Am Wochenende starteten rechtsextreme Twitter-User*innen in den USA den Hashtag #JewishPrivilege. In den Tweets, die sich schnell darunter häuften, spiegelten sich alle Formen von Antisemitismus wider. Von christlich-religiös motiviertem Judenhass bis hin zu dem Vorwurf, Jüdinnen*Juden seien für die Sklaverei in den USA verantwortlich gewesen und würden nun alles "den Weißen" zuschieben.

Der jüdische Autor und Aktivist Hen Mazzig begann am Sonntag, den von Rechtsextremen gestarteten Hashtag zu kapern. Er twitterte: "Ein jüdisches Privileg ist es, dass meine Großeltern gewaltsam aus Irak und Tunesien verdrängt wurden mit nichts als ihrer Kleidung am Leib." Er forderte alle seine jüdischer Follower*innen auf, zu teilen, welche vermeintlichen Privilegien sie und ihre Familien genössen.

Daraufhin nutzte die jüdische Twitter-Community weltweit den Hashtag, um auf alltäglichen und strukturellen Antisemitismus in ihren Ländern aufmerksam zu machen. Nutzer*innen erzählen von Brandsätzen, die auf ihre Autos geschmissen wurden, von Gräbern, die mit Hakenkreuzen beschmiert wurden, oder Synagogen, die rund um die Uhr bewacht werden. Außerdem zeigten sie Bilder von Familienangehörigen, die sie nicht kennenlernen durften, weil sie von den Nazis ermordet worden waren.

Auch in Deutschland nutzten Jüdinnen*Juden den Hashtag, um von Erfahrungen mit Antisemitismus zu berichten:

Was steckt dahinter?

Zuletzt wurde im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd über Privilegien, die weiße Menschen in den meisten Gesellschaften innehaben, diskutiert. Die Hashtags #WhitePrivilege und #KritischesWeißsein, unter denen Nutzer*innen über ihre Privilegien reflektierten, gingen in den sozialen Medien viral.

Die Inhalte unter dem Hashtag #JewishPrivilege lassen sich vor diesem Hintergrund als klassische Täter-Opfer-Umkehr verstehen: Statt über eigene Privilegien nachzudenken, wird von White Supremacists die Schuld an gesellschaftlichen Missständen der jüdischen Community zugeschoben, während man sich selbst in der Rolle des Opfers darstellt. "Die Idee, dass so etwas wie 'jüdische Privilegien' existieren, ist antisemitisch", sagte Hen Mazzig den Jewish News.

Antisemitismus in Deutschland

Empirische Vorurteilsstudien belegen, dass Antisemitismus nach 1945 in Deutschland keinesfalls verschwunden ist, sondern bis heute vorherrscht. Die Mitte-Studie der Universität Bielefeld sowie die Leipziger Autoritarismus-Studie dokumentieren seit Jahren Zustimmungswerte zu antisemitischen Aussagen.

Während die Zahlen zu den antisemitischen Einstellungen innerhalb der Bevölkerung in den letzten Jahren mehr oder weniger konstant blieben, stieg die Anzahl antisemitischer Straftaten laut Bundeskriminalamt im Jahr 2019 um 13 Prozent. Etwa 2.000 antisemitische Straftaten wurden 2019 gegen Jüdinnen*Juden oder jüdische Einrichtungen begangen. Die wohl bekannteste davon: Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am jüdischen Feiertag Jom Kippur.