Das erste, das Captain Marvel zeigt, ist die Titelheldin. Blond, schlagfertig und mit eindringlichem Blick. Carol Danvers, Captain Marvel, Soldatin Vers ... sie hat viele Namen in diesem Film, dem ersten der Marvel Studios, der von einer weiblichen Protagonistin erzählt.

Zehn Jahre und 20 Filme hat es gebraucht, bis Marvel diesen Schritt in seinem Marvel Cinematic Universe gewagt hat. Nachdem Wonder Woman von der Konkurrenz DC Comics 2017 in den USA zum erfolgreichsten Superheld*innenfilm der letzten 15 Jahre wurde, war anscheinend auch in den Marvel-Büros klar, dass man weibliche Comic-Fans nicht nur mit Heldinnen in Nebenrollen abspeisen sollte.

Warum die Wahl auf Carol Danvers fiel, lässt sich leicht erklären: Als Captain Marvel gehört sie zu den mächtigsten Held*innen des Marvel-Universums. Wie sie diese Kräfte bekommt, zeigt ihre Origin-Story. Zu Beginn des Films kämpft die Soldatin an der Seite der Alienart Kree gegen die Skrulls, die ihre Gestalt verändern können. Allerdings hat sie ihr Gedächtnis verloren und erinnert sich nicht mehr an ihre Vergangenheit, in der sie keine Kämpferin in einem Krieg der Sterne war. Durch einen Zufall gelangt sie auf die Erde und lernt, ihre Kräfte zu nutzen. Als Captain Marvel ist sie unglaublich stark, kann fliegen und Energieschübe aus ihren Händen feuern – was dazu führt, dass sie den ganzen Film über Männern und Aliens ordentlich in den Arsch tritt.

Captain Marvel ist unglaublich stark, kann fliegen und Energieschübe aus ihren Händen feuern – was dazu führt, dass sie den ganzen Film über Männern und Aliens ordentlich in den Arsch tritt.

All ihre kämpferischen Fähigkeiten brachten Captain Marvel allerdings wenig gegen den Hass, mit dem die Superheldin online konfrontiert wurde. Bereits vor dem Filmstart erhielt Captain Marvel auf der Plattform Rotten Tomatoes so viele schlechte Bewertungen und hasserfüllte Kommentare, dass die Betreiber*innen der Webseite sich entschieden, die Funktion abzuschalten. Nun kann man erst bewerten, wenn ein Film offiziell angelaufen ist.

Unterdrückte weiße Männer

Als Oscar-Preisträgerin und Captain-Marvel-Darstellerin Brie Larson in einem Interview gegenüber dem britischen Magazin Marie Claire erzählte, ihr sei aufgefallen, dass ihr bei Presseterminen überwiegend weiße Männer gegenübersaßen, brach ein Shitstorm gegen die Darstellerin los. Dabei hatte Larson nur erklärt, dass sie Presseveranstaltungen in Zukunft inklusiver gestalten wolle, um sicherzustellen, dass niemand aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder Behinderung von den Terminen ausgeschlossen würde. Doch nach ihren Aussagen fühlten sich neben den Fans auch die männlichen Kritiker angegriffen und riefen zum Boykott des Filmes auf. Larson wolle nicht, dass weiße Männer sich den Film ansähen, hieß es dort unter anderem.

I decided to make sure my press days were more inclusive.
Brie Larson

Generell sei Larson nicht die richtige Besetzung, in den Trailern lächle sie nicht genug, schrieben viele, überwiegend männliche Nutzer*innen auf Social Media. Ein Vorwurf, den Frauen häufiger hören – und zwar meist von Typen, die trotz misslungener Flirtversuche der Meinung sind, sie hätten ein Recht darauf, dass Frauen ihnen ein gutes Gefühl geben. Wie absurd der Vorwurf ist, verdeutlichen Marvel-Fans mit Fotomontagen, auf denen sie den männlichen Superhelden des Universums ein breites Grinsen verpassten.

Wer den Film gesehen hat, wird die Vorwürfe gegen Larsons ernstes Gesicht noch weniger verstehen. Gut, sie läuft nicht wie ein Honigkuchenpferd durch die Gegend, aber wer würde das schon, wenn man ständig irgendeinen Typen vermöbeln muss, damit dieser nicht eine gesamte Spezies auslöscht oder die Freund*innen umlegt? Larson spiel Carol Danvers mit viel Selbstironie und einem spöttischen Lächeln für alle Männer, die sie unterschätzen. Sie ist impulsiv, launisch und liefert sich einen Schlagabtausch nach dem anderen. Letzteres trägt besonders bei den Gesprächen zwischen ihr und Nick Fury stark zur Dynamik des Films bei.

Häkchen auf der feministischen Checkliste

Einige der Kritikpunkte, mit denen Brie Larson konfrontiert wurde, muss sich auch Carol Danvers im Film anhören: Vor allem der Vorwurf, sie sei zu emotional, wird ihr immer wieder gemacht. Aber abgesehen davon, hebt der Film den Fakt, dass eine Frau im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, angenehm wenig hervor. Um Carols Geschlecht wird kein übermäßiges Aufsehen gemacht.

Fast wirkt es, als hätten die Marvel Studios bei ihrem Multimillionen-Dollar-Franchise eine Checkliste mit den Punkten, die einen Film nicht frauenfeindlich machen, angelegt und gewissenhaft abgearbeitet. Neben Carol Danvers spielen in Captain Marvel mehrere selbstbestimmte, mutige Nebendarstellerinnen mit, die die Superheldin beim super-Sein unterstützen. Ebenfalls sehr angenehm: Es gibt keine konstruierte Liebesgeschichte, die Carol Danvers dabei stört, sich selbst zu finden, Freundschaften aufzubauen und gegen das Böse zu kämpfen. Darüber hinaus verdankt sie ihre Kräfte im Film der Arbeit einer anderen Frau und erlangt ihr volles Potenzial erst, als sie sich von den Männern abwendet, die versuchen sie zu kontrollieren und zu benutzen.

Wer von dem Film neue Impulse für den intersektionalen Feminismus-Stammtisch erwartet, wird enttäuscht sein.

Wer von dem Film allerdings neue Impulse für den intersektionalen Feminismus-Stammtisch erwartet, wird enttäuscht sein. Captain Marvel ist letztendlich nicht mehr und nicht weniger als aufwendig produziertes Popcornkino, das – wie wohl jeder Superheld*innenfilm – mit leicht übertriebenem Pathos daherkommt.

Repräsentation ist wichtig

Trotzdem ist es gut, dass sich nach all den Jahren männlich dominierter Comicverfilmungen in Sachen Repräsentation etwas ändert. Die Reaktionen, die sowohl gegenüber der Produktion als auch direkt gegen Brie Larson als Hauptdarstellerin geäußert wurden, zeigen, wie groß die Angst vieler Männer vor einer weiblichen, womöglich feministischen Superheldin ist.

Allen, die sich nicht vor starken Frauen fürchten und die Lust auf kurzweilige Unterhaltung, Kampfszenen und den bereits aus anderen Avengers-Filmen bekannten Humor haben, wird Captain Marvel gefallen. Auch wenn der Geschichte ein wenig mehr Tiefe gut getan hätte, ist es ein Film, den man sich gerne mit seiner 12-jährigen Nichte und ihren Freundinnen anschauen möchte. Und vielleicht ist das der größte Erfolg dieser Comicverfilmung: Dass Mädchen, die auf Comics stehen, nun eine den anderen Avengers gleichrangige Heldin im Kino dabei beobachten können, wie sie für ihre Überzeugungen eintritt.