In ihrer Rolle als Mann hat sich Nina Jaros nie bedroht gefühlt. Sie erzählt, wie sich das verändert hat, seitdem sie offen als Frau lebt. In unserer Serie "Auch wir" protokollieren wir die Erlebnisse von Frauen mit sexueller Belästigung. Verbale und körperliche Übergriffe bis hin zu Gewalttaten: Viele Frauen sind bereits Opfer geworden. Was haben sie erlebt und wie gehen sie damit um? Bei uns erzählen sie es.

"Ich habe in einer kleinen Videothek gearbeitet und am Abend Feierabend gemacht. Als ich rausging und die Alarmanlage einschalten wollte, stand plötzlich ein Mann hinter mir. Er sagte nichts. Ich weiß nicht, was er genau von mir wollte. Ich habe zu ihm gesagt: 'Wenn du Geld willst, musst du warten, bis ich die Alarmanlage ausgeschaltet habe. Wenn du Sex willst: Mein Zug geht in zehn Minuten, wir müssen uns beeilen.' Dann hab ich meinen Pullover ausgezogen und zur Seite geworfen. Weil ich wusste, dass er darauf nicht vorbereitet ist. Genau so war es. Er ist weggelaufen. Ich hab meine Sachen aufgesammelt und bin nach Hause gefahren."

Nina Jaros ist 46 Jahre alt und lebt gemeinsam mit ihrer Frau und Kindern in Ostwestfalen. Seit etwa vier Jahren tritt Nina in allen Bereichen ihres Lebens als Frau auf. Heute sagt sie: "In meiner Rolle als Mann habe ich mich unwohl gefühlt an gewissen Orten. Aber nicht gefährdet, nicht bedroht. Jetzt als Frau fühle ich mich wirklich bedroht."

Ohne männliche Schutzmaske kommt die Belästigung

Als Nina noch in ihrer Rolle als Mann lebte, konnte sie Bedrohungssituationen entschärfen. "Wenn ich etwa bei einer Feier war und einer betrunken eskaliert ist, dann wusste ich schon, wie ich den besänftigen kann: mit ein bisschen Humor." Diese Verhaltensweisen sind aber wirkungslos, seitdem sie ihre, wie sie sie nennt, männliche Schutzmaske abgelegt hat und als trans* Frau lebt.

"Wenn ich als trans* wahrgenommen werde, erlebe ich eine andere Form von Belästigung, als wenn ich als Frau beziehungsweise lesbische Frau wahrgenommen werde", erzählt Nina. So würden Menschen grenzüberschreitende Fragen stellen: Nimmst du schon Hormone? Hattest du schon eine (geschlechtsanpassende) OP? – Für Nina sind das sehr intime Frage, die in einem Gespräch mit vertrauten Menschen Platz haben. Weil sie trans* ist, glaubten aber Fremde, ihr solche Fragen schon beim Kennenlernen stellen zu können. "Die Fokussierung von Menschen auf meine Genitalien empfinde ich als Belästigung."

Dieses übergriffige Verhalten macht auch vor Ninas Beziehung mit ihrer Frau nicht Halt: "Wenn ich mich als lesbische Frau oute, wird mir ganz oft erklärt, wie Sex geht", sagt Nina. "Männer laden sich dazu ein, mit meiner Frau und mir Sex zu haben. Oder Männer laden sich dazu ein, mit meiner Frau Sex zu haben, weil ich ja kein Mann mehr bin."

Nina erlebt mehr als nur verbale Übergriffe

Nina fürchtet nicht nur verbale Übergriffe. Sie schildert im Gespräch drei Vorfälle, die sich in den vergangenen Jahren ereignet haben. Einer davon war klar transfeindlich: "Ich hatte vergessen, dass ich ein neues Erscheinungsbild habe und bin an einer Gruppe Jugendlicher vorbeigegangen. Sie haben mir nachgepfiffen und ich habe den Fehler gemacht, mich umzudrehen." Als die Jugendlichen sahen, dass Nina trans* ist, hätte die Gruppe sie verfolgt und bedrängt.

Meine offensive Art hat mich geschützt.
Nina

Auch bei den anderen körperlichen Übergriffen waren es Männer, die Nina angriffen: eine Gruppe bei einem Spaziergang und ein Unbekannter, der ihr nach der Arbeit auflauerte. In beiden Fällen konnte sie durch ihre Schlagfertigkeit die Situation entschärfen.

"Ich weiß, wenn ich Nein schreie oder weglaufe, erwartet der Angreifer das", erklärt Nina. "Ich habe einfach gelernt, dass wenn jemand auf mich zukommt und mir ein sexuelles Angebot macht, das ich nicht möchte, so zu antworten, dass ich den entwaffne." Durch Schlagfertigkeit in brenzligen Situationen habe sie Angreifer davon abhalten können, ihre Vorhaben umzusetzen. "Meine offensive Art hat mich geschützt", sagt Nina.

Ein verbitterter Rückzug

Übergriffe und Belästigungen bleiben dennoch nicht ohne Folgen. Nina merkt, wie sie ihr Verhalten ändert. "Ich ziehe mich zurück", sagt sie. Dabei wolle sie eigentlich genau das Gegenteil machen: "Ich möchte aufklären, ich möchte Informationen geben." Doch sie merkt, wie sie bestimmte Situationen immer öfter meidet: Gruppen junger Männer, unbekannte Wege im Dunkeln, Parks. "Meine Verhaltensänderungen wurden drastisch, je mehr ich mich getraut habe, als Frau zu leben", erzählt sie.

"Ich lebe mit einem gewissen Risiko", meint Nina dazu. "Dieses Bewusstsein zu haben, macht mir wirklich Angst." Sie sorgt sich nicht nur um ihre eigene Sicherheit, sondern auch um die ihrer Kinder. Sie hat eine 13-jährige Tochter: "Die ist sportlich, schlank und schlagfertig. Aber hilft ihr das? Reicht das?"

Wie vermittelt sie ihrer jungen Tochter, dass sie als Frau Gefahren gegenüberstehen wird? Zum einen mit Offenheit: "Wir versuchen zu vermitteln, dass ein Risiko von Übergriffen besteht und wir sie auch nicht beschützen können", erklärt Nina. Zum anderen sprechen Nina und ihre Frau mit ihren Kindern auch darüber, was geschieht, wenn es zu Grenzüberschreitungen kommen sollte: "Wir können nur präventiv sagen: 'Wenn etwas passiert, dann kannst du mit uns sprechen'. Dann können wir Maßnahmen ergreifen."

Im Gespräch wird an dieser Stelle Ninas Frustration fast greifbar: "Aber wir sollten eine Gesellschaft haben, wo solche Gedanken und Gespräche nicht notwendig sind." Dem ist nichts hinzuzufügen.