Als ich mich in den vergangenen Monaten mit feministischen Fragen auseinandersetzte und meine Perspektive im Netz zur Diskussion stellte, bekam ich immer wieder eine Art von Rückmeldung, die mich besonders beschäftigte. Zu einem Artikel über Körperkult und Behaarung kommentierten sowohl Facebook-Nutzer*innen Äußerungen wie: "First World Problems", "Ich glaube es gibt andere Sorgen und Gedanken im Leben als Achselhaare" oder "Wenn man keine anderen Probleme hat …".

Der Tenor dieser Kommentare ist einheitlich: Feminismus ist Luxussache.

Ein Thema, mit dem wir uns nur beschäftigen könnten, wenn wir keine anderen Sorgen hätten. Es sei eine Diskussion, die man sich unter anderen Umständen nicht leisten könne.

Diese Kritik beschämte mich. Sie traf mich irgendwo in den Grundtiefen meiner Überzeugungen. Liegt es wirklich an meiner privilegierten Lage, dass ich mich mit solchen feministischen Fragestellungen auseinandersetzen kann und darf? Ist Feminismus am Ende nur was für wohlbetuchte Akademiker*innen?

Feminismus: nur ein Thema für Akademiker*innen?

"Feminist*in werden, das ist ein Prozess, der sich aus Erfahrungen speist", sagt die feministische Buchautorin und Mutter Katrin Rönicke. Und genauso verhielt es sich bei mir: Es waren persönliche Erlebnisse, die mich dazu bewegten, mich mit dem Feminismus zu beschäftigen und das Studium, das mir dazu theoretisches Material bot.

Ich gebe zu, es ist schwer vorstellbar, dass ein alleinerziehendes Elternteil mit drei Kindern neben dem Ganztagsjob noch Zeit hat darüber nachzudenken, ob das Nägellackieren nun feministisch ist oder nicht. Oder ob Achseln unrasiert sein sollten, um ein feministisches Statement zu setzen.

Aber Feminismen gibt es nicht im Supermarkt an der Kasse, sie sind mit keinem Geld dieser Welt zu erkaufen. Das Tragen von T-Shirts mit Aufdrucken wie The Future is female ist weder ein Beweis noch eine Voraussetzung dafür, Feminist*in zu sein. Obwohl es ein Teil davon sein kann, argumentieren zum Beispiel ZEIT-Autor Tillmann Prüfer und die feministische Journalistin Margarethe Stokowski.

Feminismus ist eine Haltung.

Für feministisches Denken braucht es nicht viel Geld und Zeit. Denn der feministische Gedanke geht mit so vielen Alltagsfragen einher, die es nur kurz in das Bewusstsein zu rufen gilt. Dafür brauchen wir weder ein Studium noch ein besonders ausgeprägtes Fachvokabular.

Ich bleibe bei meinem Beispiel mit den Eltern. Jedes Elternteil wird sich unabhängig jeder Umstände die Frage stellen müssen, wie es sein Kind erziehen möchte. Es bedarf keiner großen Anstrengung, bei der Spielzeugauswahl gleich mitzufragen, ob es statt der blauen oder pinken auch eine genderneutrale Puppe sein könnte. Welches Spielzeug dann letztendlich vielleicht aus Kostengründen im Einkaufswagen landet, ist gar nicht so wichtig. Wesentlicher ist der Gedanke selbst und die Auseinandersetzung damit, wie dem Kind Gleichberechtigung vermittelt werden kann. Und vielleicht schwingt dieses Nachdenken schon bei der nächsten Unterhaltung beim Elternabend oder im Supermarkt mit.

Der Klimawandel ist aber wichtiger

Es ist mir bewusst, dass es auf dieser Welt noch andere wichtige Diskurse gibt. Dass Menschen in Kriegen sterben, Kinder keinen Zugang zu Bildung bekommen und die Polkappen schmelzen.

Feminismus bedeutet Gleichberechtigung – in jeglichen Lebenslagen.

Doch diese Themen sollten wir nicht aneinander messen. Ich habe den höchsten Respekt vor Menschen, die sich für Menschenrechte, ein besseres Bildungssystem oder den Umweltschutz engagieren. Aber wenn dieses Engagement mit der Vernachlässigung anderer Aktivismen einhergehen soll, nützt das doch niemandem. Der Kampf einer*s Menschenrechtler*in ist genauso wichtig wie der eines*r Tier- oder Umweltaktivist*in.

Bei all diesen Themen kann und muss Feminismus mitgedacht werden: ob beim Menschenrecht, in der Umweltpolitik oder im Sozialsystem. Er öffnet immer wieder neue Perspektiven und gibt Zugänge zu Problemen. In einem Bildungssystem, in dem Mädchen immer noch strukturell benachteiligt sind. In einem Sozialsystem, in dem Frauen ungerechtfertigt um eine ausreichende Rente bangen müssen. Oder in einem Landwirtschaftssystem, in dem Frauen als treibende Kraft in einem hungernden Land weder wahrgenommen noch entlohnt werden.

Feminismus bedeutet Gleichberechtigung – in jeglichen Lebenslagen.

Ein Thema, für das es zu kämpfen, zu diskutieren und zu glauben gilt

Treffend schreibt Patricia Valoy in ihrem Artikel 5 Reasons Why ‘First-World’ Feminism Isn’t Actually Trivial auf everydayfeminism.com: "Feminist Activism Isn't One-Size-Fits-All." Feminismus sei keine Bewegung mit einem einzigen Ziel, sondern vielmehr eine Reihe von Bewegungen, die sich mit verschiedenen Arten von Unterdrückung vieler Identitäten beschäftigen.

Meiner Meinung nach ist es wichtig, diese Bewegung möglichst niedrigschwellig zu halten. Es gibt einen Unterschied zwischen Feminismen als Grundgedanken und aktivem Feminismus. Die feministische Haltung erfordert das Mitlesen und -denken, das Fragenstellen und Umsetzen im Privaten. Aktive Feminist*innen engagieren sich über diese Haltung hinaus in Organisationen, in der Politik oder im sozialen Umkreis.

Ich sehe es als Auftrag feministischer Aktivist*innen, für einen inklusiven und intersektionalen Umgang zu stehen. Einem Feminismus, der für jede*n eine bestärkende und bereichernde Eigenschaft bleiben kann. Eine Haltung, die zu mehr Selbstbewusstsein und Freiheit für Menschen allen Geschlechts, jeder Hautfarbe, Herkunft und Klasse sein soll.