Die Zivilgesellschaft in Russland ist seit einigen Jahren stark unter Druck. Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden als ausländische Agent*innen diffamiert, ihre Räumlichkeiten unangekündigt durchsucht und Geld- oder sogar Haftstrafen angedroht. Für diese Serie traf unser Autor fünf junge Leute, die trotz widriger Umstände in Russland Gutes tun. Dies ist der fünfte und letzte Teil, Teil eins findet ihr hier, Teil zwei hier, Teil drei hier, Teil vier hier.

Durch den Konflikt in der Ukraine und vor allem die Kämpfe in der Ostukraine sind viele Menschen aus dem Land geflohen. Auch nach Russland. Unmittelbar nach der Annexion der Krim herrscht zunächst nationaler Enthusiasmus: Fast jede*r Geflüchtete aus dem Osten der Ukraine wurde in Russland wie ein lange erwarteter Gast willkommen geheißen.

Inzwischen scheint die anfängliche Begeisterung der russischen Bevölkerung, Ukrainer in Russland aufzunehmen, deutlich abgenommen zu haben. "Die Bevölkerung hat mittlerweile kein so großes Interesse mehr an den Flüchtlingen", erklärt die Medizinstudentin Umka, die sich seit drei Jahren bei der Jugend des Russischen Roten Kreuzes in der Novgorod engagiert. Die 21 Jahre alte Studentin will später einmal als Ärztin in Kriegsgebieten arbeiten, ihr soziales Engagement helfe ihr dabei, die Ängste, Sorgen und Nöte von Menschen, die eine Konfliktsituation durchlebt haben, besser zu verstehen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass seit Juni 2015 etwa 746.500 Menschen nach Russland geflohen sind (PDF). Rund 400.000 Ukrainer haben dort ein einjähriges Asyl erhalten, das eine Arbeitserlaubnis, den Zugang zu medizinischer Versorgung sowie andere Vergünstigungen enthielt. Im November 2015 wurde das Verfahren jedoch vonseiten der russischen Regierung eingestellt.

"Viele Flüchtlinge leben derzeit ohne jeden Status in Russland und haben somit keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung", so Umka. Deswegen seien sie auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Aktuell gibt es verschiedene behördliche Verfahren für einen legalen Aufenthaltsstatus, allerdings sind diese mit hohen Kosten verbunden. Will ein Neuankömmling aus der Ukraine, die*der langfristig in Russland bleiben will, alle bürokratischen Auflagen erfüllen, so zahlt sie*er für die Papiere mehrere hundert Euro.

Laut Umka "Geld, das die Flüchtlinge meist nicht haben". Angefangen beim monatlichen Arbeitspatent, der Arbeitserlaubnis, dem russischen Sprachnachweis und dem obligatorischen Geschichts- und Rechtstest bis hin zur vorübergehenden Registrierung. Die Papiere müssen dann außerdem noch übersetzt und notariell beglaubigt werden.

Ich bin schon froh, wenn die Menschen auf irgendeinem Weg die medizinische Behandlung bekommen, die sie brauchen."

"Eine Krankenversicherung zu bekommen, bereitet Flüchtlingen große Probleme. Es ist wirklich nicht einfach", so Umka. Immenser bürokratischer Aufwand, etliche Besuche bei den Behörden, und dann sei das Ergebnis oft enttäuschend. Denn oft bekomme man als Ukrainer eine Versicherungspolice nur gegen Bestechungsgeld. "Aber das bietet den Flüchtlingen aus der Ukraine keine Garantie, behandelt zu werden", erklärt sie. Das sei menschenunwürdig und müsse sich ändern. "Von heute auf morgen wird sich die Situation nicht ändern, ich bin schon froh, wenn die Menschen auf irgendeinem Weg die medizinische Behandlung bekommen, die sie brauchen und die ihnen zusteht", fügt Umka hinzu. Das sei schon ein kleiner Erfolg.

Freiwillige Helfer*innen des Roten Kreuzes in Russland, beispielsweise in Novgorod, helfen den Flüchtlingen so gut es geht bei allen erforderlichen bürokratischen Schritten. Das sei manchmal anstrengend und koste Zeit, aber "die Leute sind uns wirklich sehr dankbar für die Unterstützung, die wir ihnen bieten", sagt Umka. Das motiviere die Studentin. Sie könnten aber auch nicht allen Flüchtlingen so helfen, wie sie es sich wünschen würden, ergänzt Umka. Es gebe genug Sachspenden, aber es fehle vor allem an finanziellen Mitteln für die Unterstützung der Menschen, es sei nicht immer einfach eine Unterkunft für sie zu organisieren und Arbeit zu finden sei erst recht eine schwierige Aufgabe.

Umka will trotzdem weitermachen, denn es motiviere sie schon zu sehen, wenn zumindest kleine Erfolge erzielt werden können. "Wenn wir zum Beispiel schnell eine Unterkunft für die Leute aus der Ukraine finden und sie vielleicht sogar legal Arbeit finden", sagt sie.

Sergeji, ein junger Ukrainer, der zusammen mit seiner Familie aus Donezk nach Russland geflohen ist, ist sehr dankbar, dass er bei einer Russin in einem Geschäft arbeiten kann. "Sie versorgte uns mit Lebensmitteln und das Rote Kreuz half uns eine Wohnung zu finden", erzählt er. Die Menschen seien hilfsbereit, nur die russische Bürokratie bereite ihm Sorgen.

Die Versuche der russischen Regierung, NGOs unter staatliche Kontrolle zu bringen, bedrohen die Existenz zahlreicher kritischer und unabhängiger Organisationen in Russland. 2015 ist in Russland sogar ein Gesetz in Kraft getreten, das erlaubt, ausländische NGOs zu verbieten. Human Rights Watch und Amnesty International kritisierten die Maßnahme und teilten mit, "das drakonische Vorgehen ist ein weiterer Schritt normales Leben aus der Zivilgesellschaft zu drängen".