Achtmal ist Joshua Wong bereits verhaftet worden. Dreimal wurde er strafrechtlich verfolgt und angeklagt. 100 Tage verbrachte er im Gefängnis. Dabei ist Wong gerade einmal 22 Jahre alt. Doch bei seinem Auftritt an der Humboldt-Universität in Berlin am Mittwoch betont der Aktivist aus Hongkong mehrmals, dass das im Vergleich zu dem, was andere in Hongkong erleben, nichts sei. Er nennt seinen Freund Edward Leung, der 2018 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Seine Bekanntheit schütze ihn gewissermaßen, sagt Wong.

Der 22-Jährige wirkt fit und konzentriert, trägt ein weißes Hemd und ein graues Jackett, das er für seine Ansprache ablegt. Er hat an diesem Tag schon einige Termine hinter sich – ein Statement in der Bundespressekonferenz, Treffen mit Abgeordneten des Bundestages, darunter FDP-Chef Christian Lindner, und mit Journalist*innen. Erst am späten Montagabend war Wong in Deutschland gelandet. Zuvor hatte ihn die Polizei am Flughafen in Hongkong festgenommen und 24 Stunden festgehalten.

Die Demonstrant*innen in Hongkong organisieren sich über Telegram-Gruppen

Das Interesse an Wong ist groß. Er ist auf Einladung der BILD-Zeitung nach Berlin gekommen, sprach bei einem Event des Blatts am Montag unter anderem mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas. An der Humboldt-Universität begrüßen ihn die Wartenden vor dem Hörsaal erst zögerlich, dann mit deutlichem Applaus. Zweimal kündigen die Organisator*innen auf Deutsch und Englisch an, dass bei Störungen oder Konflikten Menschen aus dem Publikum des Saales verwiesen werden, wenn nötig sogar die Polizei verständigt und die Veranstaltung beendet werde. Dazu kommt es nicht.

Wong formuliert fünf Forderungen der Protestbewegung: die Rücknahme des Auslieferungsgesetzes, ein Ende der Strafverfolgung der Demonstrant*innen, keine Verurteilung der Proteste als Krawalle, eine Untersuchung der Polizeigewalt und, das ist sein wichtigster Punkt, freie Wahlen. Die aktuelle Regierungschefin Carrie Lam wurde wie ihre Vorgänger von einem Wahlkomitee gewählt, das überwiegend mit Wirtschaftsvertreter*innen besetzt ist. Dort dominieren pro-chinesische Eliten.

Menschenrechte müssen wichtiger sein als wirtschaftliche Interessen und Handelsverträge.

Politisch aktiv wurde Joshua Wong mit 15 Jahren, erzählt er. Damals wurde in Hongkong der Moral and National Education Curriculum Guide eingeführt. Was dort von Schüler*innen gefordert werde, sei mehr als bloße Vaterlandsliebe zu China, sagt Wong. In der Regenschirm-Bewegung 2014 wurde er zu einer der prominentesten Figuren. Das US-amerikanische Magazin TIME nominierte ihn im selben Jahre für die Auszeichnung Person of the Year. Netflix drehte eine Doku über ihn. 2016 gründete er die oppositionelle Partei Demosistō mit.

Heute sei seine Rolle bei den Protesten eine andere: "Ich bin nicht mehr der Anführer", sagt Wong. Er moderiere, vermittle, nutze seine Bekanntheit, um auf die Forderungen der Demonstrant*innen aufmerksam zu machen. Früher sei er noch oft gefragt worden: "Joshua, was sind die nächsten Schritte?" Heute ergreifen die Menschen selbst die Initiative und organisieren sich über Telegram-Gruppen. In einer der größten sind mehrere 10.000 Mitglieder. Es brauche keine*e Anführer*in, findet Wong. In Hongkong stehe man solidarisch und einheitlich zusammen.

"Hongkong ist das neue Berlin"

Diese Solidarität fordert Wong auch über die Stadtgrenzen Hongkongs hinaus. Wenn Menschenrechte in Hongkong und China verletzt würden, dann gehe das auch Deutschland etwas an. "Menschenrechte müssen wichtiger sein als wirtschaftliche Interessen und Handelsverträge." Westliche Staaten sollten aufhören, Rüstungsgüter nach Hongkong zu liefern. An diesem Abend wiederholt er auch seine Aussage, dass Hongkong das neue Berlin in einem neuen Kalten Krieg sei. Kritik aus dem Publikum an dieser Formulierung weist er höflich zurück. Ja, vor zwei Jahren hätte er es wohl auch noch nicht so ausgedrückt. Doch jetzt mit dem sich zuspitzenden Handelsstreit zwischen den USA und China halte er den Satz für treffend.

Vorwürfe, von außen gesteuert zu sein, entgegnete Wong ebenfalls gelassen. So sei berichtet worden, dass er von US Marines trainiert worden sei. "Schaut euch doch meinen Körper an, könnt ihr euch das vorstellen?", fragt der etwas schlaksige Wong rhetorisch in die Runde. Scharf verurteilt er immer wieder die Polizeigewalt während der Proteste. China nennt er autoritär, den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping einen Imperator. Aus dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme", nach dem Hongkong seit der Rückgabe an die Volksrepublik China 1997 sein kapitalistisches System beibehalten darf, sei "Ein Land, anderthalb Systeme" geworden.

Wongs Besuch in Deutschland und sein Werben für Unterstützung wird in China nicht gern gesehen. Am Mittwoch wurde der deutsche Botschafter formell einbestellt. Der chinesische Vertreter in Deutschland Wu Ken teilte mit: "Ich möchte bekräftigen, dass Hongkong China gehört und die Angelegenheiten von Honkong Chinas Innenpolitik sind." Er rate daher den Politiker*innen davon ab, sich in die inneren Angelegenheiten von Hongkong und China einzumischen und warnte die deutsche Politik vor negativen Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen. China ist der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik.