marina Gardini hält gar nichts von dieser Theorie. "Eine Phobie ist eine Erkrankung, die sich an etwas Speziellem festmacht – also vor einer Berührung oder einer Situation." Etwas Spezielles und eben nichts, das den Mainstream betrifft. Als Massendiagnose also ein ziemlich übertriebener Vorschlag.

Aber was ist mit der anderen Massendiagnose, der Beziehungsunfähigkeit?

Auch diesem Befund kann Gardini nichts abgewinnen: "Beziehungsunfähig ist im Grunde niemand. Und es wird auch niemand beziehungsunfähig." Sicher gebe es Menschen, die Probleme mit Nähe haben, mit Distanzregulation, wie Psychologen*innen es nennen. Aber das sind klassische Themen, auch in der Paartherapie. Nichts Neues also.

Die neue Verunsicherung

Was allerdings neu ist, ist ein hohes Level an Verunsicherung. An Verunsicherung in Bezug auf Beziehungen. Auf der einen Seite bieten sich heute so viele Möglichkeiten eine Beziehung zu gestalten, wie nie zuvor: Verheiratet oder auch nicht, zu zweit zu dritt, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, mit und ohne Kinder. Auf der anderen Seite fehlen die Vorbilder – wie lebt man solche Beziehungen? Wie macht man sich frei von Erwartungen, die für unsere Eltern noch selbstverständlich waren? Die nie hinterfragt wurden und nun zum Teil einengen wie unerbittliche Korsetts?

Fehlende Vorbilder verunsichern also. Neue Möglichkeiten auch. Beziehungen lassen sich nicht mehr nach Schema F führen. Sie müssen neu ausgehandelt werden. Das ist schwer. Und das klappt auch oft genug eher schlecht als recht. Und es führt dazu, dass Begriffe wie Beziehungsunfähigkeit auftauchen. Dabei verdiente diese Verunsicherung durchaus Aufmerksamkeit. Denn die Entscheidungsunfähigkeit, das Hmm-mal-Schauen, das Leute wie J. und G. und N. so belastet ist ja durchaus nachvollziehbar. "Wenn ich zu einem ja sage, sage ich andererseits eben zu potenziellen vielen anderen nein und das kann Zweifel auslösen: Habe ich tatsächlich den*die Richtige*n gefunden?", meint Marina Gardini. "Heute wird es deutlicher, dass wir diese ganzen Wahlmöglichkeiten haben. Auf dem Boden der Unsicherheit, der sowieso da ist, wird das dann auch nicht einfacher."

Dennoch wäre es wichtig zu merken, dass mit diesem Begriff keine Diagnose getroffen wird. Sondern ein Manko beschrieben. Ein Defizit. Das kann natürlich gut tun. Denn wer sich mit diesem Label beschreibt, der richtet sich in der Gemeinschaft der leidlich Unzulänglichen ein – und Gemeinschaft tut gut. Aber das ist leider nicht nachhaltig. Denn wer es sich erst mal mit dieser Diagnose bequem gemacht hat, der entbindet sich davon, nach Lösungen zu suchen.