Es ist Mittwochmorgen, 8 Uhr, Mohamed* schaltet seinen Computer an und klickt sich durch Stellenanzeigen. Jede Woche schickt er zwei bis drei Bewerbungen raus, oft bekommt er keine Antwort. 80 Bewerbungen hat er seit April geschrieben – nur einmal wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Knapp einen Monat später erhielt er auch dafür eine Absage. "Es fühlt sich an, als wäre ich stehen geblieben", sagt er. Er habe das Gefühl, seit Monaten nichts dazuzulernen oder sich weiterzuentwickeln.

Der 26-Jährige hat einen Master in Luft- und Raumfahrttechnik und einen Bachelor in BWL. Er spricht Deutsch, Englisch und Arabisch, hat während des Studiums Berufserfahrungen in diversen Praktika und Werkstudentenjobs gesammelt. Ende April hat Mohamed seine Masterarbeit abgegeben und ist seitdem auf Arbeitssuche. "Da habe ich mir schon gedacht, dass es erst mal nicht so leicht wird. Wir steckten mitten im Lockdown, gerade die Luft- und Raumfahrtbranche war und ist besonders schwer von den Beschränkungen betroffen", sagt er. Die meisten Jobs, die er in seiner Branche findet, kommen von Start-ups, fordern aber meistens mindestens fünf bis zehn Jahre Berufserfahrung. Aber dass er im November immer noch arbeitslos sein würde, damit hatte er nicht gerechnet. Zumindest hatte er erwartet, mittlerweile einige Bewerbungsgespräche zu führen.

80 Bewerbungen und nur ein Bewerbungsgespräch

Laut dem aktuellen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit sind gerade junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren erheblich von der Pandemie betroffen. Die Arbeitslosigkeit lag bei ihrer Altersgruppe im Oktober bei 5,5 Prozent. Das sind 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei ist es nicht so, dass Unternehmen gerade keine Stellen mehr ausschreiben würden: 148.000 Stellen wurden im Oktober bundesweit neu gemeldet. Das waren zwar 9 Prozent weniger als 2019, aber immerhin 6,5 Prozent mehr als noch im September. Gut ein Zehntel dieser Stellenausschreibungen kommen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen und aus dem Handel. Stellen aus dem Bereich Qualifizierte Unternehmensdienstleistungen, in den Mohameds Tätigkeit fallen würde, machen acht Prozent der Stellen aus.

An manchen Tagen möchte ich am liebsten nicht aus dem Bett aufstehen.
Mohamed

Mohameds Bilanz ist ernüchternd. Er vermutet, dass es auch mit seinem Namen zu tun haben könnte. "Wenn auf 80 Bewerbungen bloß eine Einladung zum Vorstellungsgespräch kommt, gibt mir das schon zu denken. Dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen seltener eingeladen werden, hört man ja oft." Beratung, zum Beispiel bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hat er sich deshalb nicht gesucht, auch die Unternehmen hat er nicht nach dem Absagegrund gefragt. "Ich möchte in meiner Lage keine Konflikte anfangen."

2013 kam Mohamed aus Ägypten nach Deutschland, um hier zu studieren. Jetzt, nach dem Abschluss, möchte er gern weiter hier leben. Der Gedanke an eine Rückkehr kommt trotzdem ab und zu in ihm hoch, vor allem an schlechten Tagen. "Manchmal möchte ich am liebsten nicht aus dem Bett aufstehen. Dann rufe ich Familie und Freund*innen an, um mich da rausziehen." Zwei seiner guten Freund*innen seien mittlerweile schon nach Ägypten zurückgekehrt, weil sie keinen Job gefunden hätten. Mohamed kann sich bisher finanziell ganz gut über Wasser halten, weil er sich für einen neuen Master eingeschrieben hat und deshalb weiterhin als Werkstudent arbeiten kann. "Das hat mich in den vergangenen Monaten gerettet. Es gibt mir Orientierung und Struktur, zweimal pro Woche zu arbeiten. Es motiviert mich, nicht aufzugeben."

Junge Menschen befinden sich nach dem Abschluss ohnehin in einer Phase der Unsicherheit

Während der Pandemie auf Arbeitssuche zu sein beschreibt der 26-Jährige als sehr zermürbend. "Man hat sehr viel Zeit, um nachzudenken. Wahrscheinlich zu viel." In den letzten Monaten hätte es Phasen gegeben, in denen er sehr wütend auf sich war und alles hinschmeißen wollte. "Ich bin jemand, der die Schuld bei sich sucht, nicht in der Situation oder bei anderen. Dann gibt es Phasen, in denen ich optimistisch bin, dass das alles irgendwann vorbei ist und ich die viele Freizeit genießen sollte, die ich gerade habe", sagt Mohamed. Damit die Hochphasen überwiegen, versucht der Ingenieur sich eine klare Tagesstruktur zu schaffen. "Montags und dienstags arbeite ich, mittwochs bis freitags schreibe ich von etwa morgens um acht bis mittags um zwölf Bewerbungen. Danach mache ich Sport und treffe mich mit Freund*innen." Das neu beginnende Semester will er jetzt außerdem nutzen, um Kurse an der Uni zu belegen und sich weiterzubilden.

Junge Menschen müssen sich darauf einstellen, dass die Pandemie immer wieder Pläne durchkreuzt.
Michael Corsten

In einem Interview mit ze.tt sprach der Soziologe Michael Corsten kürzlich davon, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf junge Menschen haben kann. Für junge Menschen, die sich gerade in einer Übergangsphase befinden, entsteht durch die Corona-Pandemie eine zusätzliche Unsicherheit, sagte er: "Übergänge sind immer unsicher, weil man sie mehr oder weniger erfolgreich bestreiten kann und am Anfang nie weiß, wie es am Ende ausgeht. Jetzt kommt für junge Menschen hinzu, dass sie sich gewissermaßen darauf einstellen müssen, dass die Pandemie immer wieder Pläne durchkreuzt. Das ist eine doppelte Verunsicherung." Werde eine solche Übergangsphase in die Länge gezogen, könne das das Selbstvertrauen junger Menschen angreifen. "Man kann in der Pandemie und in Übergangsprozessen keine Schritte gehen, auf denen man aufbauen kann", sagt Corsten. Langfristig könne das zu Verbitterung führen.

Nach dem Masterabschluss zurück zu den Eltern

Teresa* ist seit sechs Wochen auf Arbeitssuche. Die gebürtige Hamburgerin schloss vor einigen Jahren bereits ihr Bachelorstudium in Volkswirtschaftslehre ab und arbeitete danach bei einer Internetplattform in Berlin. Weil sie gern noch einen Master in BWL machen wollte, um Unternehmensberaterin zu werden, kündigte sie ihren Vollzeitjob und schrieb sich an einer Uni in Irland ein. Dort gab sie vor wenigen Wochen ihre Abschlussarbeit ab. "Noch mal zu studieren war eine ganz klare Prä-Corona-Entscheidung: Ich gab meinen sicheren Job auf, weil ich überzeugt war, dass mir nach dem Master die Welt offensteht", sagt sie.

Noch mal zu studieren war eine ganz klare Prä-Corona-Entscheidung.
Teresa

Jetzt ist die Situation eine andere, viele der Unternehmensberatungen, die auf Teresas Liste standen, stellen seit März nicht mehr ein. "Es ist entmutigend, da Bewerbungen hinzuschicken und Absagen zu bekommen, wenn ich weiß, dass ich noch vor einem Jahr wahrscheinlich gute Chancen gehabt hätte." Aktuell schreibt Teresa etwa drei Bewerbungen pro Woche, bisher hatte sie ein Bewerbungsgespräch. Sie bewirbt sich auf Stellenausschreibungen und initiativ. "Die Initiativbewerbungen kommen bisher besser an, darauf erhalte ich mehr Rückmeldungen", sagt sie.

Die 27-Jährige lebt gerade von Ersparnissen, ein paar Monate jobbte sie in einer Bar. Mittlerweile ist sie wieder bei ihrer Mutter eingezogen, demnächst will sie sich arbeitslos melden. "Das fühlt sich alles an, als würde man einen Schritt zurück machen statt einen nach vorn." Trotzdem hat sie den Mut nicht verloren. Sie hat sich selbst drei bis vier "Bürotage" pro Woche auferlegt, um nicht das Gefühl von Alltag zu verlieren. "Außerdem räume und miste ich gerade viel aus. Dinge, die sonst oft liegen bleiben", sagt sie. "So habe ich all diesen typischen To-do-Listen-Kram erledigt, falls dann spontan eine Jobzusage um die Ecke kommen sollte."

Was sollten junge Menschen, die keinen Job finden, jetzt tun?

Laut deutschlandweitem Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit erholt sich die Arbeitskräftenachfrage seit Beginn der Corona-Pandemie langsam wieder. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt, dass die Zahl der Arbeitslosen 2021 um 100.000 sinkt. Allerdings sind nicht alle Branchen und Regionen gleich von der Pandemie betroffen. So sind die Beschäftigungszahlen und Stellenangebote in Teresas Heimatstadt und Wunschbranche deutlicher zurückgegangen. In Hamburg sind aktuell knapp 9.600 Arbeitsstellen frei – das sind deutlich weniger als noch im vergangenen Jahr. Bundesweit waren im Oktober insgesamt etwa 602.000 freie Stellen gemeldet. Zum Vergleich: Im Oktober 2019 waren es noch 764.000 freie Stellen.

Knut Böhrnsen, Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit Hamburg, sagt: "In den nächsten zehn Jahren werden allein in Hamburg etwa 170.000 beschäftigte Arbeitnehmer*innen in den Ruhestand gehen. Nicht alle auf einmal, aber sukzessive. Das sind Stellen, die für junge Menschen frei werden."

Böhrnsen empfiehlt jungen Arbeitssuchenden, sich einen guten und vollständigen Überblick über die infrage kommenden Jobs und Branchen zu machen, ihren Radius auszuweiten und eventuell auch einen berufsbedingten Umzug in Erwägung zu ziehen. "Geduld und Zuversicht sind stärker gefragt als sonst", weiß er, ermutigt aber: "Es kommen laufend neue Job bei uns in der Arbeitsagentur zur Besetzung rein. Tägliche Recherchen über Jobportale helfen, um auch ein Gefühl für passende Angebote zu erhalten."

Die Ungewissheit nagt am Selbstwertgefühl

Matthias hatte nach mehreren Monaten der Suche Glück. Der 27-Jährige hat an der Technischen Universität München Maschinenbau studiert, im April hat er seinen Master abgeschlossen. Er hat sich im Studium auf die Automobilindustrie spezialisiert. "Normalerweise ist diese Branche ziemlich krisensicher, ich war nicht darauf vorbereitet, dass ich länger suchen muss." Letztendlich dauerte es knapp fünf Monate, bis er fündig wurde. Das nennt er heute ein großes Glück. "Ich habe den Job im September bekommen, da sah die Corona-Lage gerade wieder einigermaßen stabil aus. Jetzt, zwei Monate später, wäre das wahrscheinlich schon wieder schwieriger."

Während der Arbeitssuche wurde Matthias zwar zu einigen Bewerbungsgesprächen eingeladen, die aus seiner Sicht gut verliefen – bekam dann allerdings meistens keine Rückmeldung mehr. "Das hat sehr an meinem Selbstwertgefühl genagt. Mir ist erst im Nachhinein wirklich bewusst geworden, wie schlecht es mir zu der Zeit ging", sagt er. Es sei das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er keinen Plan hatte.

Als ich die Arbeit dann abgegeben habe, bin ich in ein Loch gefallen.
Matthias

Im März, zu Beginn der Pandemie, steckte der 27-Jährige noch tief in seiner Masterarbeit. Für das, was ihm danach bevorstand, hatte er zu der Zeit keinen Kopf. "Als ich die Arbeit dann abgegeben habe, bin ich in ein Loch gefallen", sagt er. "Es hat sich nicht wie ein Abschluss angefühlt. Ich konnte nicht feiern, eigentlich wollte ich ein paar Monate reisen und mir eine Auszeit nehmen. Weil das wegen Corona nicht ging, saß ich stattdessen bei meinen Eltern im Garten und wusste nicht, was ich mit mir anfangen soll." Weil er nicht wusste, womit er seine Zeit verbringen sollte, begann Matthias sofort mit der Arbeitssuche. "Rückblickend war das ein Fehler. Ich hätte mir lieber bewusst eine Auszeit nehmen und mich anschließend voll und ganz auf Bewerbungen konzentrieren sollen." Stattdessen bezeichnet er diese Zeit heute als sehr belastend. "So konnte ich nicht richtig abschalten. Wenn ich gechillt habe, hatte ich ein schlechtes Gewissen."

Finanziell hat der 27-Jährige die Zeit mithilfe seiner Eltern und von Ersparnissen überbrückt. Über eine App, die Tagesjobs wie Kellnern bei Events oder auch Kurzaushilfen in Supermärkten anbietet, konnte er sich etwas dazuverdienen. Matthias räumte vor allem die Lager von Firmen ein und aus, verdiente damit zwischen 50 und 90 Euro am Tag. "Das ging die erste Zeit noch gut, wäre nicht im September die Zusage gekommen, wäre es finanziell schwieriger geworden."

Viele junge Menschen sind verunsichert

Mohamed, Teresa und Matthias hat die Corona-Pandemie erwischt, als sie gerade ihren Master beendet hatten. Von der Situation sind aber auch deutlich jüngere Menschen betroffen, die gerade die Schule abgeschlossen haben. Ralf Jahnke kümmert sich um diese Fälle. Er sitzt im Senat für Bildung, Jugend und Familie in Berlin und ist verantwortlich für die Netzwerkarbeit der Jugendberufsagentur der Hauptstadt. Ziel der Jugendberufsagentur ist es, alle Schüler*innen zu erreichen, die bald mit der Schule fertig sind und nach Ausbildungsplätzen Ausschau halten, um sie bei der Suche zu unterstützen. Normalerweise haben sie dafür Anlaufstellen und sie sind in den Schulen unterwegs. Beides geht gerade aufgrund der Pandemie kaum.

Die Bertelsmann Stiftung brachte kürzlich eine Studie heraus, die zu dem Schluss kam: Viele junge Menschen bis 20 Jahre sind verunsichert und gehen davon aus, dass es zu wenig Ausbildungsplätze gibt. "Einige bewerben sich deshalb gar nicht erst", sagt Jahnke. Vor allem diejenigen, die einen niedrigeren Berufsabschluss haben und nicht an die Uni gehen können oder möchten. Das macht sich auch in den Zahlen bemerkbar, die der Verwaltungsbeamte für Berlin vor sich hat: 2.400 Ausbildungsverträge wurden im Vergleich zum Vorjahr weniger abgeschlossen, und das bei über 1.600 unbesetzten Stellen, die bei der Arbeitsagentur im September gemeldet waren – das sind sogar mehr als im Vorjahr. Die Realität des Ausbildungsmarkts und die Wahrnehmung der jungen Menschen gehen offenbar auseinander. "Wir tun uns schwer, mit den jungen Menschen in Kontakt zu treten – und das seit März", sagt Ralf Jahnke. "Gerade diejenigen, die schon vergangenes Jahr die Schule beendet haben und noch nicht mit Studium oder Ausbildung angefangen haben, sind für uns regelrecht untergetaucht."

Von einer "verlorenen Generation", wie sie zum Beispiel in Beiträgen der FAZ oder des NDR genannt wird, möchte Ralf Jahnke nicht sprechen. "Das greift zu weit. Ja, die Gruppe der Jugendlichen, die von unserem Radar verschwinden und keiner Ausbildung nachgehen, wird größer. Aber das ist keine ganze Generation." Was Jahnke jungen Menschen, die gerade auf der Suche nach Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen sind, empfehlen kann: "Greift eventuell auch auf Plan B oder C zurück, wenn Plan A in einer der gerade besonders betroffenen Bereiche war. Das muss ja nicht sofort über einen Ausbildungsplatz sein, sondern geht auch über ein Praktikum."

*Anmerkung der Redaktion: Der Redaktion sind die echten Namen von Mohamed und Teresa bekannt. Weil sie berufliche Nachteile befürchten, möchten die beiden Protagonist*innen anonym bleiben.